Immer neue Anschläge schüren Ängste vor Asylbewerbern. Die dadurch angeheizte Debatte ruft auch bei Zuwanderern Verunsicherung hervor.
MigrationAufgeheizte Debatte um Asyl verunsichert viele Menschen in Oberberg

Die oberbergischen Beratungsstellen berichten von einem großen Andrang von Geflüchteten, die von der politischen Debatte verunsichert sind.
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Die Migration ist im Endspurt des Bundestagswahlkampfs wieder zum großen Reizthema geworden. Aber wie problematisch ist die Lage in Oberberg tatsächlich? Und wie reagieren die Asylsuchenden selbst auf die Diskussion? Antworten kann man bei den Menschen bekommen, die sich hauptberuflich mit Zuwanderern beschäftigen.
Zum Beispiel Gabriele Goldschmidt. „Die Menschen sind stark verunsichert. Sie haben Angst, ihren Status zu verlieren, abgeschoben zu werden“, stellt die Leiterin der Abteilung Integration und Beschäftigung des Caritasverbands in Gummersbach mit Blick auf ihre Klienten fest. Sie beobachtet zurzeit mehr Zulauf von Geflüchteten in den Beratungsstellen in Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. „Viele fragen sich, was wird jetzt aus uns? Was passiert, wenn es eine neue Bundesregierung gibt?“
Auch in der Beratungsstelle für ausländische Flüchtlinge der Diakonie in Gummersbach wirke sich die scharfe Diskussion der Politik um Migration und Asyl unmittelbar aus, sagt Leiterin Belma Hadžerić. Der dortige Sozialberater Omar Sabalbal sagt, dass er sich sogar um die eigene Zukunft sorgt, obwohl er doch nach mehr als 30 Jahren in Oberberg bestens integriert ist. „Aber ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Kann es so weit kommen, dass mir die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wird?“
Andrang bei den oberbergischen Beratungsstellen
Dabei fällt er keineswegs auf die Panikmache in den sozialen Medien herein – anders als viele der Geflüchteten, die er berät. Zwar wurden in Oberberg offenbar keine gefakten Tickets verteilt, die Asylsuchenden einen Rückflug für den 23. Februar in Aussicht stellen. Doch viele hätten die Tickets auf Facebook und Co. gesehen – und für bare Münze genommen, berichtet Sabalbals Kollege Hussein Al Safar.
Viele seien aus ihren Heimatländern vor Willkür und Gewalt geflohen, sagt Gabriele Goldschmidt. „Ich versuche dann regelmäßig zu beruhigen. Hier gibt es einen Rechtsstaat, eine Verfassung und Gesetze, die man nicht im Handstreich ändern kann.“
Die Sorge um den Familiennachzug treibt derzeit viele Geflüchtete mit subsidiärem Schutz um, berichten die Berater. „Sie haben seit Jahren alles gemacht, Deutsch gelernt, sie arbeiten darauf hin. Und die Familie ist doch ein wichtiger Faktor für soziale Integration“, gibt Hadžerić zu bedenken. Soll alles umsonst gewesen sein? „Die Menschen wollen sich ja integrieren.“
Manche lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße.
Die Betroffenen spüren die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas. Ganz gleich, mit welchem Status sie hier leben. Spontan fallen den Beratenden Beispiele von Beschimpfungen und Aggressionen ein.„Arbeitgeber nötigen Mitarbeiter zu vielen Überstunden und nutzen sie aus – denn wer seinen Job verliert, riskiert damit auch seinen Aufenthaltsstatus“, weiß Al Safar und erzählt von dem Mann, der Zeuge eines Verkehrsunfalls war und dessen Duldung auf dem Spiel stand, weil er im Polizeiregister stand.
Gaby Weiss, Gründerin des Wipp e.V., die zusammen mit anderen Ehrenamtlichen seit 2014 Geflüchtete berät, schildert, dass viele von ihnen jetzt „eine große Angst erleben“. Die Angst, die sie bewegt hat, ins sichere Deutschland zu fliehen, hole sie wieder ein. „Manche lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße.“
Zahlen in Oberberg sind stabil
„Was führt zu dieser Verschärfung?“, fragt sich Hadžerić von der Diakonie, die in über 30 Jahren eine Reihe von Änderungen des Asylrechts erlebt hat. Die Zahl der Geflüchteten könne es nicht sein: Mit rund 790 Ratsuchenden im Jahr sei sie nur unwesentlich höher als 2023, als 680 Personen die Beratungsstellen Gummersbach, Hunsheim und Marienheide besuchten. Auch Goldschmidt von der Caritas beobachtet mit 850 Personen in 2024, davon 95 mit Asyl, 72 mit Duldung und 89 ohne Aufenthaltsstatus, nur einen leichten Anstieg. Vor allem Syrer, deren Asylanträge zurzeit auf Eis liegen, erkundigten sich zurzeit nach Möglichkeiten der Rückkehr.
