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FachhandelWas die Nähszene in Schlebusch nach 75 Jahren ausmacht

Lesezeit 3 Minuten
Zwei Menschen in Stoffladen

Brasilianische Seide, verarbeitet in Italien, zu kaufen in Schlebusch: Dirk Müller und eine Mitarbeiterin in der Nähszene

Deutschlandweit werden Nähmaschinen zur Reparatur nach Leverkusen geschickt.

Gelegentlich kommen noch Nähmaschinen aus dem Gründungsjahr in die Werkstatt der Nähszene in Schlebusch. Und das will schon etwas heißen: Der Familienbetrieb feiert dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen. „Reparieren kann man eigentlich alles noch“, sagt Geschäftsführer Dirk Müller. Gerade die guten alten Pfaff-Maschinen seien mit der richtigen Wartung eigentlich unkaputtbar. Ob sich die Reparatur immer noch lohnt, sei eine andere Frage: „Für manche müssen wir mittlerweile Ersatzteile von Hand anfertigen, das wird natürlich teurer.“ Man müsse aber auch sehen, dass so eine Nähmaschine in den 1950er Jahren ähnlich viel gekostet habe wie ein VW Käfer.

Nähmaschinen aus ganz Deutschland kommen nach Leverkusen

Mit der Reparaturwerkstatt hat Müller, der neben der Schlebuscher Nähszene drei weitere Filialen in Düsseldorf, Wuppertal und Münster betreibt, mittlerweile ein Alleinstellungsmerkmal. „In Köln gibt es keinen einzigen Nähmaschinen-Mechaniker für Haushaltsmaschinen mehr“, sagt der 55-Jährige. So kommen seine Kunden nicht nur aus der großen Nachbarschaft, deutschlandweit werden vor allem Pfaff-Maschinen bei ihm zur Reparatur eingeschickt.

Knöpfe

Großes Sortiment an Knöpfen im Schlebuscher Laden

Klar, auch hier ist Fachkräftemangel ein Thema. Die Krise in der Autobranche allerdings hilft Müller: Seine beiden Mitarbeitenden waren früher Kfz-Mechaniker und Elektriker. Nach einer Umschulung sind beide Feuer und Flamme für Nähmaschinen. „Ein Kollege hatte letzte Woche eigentlich Urlaub“, erzählt Müller. Doch die Maschinen stapelten sich so weit, dass man das Büro kaum noch betreten konnte. Da hat er von sich aus gesagt: Das geht so nicht, ich komme wieder.“

Dass viele Nähgeschäfte sowohl in Leverkusen als auch der Umgebung schließen, gefällt Müller gar nicht. Man könnte meinen, der Verlust der Konkurrenz sei ein Vorteil für ihn, das sieht er nicht so. „Wettbewerb ist immer besser, dann kann man zeigen, was man kann.“ Wenn die Leute nicht mehr die Unterschiede in den Stoffen sehen und fühlen können, verlieren sie das Gespür dafür und wandern eher zu günstigeren, aber minderwertigeren Stoffen im Internet ab, befürchtet er.

Leidenschaft für Stoffe und Knöpfe

Stundenlang könnte Müller erzählen, von der eigens für seine Läden in Brasilien angebauten und in Italien verarbeiteten Seide, von den Vorzügen einer Kirschharzbeschwerung, die den Stoff atmungsaktiv macht, von historischen Wuppertaler Baumwollbändern und Knöpfen aus echter Kokosnuss. Leider komme er nur noch viel zu wenig dazu, sich darüber mit seiner Kundschaft auszutauschen.

historische Wuppertaler Baumwollbänder

Hochwertige Arbeit: Wuppertaler historische Baumwollbänder

Die Probleme sind allgegenwärtig: Umweltthematiken, die den Anbau der Rohstoffe beeinflussen, politische Entwicklungen, die für Lieferengpässe und Preiserhöhungen sorgen. Am Schlimmsten allerdings sei für ihn die Bürokratie: „Zurzeit steht man als Geschäftsmann immer mit einem Bein im Gefängnis.“ Ein Beispiel: Die Umsetzung der europäischen Datenschutzverordnung habe ihn alleine fünf Monate Arbeitszeit gekostet. Teilweise widersprechen sich Auflagen so, dass es kaum möglich sei, alle einzuhalten. Das sorge schon für schlaflose Nächte. Seinem Sohn, der dieses Jahr Abitur macht, würde er aktuell nicht empfehlen, den Betrieb einmal zu übernehmen. 

Allerdings hofft Müller, dass sich die politischen Rahmenbedingungen bessern werden. „Wenn wir die nächsten Jahre überstehen, werden wir danach ganz gut dastehen, denke ich.“ Kleinere Betriebe werden kaum eine Chance haben, mutmaßt er, das sehe man ja jetzt schon an den vielen Geschäftsaufgaben in der Branche.

Doch der Bedarf ist da: Der Wunsch vieler Menschen, wieder mit den eigenen Händen ein Produkt zu erstellen. Das sei durchaus therapeutisch in Zeiten, in denen viele Menschen kein direktes Ergebnis ihrer Arbeit mehr sehen. Auch der Trend zu reparieren statt wegwerfen und „upcycling“, also aus alten Sachen Neues zu machen, sei ungebrochen. „Seit kurzem werden auf einmal wieder Stopfeier nachgefragt“, sagt Müller lachend. „Die haben wir jahrelang nicht verkauft.“ Somit besteht Hoffnung, dass die Nähszene in Schlebusch noch weit über den 75. Geburtstag am 2. Mai hinaus bestehen wird.