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Feierstunde in OpladenWie die Gebietsreform bis heute in Leverkusen nachwirkt

Lesezeit 7 Minuten
Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Das Thema interessiert, vor allem in Opladen: Am Sonntag widmete sich der Geschichtsverein der kommunalen Neugliederung, die vor 50 Jahren vollzogen wurde.

In der Opladener Villa Römer gingen Politiker und Historiker der Frage nach, welche Konsequenzen die Gebietsreform von 1975 hatte.

Ist die Kommunale Gebietsreform, aus der das heutige Leverkusen entstanden ist, nun ein Grund zu feiern oder nicht? Unter anderem dieser Frage ging der Opladener Geschichtsverein auf seiner Geburtstagsmatinee am Sonntag nach. Man möchte es fast Festakt nennen, was der Verein auf die Beine gestellt hat: Zwei Gesprächsrunden, eine Rede und Musik der Remigius Brass Band wurden den Gästen geboten, die sich zunächst bei Schnee- und dann normalem Regen in der Villa Römer eingefunden hatten.

Seit dem 1. Januar 1975 besteht Leverkusen aus den 13 Stadtteilen, die es prägen. Über Nacht wuchs die Stadt durch die Reform um gut ein Drittel, sowohl, was die Bevölkerung, aber auch was die Fläche betraf, schilderte Michael Gutbier, Vorsitzender des OGV, bei seiner Begrüßung. In was für eine Stimmung die Gebietsreform generell fiel, wurde in der ersten Gesprächsrunde klar. Politikwissenschaftler und Historiker Jürgen Mittag moderierte sie, der frühere Oberbürgermeister Ernst Küchler, Jörn Wenge vom OGV und Guido von Büren vom Jülicher Geschichtsverein komplettierten sie. „Damals gab es eine Aufbruchsstimmung, eine Euphorie“, schilderte Jürgen Mittag die Stimmung.

Villa Römer in Leverkusen-Opladen

Der kurze Wintereinbruch zeigte sich am Sonntag auch auf dem Dach der Villa Römer.

Dass sich 63.000 Menschen aus Leverkusen an der Unterschriftenaktion zur Kampagne „Lev muss leben“ beteiligt hätten, die Leverkusen als kreisfreie Stadt behalten wollten, und nur 11.200 an „Keinen Meter mehr“, die sich gegen den Autobahnausbau stemmt, zeige, „wie emotionalisiert und politisiert die Menschen damals waren“. Von Büren stimmte zu: Man habe das Gefühl gehabt, die Modernisierung nachholen zu müssen. In diese Gemengelage fiel die Gebietsreform, die 1966 startete und größtenteils Mitte der 70er abgeschlossen war.

Leverkusen: Reform produzierte Verlierer oder Gewinner, sagt Küchler

Ernst Küchler, der damals als persönlicher Referent unter Oberbürgermeister Willi Dopatka nach Leverkusen kam, fand eindringliche Worte: „Es ging darum, wie wir diese Reform überstehen: als Sieger oder Verlierer?“ Und Leverkusen tat viel, um nicht als Verlierer dastehen zu müssen, aus damaliger Sicht hätte das die Eingemeindung nach Köln oder in einen neu geschaffen Kreis bedeutet. Sogar ein Hubschrauber wurde organisiert, um dem Regierungspräsidenten von Düsseldorf die Stadt aus der Luft zu zeigen.

Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Bürgermeister Bernhard Marewski beleuchtete die Geschehnisse vor 50 Jahren.

Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Historiker und Politiker diskutieren: Jörn Wenge (v.l.), Ernst Küchler, Guido von Büren und Jürgen Mittag

Eine weitere wichtige Unterstützung kam von Bayer. Der Konzern hatte die Kampagne „Lev muss leben“ unterstützt, daran erinnerte Jörn Wenge, Sprecher des Opladener Geschichtsvereins. Das stehe in Kontrast zur weiteren Entwicklung des Unternehmens: „Damals hat sich Bayer gesellschaftlich engagiert und stark eingebracht“, später sei es mehr um Shareholder Value gegangen. Aber damals habe der Konzern eine wichtige Rolle gespielt.

