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BundestagSo haben die Abgeordneten aus Oberberg die ersten 100 Tage in Berlin erlebt

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Am 26. Oktober 2021 hatte der neue Bundestag in Berlin seine konstituierende Sitzung.

Oberberg – Am 26. Oktober 2021 hatte der neue Bundestag in Berlin seine konstituierende Sitzung. 100 Tage sind seitdem vergangen. Mit dabei ist neben dem wiedergewählten Direktkandidaten Dr. Carsten Brodesser (CDU) auch Sabine Grützmacher (Grüne). Im Gespräch mit Frank Klemmer ziehen beide ihre ganz eigene 100-Tage-Bilanz.

Herr Brodesser, nach Ihren ersten vier Jahren im Bundestag als Mitglied einer Regierungsfraktion sind Sie in der Opposition angekommen. Ist die berühmte Oppositionsbank tatsächlich härter?

Brodesser: (schmunzelt) Nein, die Stühle im Bundestag sind für uns genauso „weich“ oder „hart“ wie vorher. Auch wenn die Regierung von unserer Fraktion in der Vergangenheit gestützt wurde, so waren wir zunächst einmal immer eine konstruktiv-kritische Fraktion und nicht ausschließlich Regierungspartei. Und gerade in der Finanzpolitik, in der ich aktiv bin, waren wir ja mit einem Minister Olaf Scholz als CDU-Fraktion eigentlich auch schon vorher in der Opposition.

Dr. Carsten Brodesser fühlt sich immer noch als Novize.

Also hätte die CDU die 100 Tage gar nicht gebraucht, um als Opposition durchzustarten?

Brodesser: Na ja, ganz so einfach ist es dann doch nicht – und es dauert auch länger als 100 Tage, sich da umzustellen. Es ist schon eine Herausforderung, wenn der gesamte Fraktionsapparat in den vergangenen 16 Jahren überwiegend die Regierungsbrille auf hatte und nun als Opposition die Regierungsarbeit kritisch begleiten soll. Das ist schon ein Paradigmenwechsel. Man muss lernen, das gesamte Instrumentarium der parlamentarischen Kontrolle auszuschöpfen. Von einem routinierten Umgang mit Regierungsanfragen kann man also derzeit weder bei der Regierung noch bei den Oppositionsfraktionen sprechen.

Ihre Fraktion, Frau Grützmacher hat da ein ganz anderes Problem. Haben sie als Grüne sich schon daran gewöhnt, Regierungsfraktion zu sein?

Grützmacher: Zunächst einmal darf keine Fraktion ein Problem damit haben, sich darauf einzulassen, wenn sie gestalten will. Aber es ist natürlich ein absoluter Wechsel (lächelt). Die Kleinen Anfragen haben die Grünen jedenfalls sehr gut beherrscht. Auch wenn ich nie den Eindruck hatte, dass sie sie nur genutzt hätten, um die Regierung zu ärgern.

Brodesser: Ums persönliche Ärgern geht es ja auch nicht, das stimmt. Eher um eine konstruktive Oppositionsarbeit, die ein notwendiges Korrektiv für das Regierungshandeln sein sollte.

In Berlin erst zurechtfinden musste sich nicht nur die Gummersbacherin Sabine Grützmacher.

Grützmacher: Für mich als Neuling im Parlament ist ohnehin keine Umstellung, denn ich kenne die andere Sichtweise ja gar nicht. Aber im Rest der Fraktion gibt es gerade viele, die umdenken müssen. Zudem gibt es viele Personalwechsel und Referenten für Fachbereiche, die neu hinzukommen. Das sortiert sich gerade noch. Und ich bin ja auch längst nicht die einzige Neue, die dann auch noch fragt: ,Wie ist das denn so?’

Welche Rolle spielt dabei die Ampel?

