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Interview zu Hambach-Film„Den Sturz selber haben wir ganz, ganz lange nicht angeschaut“

Lesezeit 11 Minuten
Regisseure und Regisseurin des Films „Vergiss Meyn nicht“: Jens Mühlhoff, Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale.

Sie drehten den Film „Vergiss Meyn nicht“ über den Tod des Opladener Journalisten und Filmemachers Steffen Meyn bei der Räumung des Hambacher Forstes (v.l.): Jens Mühlhoff, Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale.

Der Opladener Steffen Meyn filmte 2018 die Umweltproteste im Hambacher Forst – und kam bei dessen Räumung ums Leben.

Steffen Meyn war Filmemacher, Schauspieler, Journalist und in Leverkusener Institutionen wie dem Kulturausbesserungswerk (KAW) oder dem Jungen Theater aktiv. Als er 2018 die von RWE geforderte und von der Polizei vorgenommene Räumung des von Aktivistinnen und Aktivisten besetzten Hambacher Forstes filmte, stürzte er von einem Baum in den Tod. Die Regisseurin Fabiana Fragale sowie die Regisseure Jens Mühlhoff und Kilian Kuhlendahl waren eng mit Steffen Meyn befreundet, nahmen sich des von ihm hinterlassenen Videomaterials an – und drehten den auf der jüngsten Berlinale bereits prämierten Kinofilm „Vergiss Meyn nicht“, der am Freitag, 29. September, um 19.30 Uhr im Opladener Scala-Kino gezeigt wird. Wir haben mit ihnen über den Film gesprochen.

Frau Fragale, Herr Kuhlendahl, Herr Mühlhoff, wie kam es dazu, dass Sie den Film über Steffen Meyn drehten?

Kilian Kuhlendahl: Wir waren alle eng mit Steffen befreundet und wussten von seinem Projekt im Hambacher Forst. Und uns war klar, dass mit diesem Material etwas passieren muss. Er ist ja schon 2017 in den Hambacher Forst gefahren und hatte uns zwischendurch Aufnahmen gezeigt, über die wir mit ihm sprachen. Zu dieser Zeit hatte Steffen aber noch kein klares Konzept für einen Dokumentarfilm. 2018 war die Situation im Hambacher Forst dann ganz anders. Da war das Thema akut und auch medial präsent. Und er wusste: Er wollte nicht Material sammeln für irgendein späteres Projekt, sondern wirklich journalistisch arbeiten und das, was er aufnahm, auch rasch veröffentlichen. Fabiana und ich haben ihm damals geholfen beim Hochladen von Material, beim Schneiden. Wir haben ihn mit Strom und Speicherkarten versorgt. Solche Dinge eben. Als Steffen gestorben war, lag das Film-Material zunächst bei seinen Eltern. Sie haben es uns dann anvertraut, damit wir etwas daraus machen.

Das ist in der Tat ein Vertrauensbeweis. Was dachten Sie in diesem Moment?

Kuhlendahl: Wir haben überlegt, ob wir den großen Weg oder den kleinen Weg gehen. Also: Ob wir ein Andenken zusammenschneiden, das sich dann Freunde, Freundinnen und Familie von ihm anschauen können. Oder ob wir wirklich einen großen Dokumentarfilm machen, um auch Menschen zu erreichen, die Steffen und den Wald nicht kannten. Und uns war relativ schnell klar, dass wir diesen großen Weg gehen wollen. Dafür hatte Steffen sein Material ja auch gesammelt.

Sie sagen, das Material sei bei seinen Eltern gewesen. Im Film ist jedoch zu sehen, dass es bei der Polizei liegt.

Jens Mühlhoff: Das Material war nicht physisch bei den Eltern. Die Rechte waren bei ihnen. Die sind ihnen nach seinem Tod zugefallen. Das Material selbst war tatsächlich an völlig unterschiedlichen Stellen verteilt. Steffen hatte zur damaligen Zeit gerade seine Wohnung gekündigt. Er hatte eine Art Atelier, da lag etwas rum. Bei Freunden und Freundinnen waren diverse Festplatten. An der Kunsthochschule für Medien, der KHM, in Köln ebenfalls. Und teilweise befand sich eben auch Material bei der Polizei – weil die Karten, die in den Kameras gewesen waren, als Steffen abstürzte, von ihr konfisziert worden waren. Die Polizei hat diese Karten auch erst herausgegeben, als mit Rechtsanwälten Druck auf sie gemacht wurde. Monate später. Und zu diesem Zeitpunkt war dann ein Teil des Materials gelöscht worden.

