Sie nutzten Krypto-Handys und fühlten sich sicher: Nachdem Geheimdienste die Software geknackt hatten, flog der millionenschwere Handel mit 522 Kilogramm Marihuana auf.
Auf SchmerzmittelnLeverkusener Drogenhändlern drohen nach Millionen-Geschäft lange Strafen
Die Methode galt als sicher. Weil sie ihren Drogenhandel über vermeintlich abhörsichere Handys abwickelten, sahen Samuel J., sein Bruder Peter sowie ihre Komplizen Frantek P. und Gustav P. (alle Namen geändert) kein großes Risiko. Ein folgenschwerer Irrtum: Die erste Verschlüsselungssoftware Encrochat wurde vom französischen Geheimdienst geknackt, die zweite war eine Falle, die das US-amerikanische FBI eigens gestellt hatte – offenbar, um Kriminelle anzulocken. Auch auf Anom-Chat fielen fünf Leverkusener herein, von denen vier seit Anfang Dezember vor Gericht stehen. Dabei geht es um 522 Kilogramm Marihuana, die binnen eines halben Jahres gedealt wurden und für die Bande gut 1,5 Millionen Euro Gewinn abwarfen.
Kopf der Bande ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Samuel J. (alle Namen geändert). Der 33-Jährige hat gemeinsam mit einem Komplizen mit dem Decknamen „Napoleon“ den schwunghaften Handel organisiert. Viele Seiten ausgelesener Chats zeichnen ein detailliertes Bild, was getan wurde und wer dabei das Sagen hatte. Die Dinge ließen sich gut an – was wohl auch daran lag, dass ein Teil des Quartetts einschlägige Erfahrungen hat im Handel mit weichen Drogen.
Nickname Ragnar Lodbrok
Zwischen November 2020 und Mai 2021 erreichte die Gruppe mit ihren Deals das nächste Level: In größeren Tranchen wurde Marihuana aus Südspanien importiert, phasenweise stapelte sich das Geld in dicken Bündeln in der „Schatztruhe“, von der in den vermeintlich sicheren Chat-Kanälen auch Fotos herumgereicht wurden. Die Euphorie war groß, steigerte sich im Falle des Kopfes Samuel J. offenbar bis zum Größenwahn. Sein Nickname: Ragnar Lodbrok. Mit dem sagenhaften Wikinger-Herrscher fühlte er eine Seelenverwandtschaft. Auch sonst findet sich viel Geschreibsel, mit dem sich nach der Festnahme Kurt Herold auseinandersetzen musste, der psychiatrische Gutachter im Strafverfahren vor dem Kölner Landgericht.
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Allerdings haben sowohl Samuel J. als auch sein sieben Jahre jüngerer Bruder Peter nicht nur mit Drogen gehandelt, sondern auch welche genommen. Und zwar keine weichen: Während Peter, der zwischendurch bei Kurierfahrten nach Andalusien assistierte, es beim Kokain beließ, griff sein älterer Bruder zusätzlich zu Cannabis, diversen Tranquilizern und Schmerzmitteln. Das Präparat Tilidin war dabei nach eigenen Aussagen ein treuer Begleiter – nicht nur wegen fortwährender Rückenprobleme.
Drogen, Spiele, Pornos
Ob man bei phasenweise 100 bis 200 Euro Einsatz am Tag von einer Spielsucht sprechen kann – in der Frage legt sich Gutachter Herold am Freitag nicht fest. Das sei wohl eher eine Begleiterscheinung eines gewissen Wahns, ebenso wie der nächtelange Konsum von Pornovideos unter Drogen.
Wichtiger ist, ob das Verhalten des Hauptangeklagten auf eine Sucht, mindestens aber einen „Hang“ zu Drogen schließen lässt. Denn das hat Einfluss auf seine Bestrafung. Herold ist sicher, dass der 33-Jährige therapiert werden muss. Und damit ist nicht nur ein Drogenentzug gemeint. Der Gutachter sieht bei Samuel J. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, für eine Heilung davon setzt er durchaus vier Jahre Zeit an.
Ein Klinik-Aufenthalt steht für die Staatsanwaltschaft allerdings nicht im Mittelpunkt. Sie fordert für den Drahtzieher der Marihuana-Megadeals eine Haftstrafe von zehn Jahren. Die Anträge für die Mittäter bewegen sich zwischen fünfeinhalb und sechs Jahren. Natürlich: Marihuana sei eine weiche Droge. Aber aus der enormen Menge resultierten einfach lange Gefängnisstrafen.
Darf man die Daten überhaupt benutzen?
Interessant – und unter Juristen noch umstritten – ist die Frage, ob die Chat-Protokolle überhaupt taugliche Beweismittel sind. Schließlich fußt das komplette Ermittlungsverfahren auf ihnen. Während die Sache im Falle des vom französischen Geheimdienst gehackten Encrochat positiv beschieden ist, wirft der Umgang mit Anom-Chat zumindest Fragen auf. Das liegt daran, dass hier nicht ein bestehendes System von Ermittlern entschlüsselt wurde, sondern Ermittler ein solches System erst programmiert hatten – natürlich mit den entsprechenden Hintertüren zum Auslesen der Daten.
Philipp Thiée, einer der Verteidiger, vertritt den Standpunkt, dass die vom FBI gebaute und offenbar über einen Mittelsmann in der Türkei kriminellen Kreisen angebotene Software auch eine „Tat-Provokation“ darstellt. Bezeichnend sei, dass Daten aus Anom-Chat vor US-Gerichten keinen Wert haben. Allein deshalb geht man auch bei der Staatsanwaltschaft schon jetzt davon aus, dass die Verteidiger in Revision gehen werden. Urteile werden von der 25. Strafkammer wohl erst übernächste Woche gesprochen.