Düsseldorf – Armin Laschet kam fünf Minuten zu spät zur Pressekonferenz. Die Sondersitzung der CDU-Fraktion hatte länger gedauert als geplant – dort hatte der Ministerpräsident bekannt gegeben, welche Politiker in den nächsten fünf Jahren an seinem Kabinettstisch sitzen sollen. Die Namen waren bis zum Donnerstag unter Verschluss geblieben. Nur die Berufung des früheren Kohl-Anwalts Stephan Holthoff-Pförtner zum Europaminister war vorab durch eine Presseerklärung seines bisherigen Verbands verraten worden.
Während die Besetzung der Ressorts durch die FDP seit langem feststand, wurde auch die CDU-Fraktion von den Personalien überrascht. Entgegen anderer Voraussagen warf Laschet den üblichen Regionalproporz über Bord. Er habe Persönlichkeiten ausgewählt und dabei allein auf Qualifikation geachtet, behauptete der Ministerpräsident. Pech für die Regionen Ostwestfalen und Mittelrhein – sie sind im Kabinett mit keinem Minister vertreten.
Neubewertung der Politik an vielen Stellen
Durch den Zuschnitt des Ressorts leitet Laschet an vielen Stellen eine Neubewertung von der rot-grünen Politik seiner Vorgängerin Hannelore Kraft (SPD) ein: Der Themenbereich Flüchtlinge, Abschiebungen, Ausländerfragen wechselt aus dem Innenministerium in das neue Ministerium für Integration und Familie. Die bei Rot-Grün umkämpfte Energiepolitik wird aus der Zuständigkeit des Umwelt- ins Wirtschaftsministerium überführt.
Und wofür braucht NRW ein „Heimatministerium“? „Das können Sie nicht in Referate übersetzen, wie man Heimat macht“, antwortete Laschet. Das zunehmende Tempo der Globalisierung mache dieses auch emotional besetzte Thema aber wichtig.
Stühlerückenrücken in der CDU-Landtagsfraktion
Zu den Überraschungen auf der Kabinettsliste zählt die Berufung von Herbert Reul zum neuen Innenminister. „Ich freue mich auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Herbert Reul und werde ihn gerne darin unterstützen, NRW sicherer zu machen“, sagte der scheidende Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, der vor der Landtagswahl von Armin Laschet zum Leiter einer Sicherheits-Kommission berufen worden war.
Mit der Berufung der Kabinettsmitglieder begann auch das Stühlerücken in der CDU-Landtagsfraktion. Der bisherige Generalsekretär Bodo Löttgen wurde zum Fraktionschef gewählt. Die Funktion des Parlamentarischen Geschäftsführers übernimmt der 37-Jährige Matthias Kerkhoff aus dem Sauerland. Generalsekretär soll Vize-Fraktionschef Josef Hovenjürgen aus Halten werden.
Das sind die neuen Minister
Ministerium für Inneres
Herbert Reul (CDU)
Die Berufung des 64-Jährigen in das Schlüsselministerium ist eine dicke Überraschung und Laschets Dankeschön an einen Weggefährten. Nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2012, als die CDU mit Norbert Röttgen nur 26,3 Prozent holte, hatte sich Reul im Machtkampf zwischen Laschet und Karl-Josef Laumann um den Landesvorsitz klar positioniert und an Laumanns Wechsel als Staatssekretär ins Bundesgesundheitsministerium im Dezember 2013 mitgewirkt. Nur so konnte Laschet auch den Fraktionsvorsitz übernehmen. Reul war bisher Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, saß bis 2004 im Landtag und war von 1991 bis 2003 Generalsekretär der NRW-CDU.
Der 48-jährige Junggeselle aus Meerbusch bei Düsseldorf war von 2009 bis 2010 Verkehrsminister im Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). In der vergangenen Legislaturperiode hielt er Laschet als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion den Rücken frei. Jetzt wurde er mit dem wichtigen und hoch angesehenen Querschnittsressort Finanzen belohnt.