Sie meinen: von der Polizei?

Mühlhoff: Ja. Steffens Mutter hatte es dort abgeholt und gefragt, ob etwas gelöscht worden sei. Ihr wurde gesagt: „Nein.“ Aber dann haben wir uns die Karten angeguckt und haben gesehen: Da fehlt irgendwie eine halbe Stunde. Und dann mussten wir das erst einmal wieder herstellen – was uns glücklicherweise auch gelang, denn: Die Polizei hat ein bisschen schlampig gearbeitet und die Metadaten nicht gelöscht.

Film „Vergiss Meyn nicht“ über den Journalisten und Filmemacher Steffen Meyn aus Leverkusen (Opladen), der 2018 bei der Räumung des Hambacher Forsts ums Leben kam.

Szene aus „Vergiss Meyn nicht“: Steffen Meyn filmt während seiner Dreharbeiten im Hambacher Forst von einem der besetzten Baumhäuser aus.

Die Regie ist zwar Ihr tägliches Geschäft. Aber solch ein Film über einen tragisch zu Tode gekommenen Freund ist sicher kein Film wie jeder andere für Sie.

Fabiana Fragale: Das war natürlich sehr krass! Wir haben ziemlich schnell nach dem Unfall angefangen, an dem Film zu arbeiten. Alles zu sichten und zu sortieren. Wir haben uns über Wochenenden hinweg ausserhalb der Stadt zurückgezogen und sind da alles durchgegangen. Das war einerseits eine technische Herausforderung für uns, da Steffen diese neue 360-Grad-Kamera eingesetzt hatte und wir nun versuchten, das alles zu verstehen. Und es war andererseits eine wahnsinnig emotionale Sache: Wir haben uns an allem festgehalten, was Steffen sagt. Alles war total bedeutsam für uns. Und es war am Ende auch gut, dass wir das zu dritt gemacht haben. Denn dadurch war klar: Wenn einer oder eine von uns jetzt ausfallen sollte, weil es einfach nicht mehr geht, dann machen zwei Leute weiter – und das Projekt stirbt nicht. Übrigens: Den Sturz selber haben wir ganz, ganz lange nicht angeschaut. Wir haben das ausgeklammert. So lange hinausgezögert, bis wir nicht mehr anders konnten.

Mühlhoff: Es gab anfangs diesen einen unglaublichen Drang: Alle Leute wollten nach Steffens Tod irgendetwas tun. Es war alles total wuselig. Und es stand eben sofort im Raum, auch an der Filmhochschule, dass aus all dem vielleicht ein Film entstehen könnte – obwohl noch niemand das Material gesehen hatte. Es war schon ein bisschen unheimlich, wie schnell die Art und Weise, mit diesem Tod umzugehen, in Aktionismus ausartete.

Aktionismus?

Fragale: Ja. Ein Beispiel: Irgendwann hieß es, die Gedenkstätte für Steffen im Hambacher Forst werde von der Polizei abgebaut. Daraufhin sind wir wie die Wahnsinnigen in den Wald gerannt und haben gedreht. Wir haben nur gedacht: Wir müssen irgendwas tun! Ohne zu schauen, wie es uns geht. Es war alles derart emotional aufgeladen, dass wir das Gefühl hatten, wir würden irgendwas falsch machen und alles verpassen und wir dürften darum keine Sekunde aufhören. Letztlich war es sehr gut und wichtig, dass wir fünf Jahre für die Fertigstellung des Films gebraucht haben. Denn: Wir konnten währenddessen einen riesigen Prozess durchmachen. Wir haben ja jeden Tag an diesem Material gearbeitet. Es war viel emotionale Arbeit. Und viel Recherchearbeit. Der Film wäre anfangs ja ganz anders geworden. Wir haben durch die Nähe zum Material erst den Abstand gewinnen können, der dem Film guttut.

Abstand im Sinne von...?

Kuhlendahl: Der Blickwinkel verändert sich. Irgendwann sucht man eben nicht mehr nach jedem Moment von Steffen, weil man ihn einfach sehen will. Dann konnten wir auch fragen: Was gehört inhaltlich in diesen Film? Was passt in Steffens Material?

