Nicht alle Flächen rund um das geräumte Braunkohledorf Lützerath befinden sich im Besitz von RWE. Was das für die Eigentümer und den Kohleabbau bedeutet.
Abbruch von Lützerath schreitet voranNicht alle Flächen sind im Besitz von RWE
Nach der Räumung von Lützerath könnte es zu neuen juristischen Auseinandersetzungen über den geplanten Abbau der 110 Millionen Tonnen Braunkohle kommen, die unter dem Dorf liegen.
Nach Angaben der grünen Landtagsabgeordneten Antje Grothus besitzt der Energiekonzern RWE Power nicht alle Flächen, die im Bereich seines aktuell genehmigten Betriebsplans liegen. Der Plan trat im Januar in Kraft und gilt bis Ende 2025.
Vier Prozent der Fläche gehören mehreren Eigentümern
Danach gehören rund vier Prozent der Fläche mehreren Eigentümern, die kein Interesse zeigen, ihren Grund und Boden an RWE zu verkaufen. Somit drohten im Abbaugebiet „langwierige und juristisch unsichere Enteignung auch nach der Räumung Lützeraths“, sagte Grothus.
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Der Tagebau könnte bis zu deren Abschluss einige hundert Meter hinter Lützerath zum Stillstand kommen. „Enteignungen für den Kohleabbau sind für mich eine rote Linie. Die Zeiten, in denen Menschen zur Abgabe ihres Eigentums für den Kohleabbau gezwungen werden, müssen ein für alle Mal beendet werden“, so Grothus.
Die Flächen liegen mitten im Abbaugebiet im Bereich um den Windpark Keyenberg. Der Energiekonzern RWE hat in einer offiziellen Präsentation eingeräumt, dass die „weitere Grundstücksbeschaffung ungelöst“ sei.
NRW-Wirtschaftsministerium sieht keine Hindernisse für Kohleabbau
„RWE besitzt nicht alle Flächen, die sie in den nächsten Jahren abbauen wollen. Um den sozialen Frieden der Region zu wahren, ist eine Neuplanung des Tagebaus notwendig. Er muss so geführt werden, dass RWE niemandem mehr seinen Acker wegnimmt“, sagte Grothus.
Das NRW-Wirtschaftsministerium sieht wegen der Eigentumsverhältnisse vorerst keine Hindernisse für einen weiteren Abbau. Alle bis Ende 2023 für den Abbau bestimmten Flächen seien im Eigentum von RWE oder dem Unternehmen zur Nutzung überlassen worden, teilte das Ministerium auf Anfrage unserer Zeitung mit. Auch für die Zeit nach 2023 bis Ende 2025 verfüge RWE Power über mehr als 98 Prozent der Flächen, für den Rest liefen Kauf-, Tausch- oder Pachtverhandlungen, so das Ministerium unter Hinweis auf Auskünfte von RWE.
Es sei nicht unüblich, dass Verhandlungen mit einzelnen Grundeigentümern im Vorfeld des Tagebaus noch nicht abgeschlossen seien. Falls Enteignungen nötig würden, gebe es dafür langjährige etablierte Verfahren, bei denen die Bergbehörde über hinreichende Erfahrung verfüge.
Nach den teils gewalttätigen Protesten gegen die Räumung von Lützerath hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Gewalt gegen Polizeikräfte verurteilt. „Die vielen verletzten Polizistinnen und Polizisten sind eine bittere Bilanz“, sagte Faeser in Berlin. Für Gewalt gegen Polizisten gebe es „keinerlei Rechtfertigung“. Sie kündigte an, gegen Gewalttäter werde „konsequent ermittelt“.
Die Aktivisten hätten nicht nur sich selbst, sondern auch die Einsatzkräfte „in große Gefahr gebracht.“ Das sei „verantwortungslos“. „Politische Konflikte dürfen nicht auf dem Rücken von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ausgetragen werden“, mahnte die Ministerin.
Auch den von Demonstrierenden erhobenen Vorwürfen der Polizeigewalt werde indes nachgegangen. Es sei richtig, dass das Land NRW einzelne Vorwürfe nun prüfe. „Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, müssen das Konsequenzen haben“, erklärte Faeser.
Auch am Montag kam es zu Protesten. Im 20 Kilometer entfernten Tagebau Hambach besetzten vier Menschen am frühen Morgen für mehrere Stunden einen Schaufelradbagger. Außerdem seilten sich Klimaaktivisten an der A 44 in der Nähe von Lützerath von einer Autobahnbrücke ab.
