Leverkusen Oberbürgermeister Uwe Richrath spricht im Interview über das historische Bayer-04-Jahr, die Haushaltskrise und den Autobahnausbau.
OB Uwe Richrath„Das war einer der größten historischen Momente der Stadt Leverkusen“
Herr Richrath, erinnern Sie sich noch daran, wo Sie am 14. April 2024 waren?
Richrath: Da muss ich überlegen. Was war denn am 14. April?
Das Heimspiel von Bayer 04 Leverkusen gegen Werder Bremen, in dem die Mannschaft den Meistertitel perfekt gemacht haben.
Alles zum Thema Uwe Richrath
- Fähre Kölner Stadtrat sichert Verbindung von Leverkusen-Hitdorf nach Langel für ein Jahr
- Autobahnausbau Leverkusen will gegen die geplante Megastelze klagen
- St. Michael fährt wieder Henriette Reker will Leverkusens Oberbürgermeister noch antworten
- Zukunft Leverkusens OB Richrath richtet wegen Hitdorfer Fähre drigenden Appell an Kölns OB Reker
- Tag des Ehrenamtes Doris Baglikow erhält „Leverkusen-Taler“ für ihr soziales Engagement
- Aktion Verein sammelt Weihnachtsgeschenke für Kinder in Leverkusens Partnerstadt Nikopol
- „Man nimmt uns die Arbeit“ Leverkusener Bauamts-Mitarbeiter demonstrieren gegen CDU-Pläne
Klar! Ich war im Stadion und saß neben Fernando Carro. Das war für mich ein fantastischer Moment. Sehr emotional. Den vergesse ich nicht.
Wie präsent ist dieses Glücksgefühl nach acht Monaten noch?
Sehr. Das trägt einfach. Im Körper und in der Seele. Das Datum war zwar schwierig zu erinnern, aber ich vergesse die Bilder nicht. Die Großartigkeit des Momentes, die vielen Freudentränen, die ich gesehen habe. Das war einer der größten historischen Momente der Stadt Leverkusen.
Hat das dauerhaft etwas mit der Stadt gemacht?
Ja. Man hat eine neue Einstellung zur Stadt bekommen, eine positivere: Dass man stolz ist, Leverkusener zu sein und die Stadt im Herzen trägt. Nicht nur bei uns, sondern auch, wenn man im Ausland ist. Es ist ein neues Wir-Gefühl entstanden.
Ich nehme an, das war ihr persönlicher Jahreshöhepunkt?
Genau. Auch aus einem weiteren Grund: Dass man so verantwortungsvoll miteinander umgegangen ist. Denke ich an den Empfang der Mannschaft in ihrem Bus auf der Bismarckstraße, als rund 60.000 Menschen, darunter viele Familien mit Kindern und die unglaublichen Fans dem Team einen grandiosen Empfang bereitet haben, war das schon außergewöhnlich. Man war vorsichtig, hat Rücksicht aufeinander genommen und hat trotzdem miteinander kräftig gefeiert. Später, als die Fans das Spielfeld übernommen und mit den Spielern gefeiert haben, verlief es entspannt und ohne Zwischenfälle. Das war schon besonders. Das Stadion war eine Einheit. Es war einfach ein wunderschöner Abend. Unvergesslich.
Lassen Sie uns zwei Monate zurückgehen: Anfang Februar ist die neue Rheinbrücke eröffnet worden. Auch ein guter Tag für Leverkusen?
Ein guter Tag für die Region. Es ist wichtig, dass wir sicher den Rhein überfahren können. Wir sehen ja auch an anderen Stellen in Deutschland, wie marode die Infrastruktur teilweise ist. Das ist also erst mal gut. Aber grundsätzlich ist die Autobahnsituation für uns in Leverkusen natürlich absolut unbefriedigend.
Sie prüfen jetzt, vors Bundesverwaltungsgericht zu ziehen.
Ja, wenn das Planfeststellungsverfahren eröffnet ist. Dazu gibt es auch den Ratsbeschluss, der beinhaltet, dass Leverkusen mit allen möglichen Mitteln gegen die geplante Variante vorgeht. Noch bis vor Kurzem haben wir Gespräche geführt, damit Bund, Land und Stadt eine einvernehmliche Lösung finden. Aber das ist nicht möglich. Das kann ich jetzt schon sagen. Die geforderte Summe der Mehrkosten für einen Tunnel kann die Stadt Leverkusen nicht aufbringen. Und das Verkehrsministerium weicht nicht von den Plänen ab.
Auch nicht, wenn es bald einen neuen Verkehrsminister gibt?
Nein, das interessiert die Verantwortlichen momentan recht wenig in Berlin. Die ziehen das Verfahren konsequent durch.
Fühlen Sie sich als Leverkusener Oberbürgermeister denn ausreichend gehört?