Wie lautet nun das Urteil? War die Gebietsreform gut für Leverkusen oder nicht, fragte Jürgen Mittag. Zu einem „sehr differenzierten Urteil“ müsse man kommen, findet Guido von Büren: Die Kritik an der Reform sei hinterher so groß gewesen, dass das Thema seitdem „nur mit spitzen Fingern angefasst wird“. Von Büren warf einen weiteren politischen Aspekt ein: Viele Mandatsträger hätten damals über Nacht ihr Amt verloren und sahen sich in größere Strukturen geworfen, „die politische Beteiligung ist verloren gegangen, ohne dass sie kompensiert wurde“, bedauerte er: „Das hat unserer Demokratie insgesamt nicht gut getan.“ Jörn Wenge, mit 34 Jahren ein eher jüngerer Teilnehmer der Veranstaltung, gab an, dass das Thema junge Leute eher nicht mehr umtreibt, auch wenn viele Jüngere das „OP-Kennzeichen“ gerne am Auto haben. „Es gibt kleine, feine Spuren aus der Zeit, die die Menschen beschäftigen. Aber man kämpft nicht mehr 50 Jahre Gebietsreform durch“, sagte Wenge.

Es gibt kleine, feine Spuren aus der Zeit, die die Menschen beschäftigen
Jörn Wenge, Pressesprecher des OGV, über die Sicht der Jüngeren

Dass der eine oder andere der alten Zeit nachtrauert, ist dennoch klar. Und so konnten sich die Teilnehmer entscheiden, ob sie das „Hallelujah“ von Leonard Cohen, das die Remigius Brass Band daraufhin mit ihren Blasinstrumenten spielte, als melancholisch oder euphorisch wahrnahmen. Dass Bürgermeister Bernhard Marewski das Datum als Grund zum Feiern nahm, hatte er bereits in seiner Rede zu Anfang deutlich gemacht. Gemeinsam zu feiern sei immer identitätsstiftend, betonte er. Das könne nicht nur Fußball.

Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Ohne Musik geht es auch bei einem so schweren Thema nicht. Unter anderem das bekannte Hallelujah spielte Remigius Brass.

Im Grunde kann Leverkusen gleich zweimal Geburtstag feiern: 2025 zu 50 Jahre Gebietsreform und 2030 zu 100 Jahre Stadt Leverkusen. Welches Jahr richtiger oder wichtiger ist, sei eine müßige Frage, befand Marewski. Welch wertvolle Arbeit der Opladener Geschichtsverein leistet, konnte er gar nicht genug würdigen. Zum Beispiel, dass der Verein „authentisches materielles und immaterielles Kulturgut für die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmbar und erlebbar“ mache. Es bedürfe einer gesamtstädtischen Strategie zur institutionalisierten, ressortübergreifenden Zusammenarbeit, sagte er, die sich am Ende auch „in einer angemessenen kulturellen Infrastruktur einer Stadt wiederfindet“.

Dass das Thema Kulturpolitik in Leverkusen nicht an erster Stelle steht, belegt die Tatsache, dass dem OGV bereits zugesagte und teils schon verplante 25.000 Euro wieder gestrichen wurden, nachdem das Haushaltsloch von 285 Millionen Euro zum Vorschein gekommen ist. Das habe die Task Force vorgeschlagen, erinnerte Bernhard Marewski, noch kurz bevor sie wegen „mangelnder Transparenz und Ineffektivität“ aufgelöst wurde. Das Feiern wollte er sich nicht nehmen lassen: „Wir feiern unser Leverkusen, weil wir hier zu Hause sind und weil Leverkusen unsere Heimatstadt ist“, schloss er.

Leverkusen: Stadtteile haben die Reform unterschiedlich verkraftet

Ob sich denn alle Stadtteilbewohner auch als Leverkusener sehen, wollte Bert-Christoph Gerhards, viele Jahre Redaktionsleiter des „Leverkusener Anzeiger“ als Moderator von den drei aktuellen Bezirksbürgermeistern und -bürgermeisterinnen Michaela di Padova, Frank Schönberger und Ulrich Liebetrau wissen. Auch die Bezirke sind ein Kind der Gebietsreform, wie könnte es anders sein.

