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„Haftstrafe oft unverhältnismäßig“In Bonn wird bei Schwarzfahrten künftig keine Anzeige mehr erstattet

Lesezeit 3 Minuten
Der Zentrale Busbahnhof in Bonn.

Der Zentrale Busbahnhof in Bonn.

Strafanzeigen können laut Bürgerantrag bei Verschuldung oder Obdachlosigkeit zu Haftstrafen führen und soziale Ungleichheit verschärfen.

Die Stadt Bonn hat angekündigt, dass beim Schwarzfahren im ÖPNV keine Strafanzeige mehr erstattet werden sollen. Das beschloss der Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung. Der VRS sieht das Vorgehen kritisch.

Gegen Personen, die in Bonn vor allem wiederholt schwarzfahren, also Bus oder Bahn ohne eine gültige Fahrkarte nutzen, wird dann durch die Stadtwerke Bonn keine Anzeige mehr erstattet – ein sogenanntes erhöhtes Beförderungsentgelt von 60 Euro muss aber weiterhin gezahlt werden.

Nach dem Paragraf 265a im Strafgesetzbuch kann auch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet werden, darauf werde jedoch in Zukunft verzichtet, so die Stadtverwaltung. Auch laufende Strafanträge würden zurückgezogen.

Geldstrafe sollen ausreichendes Abschreckungsmittel sein

Der Entscheidung ging ein Bürgerantrag im Ausschuss für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Sommer 2024 voraus. Im Bürgerantrag sprach man sich dafür aus, auf die Strafanzeige bei (wiederholtem) Schwarzfahren zu verzichten, um „soziale Ungleichheit“ nicht weiter zu verschärfen. Das Schwarzfahren solle so entkriminalisiert werden, da auch eine Geldstrafe bereits ein ausreichendes Abschreckungsmittel sei. Das würden ähnliche Vorgehensweisen bei vergleichbaren Vergehen wie Falschparken schon zeigen, heißt es im Antrag.

Hintergrund ist, dass ein Gefängnisaufenthalt drohe (eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe), wenn die Geldstrafe für das Schwarzfahren nicht bezahlt werden könne. Gefängnisstrafen träfen laut Antrag aber häufig Menschen, die sowieso schon von Überschuldung, Arbeitslosigkeit oder psychischen Beeinträchtigungen, Suchtkrankheiten oder auch Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen seien. Demnach verbüßen in Deutschland schätzungsweise rund 56.000 Menschen jährlich eine solche Ersatzfreiheitsstrafe, ein Viertel davon wegen Schwarzfahrens.

Ausgrenzung und soziale Ungleichheit können durch Strafanzeige verschärft werden

Zudem könne zwar die Gefängnisstrafe mit gemeinnütziger Arbeit getilgt werden. Jedoch sei es für Menschen ohne nötige Kenntnisse kaum möglich, den entsprechenden Antrag dafür fristgerecht zu stellen, beispielsweise wegen fehlender Deutschkenntnisse oder fehlendem festen Wohnsitz. Das verschärfe nur die Ausgrenzung bestimmter Gruppen in Bonn sowie die soziale Ungleichheit.

Eine strafrechtliche Verfolgung stelle bei einem solchen vergleichsweise trivialen Vergehen zusätzlich eine erhebliche Ressourcenverschwendung dar, so der Bürgerantrag. Bundesweit koste das die Allgemeinheit beim Justizvollzug rund 200 Millionen Euro jährlich. Die Antragstellenden verweisen auf andere Städte, in denen die Praxis, auf Strafanzeigen beim Schwarzfahren zu verzichten, schon umgesetzt wird, wie Düsseldorf, Bremen und auch Köln.

Verkehrsverbund Rhein-Sieg fürchtet steigende Quote von Schwarzfahrern

Gegen einen Verzicht auf Strafanzeigen sprach sich der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) in einer Stellungnahme aus. Man sehe das Vorhaben „äußerst kritisch.“ Nach Meinung des VRS sei es essenziell, den Straftatbestand beim Schwarzfahren beizubehalten, um „wirtschaftliche Schäden der Verkehrsbranche zu begrenzen.“ Demnach träfe Schwarzfahren die ÖPNV-Branche ähnlich hart, wie Diebstahl den Einzelhandel.

Der VRS fürchtet eine negative Signalwirkung, wenn die Strafbarkeit beim Schwarzfahren wegfalle, sodass die Quote von Menschen ohne gültigen Fahrausweis deutlich steigen könnte. Das wiederum würde zu Einnahmenverlusten im ÖPNV führen, wodurch möglicherweise erhöhte Ticketpreise oder Verlustausgleichszahlungen nötig werden könnten.

Entgegen der Kritik des VRS sieht die Stadtverwaltung in ihrer Stellungnahme in dem Vorgehen eine Möglichkeit, nicht verhältnismäßige Haftstrafen zu vermeiden. Insbesondere bei Fällen, in denen eine Gefängnisstrafe erfolge, weil die Geldstrafe nicht bezahlt werden kann, führe das dazu, dass „sich die Situation der mittellosen Täter/innen weiter verschlechtert“. Demnach sei der Gedanke, der „auf Bundesebene intensiv diskutierten Abschaffung der Strafbarkeit einer Beförderungserschleichung zuvorzukommen, durchaus bedenkenswert“.

In der Abstimmung im Stadtrat setzte sich die Mehrheit aus Grüne, SPD, Linke und Volt gegen die Stimmen der CDU, FDP, Bürger Bund Bonn (BBB) und AfD durch.