Grützmacher: Es wird natürlich dadurch nicht einfacher, wenn man das Regierungshandeln immer mit zwei völlig anderen Parteien abstimmen muss. Das hat es so ja auch noch nicht wirklich gegeben. Organisatorisch ist das für alle ein großes Lernfeld – ein harter Start mit einer steilen Lernkurve.

Wohin hat es Sie im Bundestag denn verschlagen?

Grützmacher: Ich bin Mitglied im Finanzausschuss und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, zudem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Digitales sowie im Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Wie kamen Sie denn in die Finanzpolitik?

Grützmacher: Ich habe einfach ein Herz für digitale Themen. Und davon gibt es da mit Fin-Tech oder Kryptowährungen einige sehr spannende Themen, die alles andere als langweilig sind. Außerdem bin ich ja über meine beruflichen Kenntnisse, was Fördermittel betrifft, die mich auch in den EU-Ausschuss geführt haben, mit Finanzthemen durchaus schon vertraut.

Da treffen Sie ja dann ja auch auf Herrn Brodesser.

Brodesser: Stimmt, da haben wir uns auch schon gesehen. Ich bin da weiterhin Mitglied, zudem als Stellvertreter im Petitionsausschuss und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

Ist für Sie die Reform des Rentensystems unter anderem weiterhin Ihr Thema, auch wenn Sie sie jetzt zunächst nicht mehr aktiv mitgestalten können?

Brodesser: Bei meiner Zuständigkeit zum Thema „Altersvorsorge“ ging es nicht um die gesetzliche Rentenversicherung, die im Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt wird, sondern um die Rahmenbedingungen der privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Bei dieser Frage, was Menschen tun können, um die Versorgungslücke im Alter schließen zu können, gab es eine Reihe von Initiativen, die aber vom damaligen Finanzminister blockiert wurden.

Außer im Finanzausschuss: Sind Sie sich als oberbergische Abgeordneten schon öfter begegnet?

Brodesser: Tatsächlich sonst erst zweimal zufällig irgendwo im Gebäude, oder?

Grützmacher: Ja, stimmt.

Brodesser: Wir haben immer mal nach einem Termin gesucht, um uns mit unseren Büroteams zusammenzusetzen und zu sehen, ob wir gemeinsam vielleicht noch einige oberbergische Themen voranbringen können.

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Hätten Sie, Herr Brodesser, denn für Frau Grützmacher dann auch noch den ein oder anderen Tipp parat?

Brodesser: Ganz ehrlich? Ich fühle mich selbst immer noch wie ein Novize, obwohl ich jetzt schon in die zweite Runde gehe. Der Bundestag ist einfach ein Massenbetrieb. Da bin ich damals selber erstmal planlos herumgelaufen. Man ist automatisch ein Getriebener des Kalenders. Und die alten Hasen, von denen dann immer die Rede ist, die helfen einem auch nicht wirklich – denn sonst würden sie ja selbst nicht mehr von ihrem Erfahrungsvorsprung profitieren.

Wie konkret können Brodesser und Grützmacher denn für Oberberg zusammenarbeiten?

Grützmacher: Das tun wir ja auch jetzt schon sehr konkret. Wir haben ja in Oberberg eine Wirtschaft mit sehr vielen ambitionierten Unternehmern, die auch nach Unterstützung durch die Bundespolitik suchen. Für die ist Herr Brodesser als Direktkandidat oft immer noch erster Ansprechpartner – und das ist ja auch gut so.

Brodesser: Andererseits braucht man, zum Beispiel bei Förderbescheiden, auch einen direkten Draht in die Ministerialbürokratie. Wenn Sachen da liegenbleiben und die Betroffenen warten müssen, ist das längst nicht immer ein Politikum, das etwas mit Parteizugehörigkeit zu tun hat. Die Exekutive entwickelt da schon mal ein Eigenleben Dann ist es auf jeden Fall gut, von verschiedenen Seiten nachfassen zu können und sich die Bälle zuzuspielen.