Der Oberbergische Kreis meldet, dass es derzeit 756 Personen im laufenden Asylverfahren gibt, vor einem Jahr waren es 942, vor zwei Jahren 772. Ähnlich stabil ist die Zahl der abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerber (derzeit: 353, 2024: 364, 2023: 642) und der Personen mit humanitärem Aufenthaltsrecht (derzeit: 4967, 2024: 4858, 2023: 4361).
Zur aufgeheizten politischen Diskussion tragen immer neue Gewalttaten bei. Wie denken die Berater darüber? „Wer kriminell ist, der wird bestraft und dem wird keine Aufenthaltserlaubnis erteilt“, macht Al Safar deutlich. „Aber durch Abschiebungen wird man Kriminalität generell nicht verhindern.“ Und was wissen die Berater über Delikte von Geflüchteten, die bei der Diakonie beraten werden? Eine – nicht repräsentative – Antwort gibt Omar Sabalbal, der in über 30 Jahren Tausende von Gesprächen geführt hat: „Soweit ich weiß, gab es keinen einzigen Fall von schwerer Kriminalität. Es kommt vor, dass mal jemand ohne Führerschein oder ohne Fahrschein unterwegs ist.“ Aber könne man denn sicher sein, dass selbst Bagatelldelikte in Zukunft nicht als Gründe für eine Abschiebung gewertet werden? fügt er hinzu. „Wo ist da die Grenze?“
Deutschland brauche die Arbeitskräfte, versucht Omar Sabalbal Sorgen zu beschwichtigen. „Ich gehe davon aus: Wer sich integriert, wer arbeitet und sich an die Regeln hält, dem wird nichts passieren.“ Belma Hadžerić erinnert an Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Menschenwürde ist unantastbar. Das gilt für alle. Darauf sollten wir uns besinnen.“
„Kein überproportionales Einsatzaufkommen"
Felix Schulmeister ist Dienstgruppenleiter in Gummersbach und Vorsitzender der Kreisgruppe der Gewerkschaft der Polizei.
Welche Probleme hat die oberbergische Polizei mit Asylsuchenden?
Felix Schulmeister: Natürlich begehen diese Leute auch Straftaten. Ein überproportionales Einsatzaufkommen im Zusammenhang mit Asylbewerbern ist in Oberberg aber für mich nicht erkennbar. Dadurch, dass es viele Menschen sind, stellen sie natürlich eine Herausforderung dar, etwa bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt. Die Polizei in NRW wird darauf aber schon in der Ausbildung gut vorbereitet. Übersetzungssoftware ist eine wichtige Hilfe. Vor allem aber geht es um interkulturelle Kompetenz. Es gilt, Vertrauen bei Menschen zu schaffen, die aus Systemen kommen, in denen die Polizei erstmal zuschlägt, bevor sie mit einem redet. Es hilft uns, dass wir mit den Flüchtlingsberatungsstellen gut vernetzt sind.
Die Anschläge wie zuletzt in München machen vielen Menschen Angst. Muss man sich auch in Oberberg sorgen?
Das sind schlimme Ereignisse, aber eben auch nur Einzelfälle. Oberberg ist von solchen Islamisten bisher weitgehend verschont geblieben. Typischer für die Geflüchteten hier bei uns sind die Familien aus der Ukraine oder Syrien, die froh sind, dass sie nachts keine Bomben mehr hören müssen.
„Die Debatte ist aufgeheizt und unsachlich“
Matthias Thul ist Bürgermeister der Stadt Bergneustadt und Sprecher des Arbeitskreises der oberbergischen Rathauschefs.
Haben wir in Oberberg zu viele Flüchtlinge? Wie ist die Lage in Bergneustadt?
Matthias Thul: Für Bergneustadt kann ich sagen, dass wir die Lage gut im Griff haben. Wir werden nicht überschwemmt, die Wohnungssituation ist entspannter als in den Vorjahren. Die Zahl bleibt auf einem stabilen Niveau.
Was ist die Ursache für diese Entwicklung?
Die Grenzkontrollen scheinen zu wirken und haben offenbar einen Abschreckungseffekt. Davon abgesehen sind wir in Hab-Acht-Stellung wegen der unsicheren Situation in der Ukraine. Ein Problem habe ich eher mit straffälligen Ausreisepflichtigen.
Ist die Zahl der Asylbewerber ein Sicherheitsproblem?
Sie ist einer von vielen Faktoren. Bei einem Fall, der hier in Bergneustadt Wellen geschlagen hat, handelte es sich um einen Gewalttäter mit Aufenthaltsrecht. Die gefühlte und die tatsächliche Sicherheitslage gehen weit auseinander, aber das wollen viele nicht hören. Da wird dann ein junger Mann mit Kapuze im Gesicht für einen gefährlichen Islamisten gehalten, obwohl es tatsächlich ein Grieche ist, der hier geboren wurde. Die Debatte ist aufgeheizt und unsachlich.