Was heißt das konkret?

Kuhlendahl: Steffens Material bleibt allein im Wald. Dort hat er gefilmt. Und diese Perspektive wollten wir beibehalten.

Fragale: Am Anfang gab es nur diese Skandal-Ebene. Da war es uns unendlich wichtig, alles aufzudecken, wie es eigentlich zu dieser Räumung des Hambacher Forsts gekommen ist. Eben zu zeigen, was für ein Skandal das war. Aber das hatten ja andere schon gemacht – und es hatte nichts gebracht. Die verantwortlichen Personen bei der Landesregierung sitzen ja immer noch in ihren Positionen, obwohl alle wissen, was da abging. Letztlich war das aber für uns auch okay – und zwar in dem Sinne, dass wir unseren Blick nun anderswohin richten konnten. Auf gesellschaftliche Fragen etwa. Das sahen wir als Chance.

Sie zeigen im Film nicht nur die Sichtweise von Steffen Meyn. Sie zeigen auch die Aktivistinnen und Aktivisten im Hambacher Forst in all ihrer seelischen Zerrissen- und Unsicherheit. Sprich: Sie bringen diese Menschen und deren Motive den Zuschauenden sehr nah.

Mühlhoff: Ja. Das war uns wichtig. Und als wir die ersten Male ein Testpublikum hatten und sahen, dass die Leute nach dem Film anfingen, über genau diese Dinge zu reden, haben wir auch gemerkt: Dieser Film wirkt tatsächlich in diese Richtung. Und das haben wir geschafft, weil wir zu dritt waren und untereinander selbst solche Diskussionen hatten.

Film "Vergiss Meyn nicht" über den Journalisten und Filmemacher Steffen Meyn aus Leverkusen (Opladen), der 2018 bei der Räumung des Hambacher Forsts ums Leben kam. Bild der Premiere in Köln mit den Regisseur*innen Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale und Jens Mühlhoff (v.l.)

Das Regie-Trio aus Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale und Jens Mühlhoff (v.l.) bei der Premiere von „Vergiss Meyn nicht“ im September in Köln.

Gab es denn auch Aspekte oder Momente, in denen Sie untereinander völlig uneins waren?

Fragale: Natürlich! Alle haben doch ihre Schwerpunkte. Jeder und jede von uns hätte den Film anders gedreht. Aber am Ende unterschreiben wir alle diese Version.

Kuhlendahl: Es gab zwar ein Veto-Recht, aber wir haben dann doch jede Frage ausdiskutiert, bis wir uns einig waren. Bei der Frage, was nicht in den Film darf, waren wir uns sehr schnell einig.

Sie meinen wahrscheinlich den Sturz Steffen Meyns.

Fragale: Ja. Wir haben wirklich ganz genau überlegt, wie wir das machen. Hatten zig Lösungen. Letztlich war uns klar, dass das Publikum am Anfang des Films durchaus erkennen muss: Da hinten, wo die Leute gerade hinlaufen, liegt ein Mensch, der gerade zu Tode gekommen ist. Aber darüber hinaus war es für uns vor allem wichtig, dem Publikum zu zeigen: „Wir wissen, was ihr nicht seht. Wir haben es gesehen. Wir kennen die Fakten und geben euch alles in die Hand selbst über das Geschehene zu urteilen.“

Haben Sie Steffen Meyns Eltern eigentlich einbezogen in die Arbeit am Film?

Mühlhoff: Nein. Sie haben uns quasi die große Freiheit gegeben und gesagt: Sie wollen gar nicht sehen, wie wir damit arbeiten. Und das war für uns sehr gut, denn wir mussten ja den Spagat schaffen zwischen einem sehr persönlichen Film und einem Film, mit dem man das große Kinopublikum erreicht. Das wäre nicht einfach gewesen, wenn wir seine Eltern mit in den Prozess hätten integrieren müssen. Wobei wir natürlich immer im Hinterkopf hatten, dass der Film auch für Steffens Familie und Freundinnen und Freunde funktionieren muss. Für ganz enge Menschen, die eben nicht wie wir fünf Jahre Zeit hatten, sich derart mit den Umständen seines Todes auseinanderzusetzen. Aber: Sobald der Film fertig war und bei der Berlinale angenommen wurde, waren seine Eltern doch da und sagten: „Wir wollen ihn sehen!“ Und das haben sie dann auch. Mit uns zusammen in ihrem Wohnzimmer in einem sehr intimen Setting.