Größte Herausforderungen:
Die neue schwarz-gelbe Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag teure Versprechen gemacht, aber die Kosten für die Projekte noch nicht beziffert. Deswegen stehen wohl schwierige Haushaltsberatungen bevor. Experten gehen davon aus, dass allein in den Kita-Bereich 1,5 Milliarden Euro investiert werden müssen. Auch die Rückkehr zu G9 an den Gymnasien und der Kurswechsel bei der Inklusion verschlingen dreistellige Millionenbeträge. Gleichzeitig gilt es, den Haushalt zu sanieren – und die Schuldenbremse im Jahr 2020 einzuhalten.
Ministerium für Wirtschaft
Andreas Pinkwart (FDP)
Ein Rückkehrer, der ein neues Querschnittsressort leiten wird. Der Wirtschaftswissenschaftler war von 2005 bis 2010 Wissenschaftsminister und Vize-Ministerpräsident in NRW. Von 2002 bis 2010 führte er den FDP-Landesverband durch schwieriges Fahrwasser und löste den in Affären verstrickten Jürgen Möllemann ab. In seiner Dissertation hat er sich mit Chaos und Unternehmenskrisen befasst. Pinkwart war von 2002 bis Juni 2005 Bundestagsabgeordneter und nach der Landtagswahl 2005 im Kabinett Rüttgers stellvertretender Ministerpräsident. Er war an der Einführung von Studiengebühren in NRW durch das Gesetz zur Sicherung der Finanzierungsgerechtigkeit im Hochschulwesen beteiligt.
Größte Herausforderungen:
Nachdem CDU und FDP im Wahlkampf immer wieder davon gesprochen haben, NRW an die Spitze der Bundesländer zu führen, muss er den schlafenden Riesen jetzt wecken. Vor allem bei der Digitalisierung gibt es sehr viel aufzuholen.
Schule, Verkehr, Justiz
Ministerium für Schule
Yvonne Gebauer (FDP)
Das ist eine steile Karriere für die 50-jährige Kölnerin, die seit 2012 für die Liberalen im Landtag sitzt und dort für Schulpolitik verantwortlich war. Gebauer gilt als offen und undogmatisch und hatte bis zum Wahlabend selbst nicht damit gerechnet, auf einem Ministerposten zu landen. Das Schulministerium ist ein Schlüsselressort, ein Gradmesser für die erfolgreiche Arbeit der schwarz-gelben Landesregierung. Die neue Schulministerin saß von 2004 bis 2012 im Kölner Stadtrat und ist seit 2015 Vorsitzende des FDP-Kreisverbands Köln. Sie stammt aus einer FDP-Familie. Wolfgang Leirich, ihr Vater, war Fraktionschef seiner Partei und zwölf Jahre lang Kölner Schuldezernent.
Größte Herausforderungen:
Die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren an Gymnasien, der Kampf gegen den Lehrermangel, Innehalten bei der Inklusion durch den Erhalt der verbliebenen Förderschulen – das Schulministerium ist das Ressort mit dem höchsten Arbeitsaufwand. Und steht immer in der Kritik.
Ministerium für Verkehr
Hendrik Wüst (CDU)
Der 41-jährige Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung aus dem Münsterland war zuletzt wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbands Nordrhein-Westfalen. Bis 2010 war Wüst Generalsekretär der NRW-CDU. Da er für die überraschende Wahlniederlage von Jürgen Rüttgers mitverantwortlich gemacht wurde, zog er sich zunächst aus der ersten Reihe der NRW-CDU zurück. Mit der Berufung zum Verkehrsminister hat ihn Laschet nun voll rehabilitiert – und einen scharfzüngigen Parteikenner in die Kabinettsdisziplin eingebunden.
Größte Herausforderungen:
Wüst gilt als durchsetzungsstark, sein Haus ist übersichtlich, nachdem das Bauressort abgezogen wurde. Der neue Chef steht vor der Herkulesaufgabe, Straßen und Schienen auf Vordermann zu bringen, hat dafür allerdings 1,3 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Weniger Staus gibt es wohl nur, wenn es ihm gelingt, das Baustellenmanagement zu optimieren.
