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PlädoyersElf Jahre Gefängnis oder Freispruch nach der tödlichen Messerstecherei in Leverkusen?

Lesezeit 3 Minuten
Viele Menschen vor dem Kölner Landgericht

Mitten im zweiten Plädoyer wurde der Prozess am Dienstag unterbrochen. Wegen eines Feueralarms wurde das Landgericht geräumt.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung ziehen völlig unterschiedliche Schlüsse aus der Beweisaufnahme.

Verschiedener können die Auffassungen kaum sein. Das zeigen am Dienstag die Plädoyers von Staatsanwältin und Verteidigerinnen im Prozess um die tödliche Messerattacke am 18. Februar diesen Jahres. Während die Anklägerin Strafen von elf Jahren und elf Jahren und vier Monaten für die beiden Syrer fordert, verlangen die Verteidigerinnen Freisprüche – außerdem sollen die beiden Männer sofort aus dem Gefängnis entlassen werden.

Bevor vor der 11. Großen Strafkammer am Kölner Landgericht die Schlussvorträge gehalten werden, geht es noch einmal um das Videomaterial aus der Kneipe an der Mülheimer Straße, vor der sich die Tragödie an jenem Sonntagabend abgespielt hatte. Kirstin Stolte – sie vertritt mit einer Kollegin den älteren der beiden angeklagten Brüder – würde gerne noch einzelne Fotos aus den sehr unscharfen Filmen zeigen. Aber die hat das Bundeskriminalamt noch nicht nach Köln geschickt.

Die Videos beweisen nichts

Nach den Experten des Landeskriminalamts hatten sich auch BKA-Leute mit den Videos beschäftigt: Sie sollten nach Ansicht der Verteidigerinnen zeigen, dass der ältere Bruder auf jeden Fall kein Messer mit sich führte, als es am Abend des 18. Februar zu dem letztlich tödlich ausgegangenen Streit kam.

Aber: Auch das BKA legte keine Ausschnitte vor, die den 55-Jährigen ohne Stichwaffe zeigen. Alles ist viel zu unscharf. Für die Richter ist die Sache insofern klar, das machte Sabine Kretzschmar deutlich: Die Videos seien in dieser Hinsicht nicht entlastend für den Angeklagten, so die Vorsitzende der Strafkammer.

„Zur falschen Zeit am falschen Ort“

Verteidigerin Stolte bleibt dennoch bei der Darstellung, die sie im Lauf des Prozesses immer detaillierter gegeben hat. Der Friseur aus Schlebusch habe schlichten wollen und keinesfalls geplant, den Schwager umzubringen. Er sei nicht bewaffnet gewesen und habe auch nicht auf den Mann eingestochen, der rund 20 Messerstiche abbekam und noch am Tatort so viel Blut verlor, dass er keine Überlebenschance hatte. Bis zum 1. März lag er im Koma, dann starb er im Klinikum. Zur Rolle des 55 Jahre alten Angeklagten sagt Stolte: „Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Das Opfer habe den Kontakt gesucht und sei „sehr aufgebracht“ gewesen, als es zu dem Treffen an der Mülheimer Straße kam.

Warum es zwischen den verschwägerten Männern syrischer Herkunft zum Streit gekommen war, ließ sich trotz vieler Zeugen aus den beiden Familien nicht recht klären. Mal kam Schmuck zur Sprache, mal der Besitz eines weiteren Bruders der Angeklagten: Ein 51 Jahre alter Mann syrischer Herkunft, der nach dem Schlebuscher Todesfall an der Grenze zwischen dem Libanon und Syrien erschossen wurde. Welche Rolle dabei die Familie des Leverkusener Opfers spielt, wird in einem weiteren Prozess aufgearbeitet.

Auf diesen zweiten Fall verweist am Dienstag auch Karin Bölter. Sie verteidigt – ebenfalls mit einer Kollegin – den jüngeren Bruder. Der 40-Jährige räumt immerhin ein, sich gegen Angriffe des Opfers gewehrt zu haben. Aber eben auch nicht mit einem Messer, sondern mit der Scherbe einer Bierflasche. „Es war Notwehr“, fasst Bölter zusammen. Die Aggression sei von dem 30 Jahre alten Opfer ausgegangen, einem großen und kräftigen Mann. Deshalb müsse auch der 40-Jährige freigesprochen werden.

Wie die Richter diese grundverschiedenen Ansichten des Geschehens bewerten, wird sich am Donnerstag zeigen: Am Nachmittag wird das Urteil gesprochen.