In seinem Wahlkreis zieht Karl Lauterbach nach einem Jahr eine Bilanz seiner Arbeit. Er zeigt sich in Höchstform – hat es aber auch äußerst leicht. Den Einfluss von Lobbygruppen auf Gesetze kritisiert er deutlich.
GesundheitsministerKarl Lauterbach weist in Leverkusen die Lobbyisten in ihre Schranken
„Ich mache heute keine Parteipolitik“, sagt Karl Lauterbach kurz vor dem Ende eines Vortrags, in dem er, eines der profiliertesten und beliebtesten Mitglieder seiner SPD, ziemlich genau eine Stunde lang seine Erfolge runtergerattert hat. Man muss nach dieser Stunde einfach zu dem Schluss kommen, dass die Sozialdemokraten einen fantastischen Mann in ihren Reihen haben und noch viel fantastisch klüger waren, ihn auch noch zum Bundesgesundheitsminister zu machen. Lauterbach, der bundesweit das drittbeste Erststimmenergebnis der SPD bei der Bundestagswahl 2021 holte, kann an diesem Abend nichts stoppen.
„Genosse Minister, ich habe drei kleine Fragen an Dich“
Gut, es ist auch niemand da, der ihm widersprechen würde. An diesem Abend im Forum gibt es keine Diskussionsrunde, nur einen sehr individuellen Rückblick auf ein Jahr davon, was rote, grüne und gelbe Politikerinnen und Politiker werbewirksam Zukunftskoalition getauft haben. Im Publikum sitzen rund 70 Frauen und Männer, von denen offenbar die meisten in der SPD sind. Später, als Fragen gestellt werden können, beginnen diese zum Beispiel mit „Du“ oder „Von Genosse zu Genosse, Karl, vielen Dank“, „Karl“ oder „Genosse Minister, ich habe drei kleine Fragen an Dich“.
Aber langsam: Am Morgen hat der Bundestag noch Lauterbachs Krankenhausreform beschlossen. Weil die Zugverbindungen in ganz Deutschland gestört sind, hat sich der Minister danach kurzerhand entschlossen, zu fliegen. Im Auto auf dem Weg nach Wiesdorf lässt er sich telefonisch noch von einem Mitarbeiter briefen, was der letzte Stand in Sachen Leverkusener Autobahn-Querelen ist. Und dann kommt er, begleitet von Personenschützern des BKA, durch die Hintertür in den Agam-Saal. Niemand kündigt ihn an. Er geht auf die Bühne und legt los.
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Einen ersten zarten Applaus gibt es, als Lauterbach über seinen anhaltenden Kampf gegen Corona spricht und sagt: „Ich gebe das nicht auf. Mein Ziel ist, durch den Winter mit möglichst wenigen schweren Fällen und wenigen Toten zu kommen.“ Er werde zwar immer wieder dazu gedrängt, Schutzmaßnahmen ganz fallen zu lassen, „aber ich lasse mich nicht drängen. Jeder einzelne, der stirbt, ist einer zu viel“. Covid mache im Übrigen 20 Prozent seiner Arbeitszeit aus.
Stolz spricht er über die Hilfe, die die Bundesregierung Tausenden von Russland schwerstverletzten Menschen aus der Ukraine angedeihen lasse: mit Behandlungen in Deutschland, mit Prothesen und Operationen.
Karl Lauterbach: Kein Krankenhaus soll in die Insolvenz
Und stolz verkündet er auch, dass kein einziges Krankenhaus aufgrund hoher Energiepreise in die Insolvenz geraten werde. Dafür habe er persönlich an der Gas- und Strompreisbremse mitgearbeitet. „Die Deltas werden Euro-genau geschlossen“, spricht Lauterbach sehr umständlich aus, dass es keine Finanzierungslücke der Kliniken geben wird.
„Keine Kritik am Vorgänger“ will er darin sehen, wenn er konstatiert, er habe ein 17 Milliarden schweres Defizit bei der Gesetzlichen Krankenversicherung von diesem geerbt. Überhaupt gebe es seit 20 Jahren eine Fehlentwicklung in Krankenhäusern und Deutschland sei bei der Digitalisierung 20 Jahre zurück.
Das Problem mit der Krankenhausfinanzierung und den Fallpauschalen erklärt er anschließend dermaßen anschaulich, dass ein Genosse im Anschluss bekundet, er habe das jetzt endlich mal verstanden. Lauterbach dreht auf. Er ist Experte, arbeitet seit 20 Jahren und länger an diesen Themen und ist endlich da, wo er nicht nur berät, sondern beschließt, entscheidet und verantwortet. Und wie er sie in der Medizin alle rausholt aus dem schrecklichen Hamsterrad von weniger Qualität bei mehr Fällen. Kinder und Hebammen: würden nicht mehr nach Fallpauschalen behandelt oder bezahlt, sie seien also „befreit“, verkündet der Minister. „Wir können in Kliniken nicht abrechnen, wie im Lebensmittelhandel. Die Medizin darf nicht der Ökonomie folgen, es muss umgekehrt sein“, sagt Lauterbach.
Die letzten zehn Jahre Stillstand schreibt er den Lobbygruppen zu, die einen Vorschlag zerredeten, bevor er unterbreitet sei. Die dürften jetzt überhaupt erst mitreden, wenn die Experten eine Reform vorgestellt haben – und sollen bis dahin ihre Bedenken bitte für sich behalten. „Bei meiner Arbeit habe ich um 11 Uhr schon 15 Bedenken vorgetragen bekommen“, sagt Lauterbach und die Genossen lachen. „Diese Leute sind zu viel angehört worden.“
Gehört hat Lauterbach hingegen auf „Christian Drosten und die Drostens dieser Welt“, wie er seine Beratungen mit rund 30 international führenden Wissenschaftlern umschreibt. Gemeinsam haben sie einen Plan entworfen, um Pandemien in Zukunft frühzeitig einzudämmen. Der sogenannte Pandemic Fund kostet im Jahr 1,5 Milliarden Euro und bildet junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit aus, damit sie Krankheitsausbrüche frühzeitig erkennen und bekämpfen können. Denn, so Lauterbach: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es neue Pandemien gibt, ist 100 Prozent.“ Nächste Woche, lässt er salopp fallen, sei er im Weißen Haus und spreche über die Umsetzung.
„Ich begreife es als Chance, diese Arbeit zu machen. Ich leide nicht darunter“, schließt Lauterbach, nachdem er ja betont, keine Parteipolitik zu machen. „Und ohne Euch, ohne die Bürger aus Leverkusen, die mich gewählt haben, wäre dieses Privileg nicht möglich gewesen. Ich bin jederzeit über mein Team erreichbar für die Belange des Wahlkreises.“