Zeitungen durften damals nicht über die Zerstörung berichten. Zum Glück trug Karin Hastenrath viele Erinnerungen für die Nachwelt zusammen.
Zum 80. JahrestagSo erlebten Zeitzeugen 1944 die Bombenangriffe auf Opladen
„Da vorne habe ich als Kind gewohnt“, sagt Toni Blankerts und deutet auf ein Haus, das auf der Ecke der in die Humboldtstraße mündenden Karlstraße steht. Schräg gegenüber befindet sich der heutige Opladener Künstlerbunker. Wegen der direkten Nachbarschaft sei sein Vater während des Zweiten Weltkrieges der Wärter des ehemaligen Luftschutzbunkers gewesen, erklärt der 87-Jährige. Verletzungen an dessen Händen verhinderten, dass sein Vater als Soldat habe kämpfen müssen: „‚Nicht kriegsverwendungsfähig‘, so hieß das damals.“
„Damals“ meint unter anderem den 28. Dezember 1944, als Blankerts sieben Jahre alt war. Wie heute bekannt ist, sollte der Zweite Weltkrieg in Europa kein halbes Jahr mehr dauern. Die Landung der Westalliierten in der Normandie war bereits vollzogen, die Wehrmacht hatte die Schlacht um Aachen verloren. In dieser Zeit lag das Hauptaugenmerk der alliierten Luftstreitkräfte darauf, die Versorgungslogistik der deutschen Truppen zu zerschlagen.
Eines ihrer Ziele war das Reichsbahnausbesserungswerk in Opladen. Das Bombardement kurz nach Weihnachten sei der „schlimmste Luftangriff“ für die Stadt gewesen, schreibt Karin Hastenrath in ihrem Buch „Bomben auf Opladen“, das vornehmlich Augenzeugen zu Wort kommen lässt, die die Bombardierungen westlich, östlich oder im Bereich der Bahnanlagen erlebten. Der gebürtige Opladener Blankerts befand sich zu seinem Glück in dem Zivilschutzbunker der Neustadt.
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Natürlich habe er auch als Kind die Gefahr registriert, erinnert sich der Zeitzeuge. Dennoch sei ihm das ganze Ausmaß erst später bewusst geworden. In dem Bunker sei man sicher gewesen, aber die eigentliche Herausforderung habe darin bestanden, rechtzeitig den Schutzraum zu erreichen. „Sobald Alarm war, sind wir über die Straße zum Bunker gelaufen.“ Sein Vater habe die großen Eingangstüren aber zügig verriegeln müssen, „um so den Bunker abzudichten“. Wer es bis dahin nicht rein geschafft habe, sei aufgeschmissen gewesen, so der Lokalhistoriker.
Er erinnere sich noch gut daran, wie sein Vater durch das Treppenhaus des Bunkers gegangen sei, um die Leute zu beruhigen, damit keine Panik ausbreche. Seine Familie habe den Angriff vollständig überlebt. Nur das ehemalige Wohnhaus sei so stark zerstört gewesen, dass sie kurz danach in die Augustastraße umziehen mussten, berichtet Blankerts. Auch den Einmarsch der Amerikaner und damit das Ende des Krieges habe er in dem Bunker erlebt.
Bomben auf Opladen: „Dann ging die Hölle los!“
Einer, der noch zu dessen Verhinderung abkommandiert werden sollte, war Rudi Schörmann. Er war in der Endphase des Zweiten Weltkrieges 16 Jahre alt. Damit war er Angehöriger des Jahrgangs 1928 und Teil des buchstäblich letzten Aufgebots, das für den sogenannten „Volkssturm“ rekrutiert wurde – jener wahnwitzigen und selbstmörderischen Mission, das Deutsche Reich gegen die Alliierten zu verteidigen.
Der damals in Reusrath lebende Schörmann erhielt, so ist es in dem abgedruckten Zeitzeugenbericht zu lesen, seinen Einberufungsbefehl für den 28. Dezember 1944. Um das Wehrertüchtigungslager in Hückeswagen zu erreichen, habe er um kurz nach sieben Uhr mit früheren Mitschülern den Zug in Richtung Lennep nehmen wollen. Die anschließenden Schilderungen zeigen das erbarmungslose Schicksal eines ungefragt in die Welt Geworfenen, über den von ihm nicht verantwortetes Unheil hereinbricht.
„Christbäume“ am Himmel über Opladen
Noch vor dem Eintreffen des Zuges habe ein dreimaliges kurzes Aufheulen der Sirenen „Akute Luftgefahr“ vermeldet. Fast gleichzeitig seien „phosphorhaltige Leuchtkörper in Dreieckform, die das Angriffsziel für die nachfolgenden Bomber erleuchteten“, am Himmel erschienen. Die tragische Ironie im Hinblick auf die Jahreszeit: Die Signale wurden umgangssprachlich auch „Christbäume“ genannt.