Gehört schon, aber nicht ernst genommen. Schließlich haben wir viele Gespräche mit Berlin geführt. Das Problem bei dem Ministerium aber ist: Die blicken nur auf die Autobahn. Die Auswirkungen eines wie auch gearteten Ausbaus für eine Stadt wie Leverkusen spielen dabei keine Rolle. Richtig und für Leverkusen hilfreich wäre es gewesen, wenn im Kabinett andere Ministerien wie das für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und das für Wirtschaft und Klimaschutz hinzugezogen worden wären. Das hätte die Sichtweise und die Bewertung der Folgen und Vorteile für die Stadt geändert. Aber leider arbeiten scheinbar die Ministerien auf Bundesebene wenig vernetzt. Das ist meines Erachtens sehr zum Nachteil der Kommunen. Für die vorliegende Planung der Megastelze habe ich feststellen müssen, dass Nachhaltigkeit in der Bewertung der Mobilitätsentwicklung gar keine Rolle spielt. Ich bezweifle stark, dass in 50 oder 60 Jahren die Megastelze immer noch die beste Lösung für Leverkusen ist. Eine belastbare Infrastruktur ist zwar wichtig, aber die Lebensräume sind wichtiger. Ich bin überzeugt, dass wir jetzt eine wertvolle Chance für die nächsten Generationen verschenken. Niemand bezweifelt, dass eine Autobahn nötig ist. Aber über das Wie sind wir unterschiedlicher Meinung.
Die für Sie beruflich schlechteste Nachricht des Jahres kam dann wohl im Sommer mit der Haushaltssperre. Können Sie noch mal die Abläufe dazu skizzieren?
Ich werde regelmäßig von der Kämmerei über die steuerlichen Entwicklungen informiert. Bis zur Jahresmitte gab es keinerlei Auffälligkeiten. Als Ende Juli vom Kämmerer die Nachricht kam, dass massive Rückzahlungen an die Unternehmen zu zahlen sind, war ich genauso überrascht, wie alle anderen. Gemeinsam mit dem Verwaltungsvorstand habe ich daher beschlossen, dass der Kämmerer eine Haushaltssperre erlassen und die Öffentlichkeit informieren soll.
Bleiben Sie dabei, dass die kalkulierten 385 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen richtig waren?
Ja, zu dem Zeitpunkt war das die richtige Entscheidung. Aber die gesamtwirtschaftliche Lage ist derzeit sehr dynamisch. Die Verlässlichkeit der vergangenen Jahre ist leider nicht mehr gegeben. Das haben wir nun schmerzlich zu spüren bekommen.
Aber die wirtschaftliche Lage war auch im vergangenen Jahr nicht besonders gut…
Richtig. Dennoch haben die Konzerne in Leverkusen normal weitergearbeitet. Das ergab sich auch aus den regelmäßigen Gesprächen, die ich mit den Unternehmen führe. Doch nach November 2023, als ich gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Unternehmen des Chemparks den Brückenstrompreis gefordert habe, hat sich die wirtschaftliche Lage in 2024 noch mal massiv verschlechtert. Das zeigt, dass meine Forderung nach dem Brückenstrompreis richtig war. Das sehen wir in der gesamten Bundesrepublik; überall geht die Industrie in die Knie, fährt die Produktion runter und entlässt Personal. Neben den hohen Energiepreisen sind es die asiatischen Märkte, die die deutsche Industrie noch stärker unter Druck setzen.
Allerdings sind auch Einnahmen einkalkuliert worden, die offenbar sehr unsicher waren. Zum Beispiel der Umzug der Axa nach Leverkusen. Deshalb noch einmal: War das zu kühn geplant? Und können Sie verstehen, dass das für viele Menschen in der Stadt unverständlich ist?
Ich kann nur nochmal betonen, ohne den Schritt den Gewerbesteuerhebesatz zu senken, stünden wir heute noch schlechter da. Wir haben mit dem Hebesteuersatz von 250 Punkten 250 Millionen Euro Gewerbesteuern bekommen. Geld, das wir in zukunftsfähige Projekte, wie die den Bau von Kitas und Schulen und in die Stadtentwicklung gesteckt haben. Und dabei rede ich nicht von Briefkastenfirmen. Sondern von Unternehmen, die unabhängig von der Industrie sind. Dennoch ist für Leverkusen das Hauptproblem 2024 die dramatische Situation der Ertragsstrukturen in der Industrie. Bringt die Industrie nicht die erwarteten Einnahmen, fällt die Entscheidung, ob ein anderes Unternehmen eingepreist wurde oder nicht, nicht derart gravierend ins Gewicht. Der Wohlstand Leverkusens ist nach wie vor von den Einnahmen aus der chemischen Industrie abhängig. Selbst die Konzerne ahnten in 2023 nicht, dass sich ihre Situation dermaßen verschlechtert. Denn auch die Aktienkurse reagierten nicht entsprechend. Und wenn Leverkusen mit dem besten Steuersatz nicht in der Lage ist, gut zu wirtschaften, hat die Industrie ein grundsätzliches Problem mit der Wertschöpfung. Unser Ziel war es, mit den 250 Punkten ein zweites Standbein neben der Industrie für die Stadt aufzubauen. Und wäre zum Beispiel die Strompreisbremse gekommen, hätten wir nicht diese Probleme. Da bin ich sicher.