Ministerium für Justiz
Peter Biesenbach (CDU)
Der 69-Jährige aus Hückeswagen im Bergischen hatte sich schon im Jahr 2005 erhofft, unter Jürgen Rüttgers Minister zu werden, wurde aber damals ausgebremst. Zwölf Jahre später bekommt er seinen Wunschjob jetzt doch noch – obwohl es in der Vergangenheit auch Spannungen mit Laschet gab, als dieser Biesenbach im Jahr 2010 als Parlamentarischer Geschäftsführer ablöste. Der Rechtsanwalt ist seit dem Jahr 2000 Abgeordneter und hat seinen Wahlkreis fünf Mal in Folge gewonnen. Biesenbach hat mehrere Parlamentarische Untersuchungsausschüsse geleitet, darunter den zur Kölner Silvesternacht. Die Enthüllungen in diesem Ausschuss trugen maßgeblich dazu bei, die Glaubwürdigkeit des damaligen NRW-Innenministers Ralf Jäger (SPD) zu erschüttern.
Größte Herausforderungen:
Ausbrüche und skandalöse Vorfälle im Strafvollzug können jeden Justizminister schnell in Bedrängnis bringen.
Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Flüchtlinge und Integration
Joachim Stamp (FDP)
Joachim Stamp, FDPArbeitstier, Ackergaul, Tausendsassa. Verbindlich und differenziert. Diese Attribute werden dem 47-Jährigen aus Bonn zugeschrieben, dem es in der Kommunalpolitik gleich dreimal gelang (2004, 2009 und 2014), als FDP-Mann seinen Kommunalwahlkreis direkt zu gewinnen. Der promovierte Politikwissenschaftler zog 2012 erstmals in den NRW-Landtag ein und war eineinhalb Jahre lang Mitarbeiter im Büro des früheren Bundesaußenministers Guido Westerwelle. Stamp ist auch stellvertretender Ministerpräsident.
Größte Herausforderung:
Die Zusammenarbeit mit den Muslimen in NRW und den Islam-Verbänden auf eine neue Grundlage stellen, die Flüchtlingspolitik auf eine neue Grundlage stellen – zwischen schnellerer Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern und einer besseren Integration der Menschen, die ein Bleiberecht haben. Auch kein leichter Job.
Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung
Ina Scharrenbach (CDU)
Die 40-jährige CDU-Politikerin aus dem Ruhrgebiet leitet das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstellung. Die Vize-Landesvorsitzende und Chefin der NRW-Frauen-Union war im Vorfeld auch als Innenministerin im Gespräch.
Die gelernte Bankkauffrau und Diplom-Betriebswirtschafterin hatte sich im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht als „Chefanklägerin“ der rot-grünen Landesregierung profiliert. Ihr Landtagsmandat hat die CDU-Frau bei der Wahl aber verloren. Dass Laschet sie in die Regierung einbinden würde, galt als sicher – der Zuschnitt des „Gemischtwarenhandels war allerdings eine Überraschung.
Größte Herausforderungen:
Scharrenbach verfügt über große politische Erfahrung, aber die Leitung einer großen Behörde ist für sie eine neue Herausforderung. Während die CDU-Politikerin mit dem Gleichstellungsthema bestens vertraut ist, muss sie sich in den Baubereich erst einarbeiten. Scharrenbach hat die Chance, sich als Chefin des neuen NRW-Heimatressorts auch bundespolitisch einen Namen zu machen.
Ministerium für Kultur und Wissenschaft
Isabel Pfeiffer-Pönsgen (parteilos)
Die neue Landesregierung will Kultur und Wissenschaft einen höheren Stellenwert beimessen. Das könnte mit dieser Personalie gelingen. Isabel Pfeiffer-Pönsgen (63) war bisher Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder und setzte sich in dieser Funktion für den Erhalt national bedeutsamen Kulturguts ein. Zuvor war sie Kanzlerin der Kölner Musikhochschule und Kulturdezernentin in ihrer Geburtsstadt Aachen. Ihr Vater zählte zu den kommunalpolitischen Größen in Aachen und zu den Gründervätern der CDU nach dem Jahr 1945.