„Uns war die Situation klar, und deshalb wollten wir uns in dem Luftschutzkeller des Bahngebäudes in Sicherheit bringen. Aber die ersten Bomben fielen bereits und dann ging die Hölle los!“, beschreibt Schörmann die dramatischen Sekunden. „Um ihr Leben“ seien sie bis zu der nahegelegenen Unterführung gelaufen. Dicht an die Wand gekauert galten ihre Blicke immer der Decke, falls diese einbreche. Die Bomben seien so kurz nacheinander detoniert, dass es in der Unterführung taghell gewesen sei.
Die zweite Bombenwelle habe den Tunnel wie ein Schiff auf dem Meer zum Schwanken gebracht, erinnert sich Schörmann. Im Nachhinein könne er nicht mehr einschätzen, ob die Luftangriffe Minuten oder Stunden dauerten. Ganz präsent schien ihm hingegen etwas anderes gewesen zu sein: Ein Mann, der „in diesem Chaos“ das „Vaterunser“ betete. „Es war mehr ein Rufen als ein Sprechen. Alle beteten mit, keiner schloss sich aus. Ich habe in meinem Leben weder vor- noch nachher gehört, dass dieses Gebet mit einer solchen Inbrunst und immer wieder gesprochen wurde“, heißt es in dem Bericht.
Das Erbitten göttlichen Beistands zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen der Zeitzeugen. In den Momenten existenzieller Not schien dies der einzig verbliebene Hoffnungsanker zu sein. So beschreibt die damals 23-jährige Hildegard Müller, wie sie immer noch ihre Mutter vor sich sehe, die im Keller des Wohnhauses an der Lützenkirchener Straße da stand und beständig nur sagte: „Mein Jesus, Barmherzigkeit!“ Die Familie habe direkt gegenüber vom Bahngelände und damit in unmittelbarer Nähe eines Arbeitslagers gewohnt, in dem „in der Hauptsache Russen und Polen“ untergebracht waren.
„Als nachts der Angriff war, sind die Bomben in das Lager gefallen, alles hat lichterloh gebrannt! Die Leute haben geschrieen (Schreibweise im Buch, Anm. d. Red.) wie nur was. Diese Schreie waren für uns das Allerschlimmste!“, schildert Müller die schrecklichen Erlebnisse. Als Zeitzeuge das erlebte Grauen eines Krieges in die Öffentlichkeit zu tragen und den nachfolgenden Generationen zu überliefern, sieht Blankerts als Hauptmotivation sowie große Verantwortung.
Wenn er verfolge, was in der Welt und auch in der Ukraine aktuell geschehe, denke er schon manchmal: „Hoffentlich müssen meine Enkel das nicht auch erleben“, gesteht Blankerts. Möglicherweise hätten es auch viele ältere Leute versäumt, unermüdlich weiterzugeben, was Krieg bedeute. Für ihn stehe fest: „Sicherheit kann man nicht durch Krieg gewinnen, man muss miteinander sprechen!“
Zum Buch:
Die im Juli 2019 gestorbene ehemalige Quettinger Lehrerin Karin Hastenrath hat in der Vergangenheit viele Gespräche mit Zeitzeugen zu den Luftangriffen geführt. Daraus entstand das Buch „Bomben auf Opladen – 28. Dezember 1944“. Neben den über 50 Berichten werden auch die Geschehnisse rund um den Bombenangriff geschildert. Das mittlerweile in zweiter Auflage erschienene Buch können Interessierte für 10 Euro bei den Buchhandlungen „Noworzyn“ in Opladen, „Gottschalk“ in Schlebusch und „Thalia“ in Wiesdorf kaufen. Außerdem kann man es für 12 Euro (inklusive Versandkosten) online bestellen. (jmö)
Gedenkveranstaltung
Anlässlich des 80. Jahrestags der Bombardierung Opladens gedenken die Stadt und die Studiobühne am Samstag, 28. Dezember, gemeinsam der Opfer. Um 14.30 Uhr wird dazu ein Kranz auf dem Ehrenfriedhof an der Rennbaumstraße niedergelegt und eine Schweigeminute gehalten. Anschließend findet um 16 Uhr die Lesung „Dann fiel alles vom Himmel“ der Studiobühne im Künstlerbunker an der Karlstraße 9 statt. Das Gamelan-Ensemble „Taman Indah“ der Musikschule wird die Lesung musikalisch begleiten. Aufgrund der begrenzten Plätze empfiehlt sich eine telefonische Reservierung für die Lesung unter 02171/94 60 02, die montags, mittwochs und freitags von 17 bis 20 Uhr oder auf dem Anrufbeantworter erfolgen kann. (jmö)