Die Polizei blieb am Montag bei ihrer Darstellung, dass neun Aktivisten mit Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht wurden. Sie widersprach der Darstellung, dass Menschen lebensgefährliche Verletzungen erlitten hätten. Gut 300 Personen hätten während des fünftägigen Einsatzes aus Lützerath geräumt werden müssen. Davon hätten vier Widerstand geleistet.
Mehr als 100 Polizeibeamte beim Einsatz verletzt
Während des gesamten Einsatzes, der am Mittwoch begonnen hatte, seien mehr als 100 Polizistinnen und Polizisten verletzt worden. Wie viele sich davon ohne Fremdeinwirkung verletzt haben, sei noch nicht aufgeschlüsselt. Mehrere Dienstfahrzeuge seien durch abgetretene Seitenspiegel, Schmierereien und Steinwürfe beschädigt worden. Darüber hinaus sei eine Vielzahl von Reifen zerstochen worden. Bislang haben man 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Auch die Initiative „Lützerath lebt“ beharrte am Montag auf ihrer Bilanz, nach der es bei den Aktivisten und Demonstranten Verletzte „im oberen zweistelligen Bereich“ gegeben habe. „Wir wissen nicht, wie viele davon ins Krankenhaus gekommen sind“, sagte eine Sprecherin. „Unsere Sanitätsteams geben diese Informationen bewusst nicht heraus, weil die Aktivisten befürchten, dass die Polizei dann versucht, in den Krankenhäusern ihre Personalien herauszufinden.“
Nach Angaben der Initiative haben Aktivisten, die während der Räumung den Kontakt zum Kommunikationsteam der Polizei aufrechterhalten sollten, diesen schon am zweiten Tag der Räumung einseitig für beendet erklärt und sich anschließend nur noch um die „Notversorgung“ der Besetzer bemüht.
Der Kontakt hatte seit Beginn der Besetzung des Dorfs vor zweieinhalb Jahren bestanden. Die Aktivisten werfen der Polizei vor, Absprachen zur Deeskalation nicht eingehalten zu haben. So habe man die Kommunikationsbeamten auf verschiedene „lebensbedrohliche Situationen“ hingewiesen. Dabei sei es zum Beispiel um das Fällen von Bäumen gegangen, „in denen sich Sicherungsseile befanden, an denen Menschen ihr Leben gesichert hatten.“ Auch habe es Rodungen in unmittelbarer Nähe von Baumhäusern gegeben, in denen sich Menschen aufhielten.
„Die Behauptung der Polizei, einen transparenten, deeskalativen und besonnenen Einsatz durchzuführen, war wie erwartet nur vorgeschoben und erlogen. Wir wurden von Besetzer*innen stets angerufen, weil sie Angst um ihr Leben hatten und vertraute Personen am Boden sehen wollten. So waren wir auch der einzige Kontakt zu den Menschen der Tunnelbesetzung auf deren Wunsch, doch auch dies hat die Polizei zuletzt unterbunden", sagt Mia Schmitz, Polizeikontakt der Initiative „Lützerath Lebt“.
Tunnelbesetzer geben freiwillig auf
Die beiden zuletzt noch in einem unterirdischen Tunnel unter Lützerath ausharrenden Aktivisten haben ihre Position nach Darstellung von RWE am Montag freiwillig verlassen. Man sei „erleichtert“, dass die „lebensbedrohliche Situation“ auf diese Weise beendet worden sei. „Eine Rettung aus dem Tunnel gegen den angekündigten Widerstand der Personen wäre mit hohen Risiken verbunden gewesen, auch für die Rettungskräfte“, hieß es.
Die beiden Aktivisten waren offenbar von der Polizei aus Lützerath geleitet worden und befinden sich wohl wieder auf freiem Fuß. Sie hatten mehrere Tage in einem unterirdischen Gang unterhalb einer Ruine in Lützerath verbracht und damit die Rettungskräfte in Atem gehalten. Wie lange die beiden in vier Meter Tiefe ausgeharrt haben, ist unklar.
RWE hatte nach eigenen Angaben nach Bekanntwerden der Tunnelbesetzung einen Krisenstab eingerichtet. Experten der Feuerwehr und der Grubenwehr hätten anschließend damit begonnen, technische Lösungen für Rettungsmaßnahmen vorzubereiten. Spezialisten für Bauwesen und Gebirgs- und Bodenmechanik seien hinzugezogen worden.
Das THW habe technische Unterstützung geleistet, auch die Bergbehörde sei eingebunden gewesen. Zunächst seien der Tunneleinstieg gesichert und die darüberliegende Gebäudestruktur verstärkt worden. Man habe die selbstgebaute Luftzufuhr, die lediglich mit Autobatterien betrieben worden sei, kontinuierlich mit Strom geladen und technisch stabilisiert. (mit dpa)