Film "Vergiss Meyn nicht" über den Journalisten und Filmemacher Steffen Meyn aus Leverkusen (Opladen), der 2018 bei der Räumung des Hambacher Forsts ums Leben kam.

Szene aus „Vergiss Meyn nicht“: Steffen Meyn filmte die Räumung des Hambacher Forsts durch die Polizei.

Welche Reaktionen haben Sie bislang auf „Vergiss Meyn nicht“ erhalten?

Kuhlendahl: Die meisten Menschen sind sehr berührt. Viele meinen, der Film sei ein gutes Dokument der Bewegung. Und: Es gab auch Politikerinnen und Politiker und Funktionäre etwa der CDU, die zu uns sagten, der Film habe sie zum Nachdenken gebracht. Und das finde ich sehr wertvoll.

Mühlhoff: Das stimmt. Es wäre unglaublich schön, wenn der Film eben auch in diese Kreise gelangt und dort wahrgenommen wird.

Gab es weitere Widerstände bei der Arbeit am Film – über das von Polizeibeamten gelöschte Material hinaus?

Fragale: Ja. Es gab beispielsweise eine Szene, die wir nicht benutzen durften. Da spricht Steffen sehr lange mit einem Polizisten. Eine eigentlich sehr schöne Szene, für deren Verwendung wir offiziell angefragt hatten. Aber: Wir durften nicht.

Mühlhoff: Diese Szene stellt eine sehr menschliche Ebene her, weil der Polizist in ihr selber an dem zweifelt, was dort passiert, man sieht, warum es diesen Aktivismus gibt.

Fragale: Es wäre auch nicht möglich gewesen ihn einfach nur zu verpixeln, denn der Polizist hat auch ein Recht am eigenen Wort – und damit war die Sache durch.

Mühlhoff: Was noch hinzukommt: Es ist kein Sender in diesen Film mit eingestiegen – dabei gibt es extrem wenige Dokumentarfilme in Deutschland, an dem kein Sender beteiligt ist. Uns wurde dann von dieser Seite aus immer gesagt: „Wir haben schon so viele Filme über Aktivismus gemacht.“ Nun ja, ich denke mir bei sowas immer: Das mag ja sein… Aber vielleicht ist dann doch eher eine Angst da, dass der Film zu pamphletig wird? Gerade der WDR müsste doch ein Interesse an diesem Film haben. Es geht ja um das Sendegebiet, das er abdeckt. Zudem war der Hambacher Forst und das, was dort 2018 passierte, ja der Urknall für die Bewegungen, die wir in den letzten fünf Jahren gesehen haben, mit „Fridays For Future“ und nun der Letzten Generation beispielsweise. Das hat ja alles erst danach begonnen. Und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich das alles zu radikalisieren scheint. Beziehungsweise: Wo der Diskurs über den Klima-Aktivismus, etwa durch entsprechende Gesetze, radikalisiert wird. Da stellt sich mir die Frage: Ist es die Lösung repressivere Polizeigesetze zu machen? Bekommen wir das nicht auch in andere Bahnen gelenkt – vielleicht auch durch solch einen Film?

Wie haben Sie Steffen Meyn eigentlich als Mensch wahrgenommen?

Kuhlendahl: Das ist nicht so leicht zu sagen. Er war ja eine komplexe Persönlichkeit.

Ich meine das auch eher bezüglich der Dinge, die im Hambacher Forst vor sich gingen, denn: Man sieht ja im Film, dass Steffen Meyn durchaus auch zweifelt an dem, was er da tut.

Kuhlendahl: Sagen wir so: Er hatte eine Faszination dafür, was dort passierte und wofür die Menschen dort standen. Aber er war auf der anderen Seite und im Gegensatz zu den Aktivistinnen und Aktivisten dort nicht der Typ, der sein Leben hinter sich gelassen hätte, um in den Wald zu ziehen. Dazu war er dann doch der gesellschaftlichen Mitte zu sehr verbunden. Er wollte zu den Menschen aus dieser gesellschaftlichen Mitte sprechen. Es war seine Natur, anderen Menschen davon zu erzählen, was dort passierte.

www.wfilm.de

www.scala-cinema-lev.de