„Hitdorf ist in Leverkusen angekommen“, betonte di Padova. Sie ist Bezirksbürgermeisterin vom Bezirk I mit Wiesdorf, Manfort, Rheindorf und Hitdorf an Bord. Hitdorf, der Stadtteil am Rhein war 1975 aus Monheim ausgegliedert und Leverkusen zugeschlagen worden. Die Hitdorfer bräuchten die Fähre nicht, die Leverkusener brauchen sie, betonte di Padova. Und für die hätten sich die Hitdorfer engagiert, freute sie sich. Und was ist mit den Opladenern? „Es ist ein Trauma, das Opladen begleitet – zu Unrecht“, befand Liebetrau, Bezirksbürgermeister von Opladen, Küppersteg, Bergisch Neukirchen und Quettingen. Opladen habe so viel Eigenständiges zu bieten. Als Liebetrau dann als Erstes die „große Fußgängerzone“ nannte, gab es ein kritisches Murmeln im Publikum.

Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Bert-Christoph Gerhards befragte auch Bezirksbürgermeisterin Michaela di Padova.

Geburtstagsmatinee des OGV zu 50 Jahre Kommunale Reform in Opladen

Frank Schönberger und Ulrich Liebetrau, die zwei weiteren Bezirksbürgermeister von Leverkusen.

Liebetrau hob dazu die Neue Bahnstadt hervor und die Tatsache, dass mehr Studenten nach Opladen ziehen. Dass Opladen ein Schul- und Verwaltungsstandort sei, sei seine Stärke. Darauf habe man sich besonnen. Ein eigenes Opladen-Kennzeichen besitze er nicht, aber bei einem neuen Auto würde er das durchaus überlegen. Dass die Zuordnung der einzelnen Stadtteile zu den Bezirken möglicherweise etwas willkürlich war, macht die anschließende Debatte deutlich: Bergisch Neukirchen, Quettingen, Lützenkirchen und Opladen zusammen wäre logischer gewesen, sagte Liebetrau.

Dass die Schlebuscher von der Gebietsreform nicht so tief getroffen wurden, macht Frank Schönberger, Bezirksbürgermeister des Bezirks III mit Schlebusch, Alkenrath, Lützenkirchen und Steinbüchel deutlich. „Schlebusch hat seinen Charakter nie verändert“, betonte er. Die Menschen fühlten sich als Schlebuscher und Leverkusener gleichzeitig, genauso wie die Ehrenfelder sich auch gleichzeitig als Kölner fühlten, nannte er ein Beispiel aus der Nachbarstadt.

Schlebusch hat seinen Charakter nie verändert
Frank Schönberger, Bürgermeister im Bezirk III

Nicht jeder Stadtteil ist allerdings so dörflich und „idyllisch“ geblieben. „Küppersteg ist einer der Stadtteile, die hintenüberfallen“, fand Ulrich Liebetrau. Er räumte ein, dass er sich mit Blick auf die marode B8 in Küppersteg immer vor so einem Unfall wie auf der A3 fürchte, bei der ein Betonteil auf ein Auto gekracht war und eine Frau getötet hat, „wenn man sich nur von einem Provisorium zum nächsten hangelt“. Auch Manfort und Quettingen seien vernachlässigte Stadtteile: „In Quettingen gibt es keine einzige Gaststätte mehr!“ Was er sich für Leverkusen wünsche? „Einen Sack Geld.“

Diesem Wunsch konnte keiner im Publikum ernsthaft widersprechen. Dann hätte der Opladener Geschichtsverein als Organisator auch seine weiteren Veranstaltungen durchführen können, die für das Jubiläumsjahr geplant waren. „Den OGV hat es ganz schön gebeutelt, dass die zugesagten Mittel nicht geflossen sind“, hatte der Vorsitzende Michael Gutbier bereits zu Anfang eingeräumt. Jetzt müsse der Verein schauen, wie er weitermacht. Ob kritisch, wehmütig oder freudig: Ein jeder Gast konnte etwas von der Geburtstagsmatinee mitnehmen. Wer sein Wissen zu der Reform noch weiter ausbauen wollte, konnte sich die dazugehörige Ausstellung gleich noch anschauen – sie ist noch bis zum 23. Februar geöffnet.