Jetzt muss gespart werden. Wie bewerten Sie den Prozess rund um die Task Force?
Wir mussten in der Akutsituation uns erstmal orientieren und schauen, wo noch in 2024 Einsparmöglichkeiten stecken. Dafür diente die Task Force. Nun geht es darum, strategisch zu bewerten, welche Ausgabe Leverkusen langfristig nutzen. Mit diesem Prozess gehen wir 2025 in ein Haushaltssicherungskonzept, das dann für zehn Jahre gilt. Bis April ist geplant, dieses vorzustellen.
An Schule und Bildung soll nicht gespart werden, haben Sie gleich gesagt. Aber an irgendwelche großen Brocken muss man ran, bisher ging es ja eher um kleine Beträge. In welche sauren Äpfel wird Leverkusen beißen müssen?
Genau, es ist meine absolute Überzeugung: Ohne Exzellenz und gute Bildungsstrukturen werden wir den Wirtschaftsstandort nicht halten können. Das sagen mir auch die CEOs der Firmen. Aber wie sanieren wir den Haushalt? Wir werden durch die Demografie auf Strecke fast 50 Prozent der Stellen nicht mehr besetzen können. Wir haben schlichtweg nicht genügend Menschen in Deutschland, die nachrücken können. Deshalb wird die Stadtverwaltung alleine aus diesem Grund bald deutlich weniger Personal beschäftigen. Lösungen für dieses Problem werden sicherlich in der Digitalisierung und durch den Einsatz von KI zu finden sein. Grundsätzlich ist aber die aktive Aufgabenkritik, ein wichtiges Instrument, um Doppelstrukturen aufzuheben und Prozesse nachhaltig zu straffen. Es geht also nicht darum, dass ich Mitarbeitende entlassen werde, vielmehr läuft es darauf hinaus, dass Stellen zwangsläufig nicht mehr nachbesetzt werden.
Sie meinen also, dass die Personalkosten sinken werden?
Nicht nur die Personalkosten. Ich vertrete als Oberbürgermeister auch ein System. Es geht zum Beispiel um Verlässlichkeit, darum, Gesetze auszuführen. Aber die Frage ist, wie führen wir Gesetze aus? Wie kompliziert machen wir das? Wir werden Abläufe straffen und anpassen müssen. Das alles ist erstmal nicht verkehrt und kann neue Chancen öffnen. Fest steht auf jeden Fall, dass sich die operative Arbeit massiv verändern wird. Gleiches gilt für den Büroflächenbedarf. Wir werden zukünftig weniger Flächen benötigen, ein nicht zu unterschätzendes Einsparpotential. Dafür werden aber neue Raum- und Belegungskonzepte, die dank der Digitalisierung verwaltungsweit anwendbar sein werden, nötig werden.
Wie bewerten Sie den anstehenden Regierungswechsel in Berlin im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage?
Ich finde es gut, dass die Bundestagswahl vorgezogen wurde. Die Koalition war nicht mehr handlungsfähig. Und es braucht jetzt eine Regierung, die in der Lage ist, schnelle Entscheidungen zu treffen. Das spürt man dann bis runter in die Kommune. Wir brauchen schnelle Entscheidungen. Die Welt dreht sich rasant. Ich erwarte von der neuen Bundesregierung Schnelligkeit. Ich habe oft Olaf Scholz angeschrieben, denn wir als Stadt spüren die Auswirkungen der Bundespolitik in vielen Bereichen.
Im kommenden Jahr stehen zwei wichtige Wahlen an, gefühlt ist inzwischen jede Wahl eine Schicksalswahl. Wie konnte es dazu kommen?
Weil man der Demokratie nicht mehr zutraut, Lösungen zu finden.
Und woher kommt das?
ch glaube, es geht um ein Gefühl. Darum, dass sich die persönliche Lebensqualität verschlechtert, ohne eine Perspektive auf Verbesserung. Das löst Misstrauen gegenüber dem Staat aus. Viele Menschen trauen der Politik, der Demokratie, nicht mehr zu, Probleme zu lösen. Die Wahlen der vergangenen Monate in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben das gezeigt. Dabei gibt es ja positive Dinge, wie zum Beispiel: Wir haben eine gute medizinische Versorgung, eine tolle Feuerwehr und Polizei. Aber das sehen viele Menschen nicht mehr und das führt zu Demokratieverdrossenheit.
Werden wir in einem Jahr erneut zum Jahresinterview zusammensitzen?
Ich sitze gern hier. (lacht) Aber worauf Sie hinauswollen: Ich bin für mich persönlich noch nicht klar, ob ich noch einmal für das Oberbürgermeisteramt kandidiere.
Noch nicht klar oder wollen Sie es noch nicht bekanntgeben?
Noch nicht klar. Ich will erst mal das Jahr abschließen und mich dann dazu äußern.