Größte Herausforderungen:
Die Kulturschaffenden werden die Ministerin an den Versprechen aus dem Koalitionsvertrag messen. Finanzielle Planungssicherheit, schrittweise Anhebung des Kulturetats um 50 Prozent bis 2022. Auch die Zuschüsse für kommunale Theater und Orchester sollen erhöht werden. Und noch ein Versprechen muss sie einlösen: Dass es auch in armen Kommunen weiter eine freie Szene geben wird und die kulturelle Substanz erhalten bleibt.
Arbeit/Gesundheit/Soziales, Europa, Umwelt
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Karl-Josef Laumann (CDU)
Der 59-Jährige Münsterländer war bisher Patientenbeauftragter und Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung. Laumann führte das Ressort schon zwischen 2005 bis 2010. Von 2010 bis 2014 war er Fraktionsvorsitzender im Landtag . Dabei gab es immer wieder Querelen mit dem Landesvorsitzenden Laschet – zum Beispiel über die Frage, welcher Politiker wie oft auf Fotos im Mitgliedermagazin der NRW-CDU zu sehen war. Durch seinen Wechsel nach Berlin machte Laumann den Weg für Laschet zur Spitzenkandidatur schließlich frei. Der Bundesvorsitzende des Arbeitnehmerflügels CDA gilt vielen in der CDU als soziales Gewissen der Partei.
Größte Herausforderungen:
Karl-Josef Laumann will die medizinische Versorgung im ländlichen Raum von NRW verbessern, indem eine zehnprozentige Landarztquote beim Medizinstudium eingeführt wird. Für Hochschulpolitik ist er allerdings nicht zuständig. Fraglich ist, ob die alte Rivalität zu Laschet nicht doch irgendwann wieder aufbricht.
Europa-Ministerium
Stephan Holthoff-Pförtner (CDU)
Der 68-Jährige wird als Europaminister quasi der Außenminister der neuen Landesregierung. Einer größeren Öffentlichkeit ist er als Vertrauter und Anwalt des verstorbenen Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl bekanntgeworden. In der CDU-Spendenaffäre konnte er erreichen, dass das Ermittlungsverfahren wegen Untreue gegen Kohl gegen Zahlung von 300.000 DM eingestellt wurde. Holthoff-Pförtner ist Gesellschafter der Funke Mediengruppe, die in Nordrhein-Westfalen unter anderem die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ herausgibt. In der NRW-CDU ist der Jurist als Schatzmeister für die Parteifinanzen zuständig.
Größte Herausforderungen:
Sein Job wird es sein, Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union in Brüssel und im Zusammenspiel mit den Beneluxländern mehr Gewicht zu verschaffen. Zu den Kernaussagen der beiden Koalitionspartner CDU und FDP zählt, NRW an die Spitze der Bundesländer zu führen. Das geht nicht ohne ein verstärktes Gewicht in Europa.
Ministerium für Umwelt
Christine Schulze Föcking (CDU)
Die 40-jährige Mutter von zwei Kindern leitet das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Politikerin aus dem Münsterland kennt ihr Ressort aus der Praxis – sie ist Landwirtin und führt einen eigenen Betrieb. Als junge Frau baute Schulze Föcking, damals Chefin der Landjugend Westfalen-Lippe, eine Internet-Börse für partnerlose Landbewohner mit auf. Im Landtag gehörte sie zu den schärfsten Kritikerinnen ihres Vorgängers Johannes Remmel (Grüne), dessen Nachfolge sie jetzt antritt.
Größte Herausforderungen:
Schulze Föcking muss ein Haus in den Griff bekommen, in dem viele Schlüsselpositionen mit Beamten besetzt sind, die von den Grünen geholt wurden. Dass die Ministerin einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb leitete, ist nicht ohne Risiko. Die Opposition wird den Hof genau im Blick behalten. Sollten dort Pannen passieren oder gar Tiere verenden, kann das zur Belastung für ihre Amtsführung werden.