Oberberg – In den vergangenen zweieinhalb Jahren standen das Gesundheitsamt des Oberbergischen Kreises und seine Leiterin Kaija Elvermann permanent im Fokus. Jetzt steigen die Infektionszahlen wieder, aber Elvermann wirkt entspannter als früher. Warum das so ist, darüber sprach Frank Klemmer mit ihr.
Oberberg hat viele Corona-Fälle, eine Inzidenz von über 700, aber dennoch wirken Sie, Frau Elvermann, deutlich entspannter als in früheren Phasen der Pandemie. Ist Ihre Arbeit wirklich plötzlich so einfach geworden?
(lächelt) Na ja, ganz so ist es nicht. Wir haben immer noch eine Menge zu tun. Die Meldepflicht für jeden einzelnen laborbestätigten Fall einer Infektion mit dem Virus ist immer noch da – und sie wird auch weiter bleiben. Wir melden nach wie vor 400 bis 600 Fälle pro Tag. Das ist schon viel Arbeit.
668 neue laborbestätigte Fälle hat der Kreis nach dem Wochenende zum Stand Dienstag, 0 Uhr, an das Landeszentrum Gesundheit (LZG) NRW gemeldet. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Oberberg steigt damit weiter an auf jetzt 707,8. Zudem ist aktuell ein weiterer Todesfall im Zusammenhang mit der Pandemie registriert worden. Der Kreis berichtet, dass ein 80-Jähriger aus Marienheide an oder mit dem Virus gestorben ist. Die Gesamtzahl seit Beginn steigt damit auf 444.
Aus dem am Dienstag veröffentlichten Wochenbericht des Kreises geht hervor, dass die Zahl der per PCR-Test erfassten Corona-Fälle steigt. Gab es in der zweiten Juni-Woche noch 1336 Neuinfektionen, waren es in der vergangenen Woche bereits 1777 – ein Plus von 441 Fällen. In beinahe allen Kommunen wurden im Vergleich zur Vorwoche mehr Fälle registriert, die meisten in Gummersbach (+135), Marienheide (+58) und Wiehl (+56). Weniger Fälle gab es nur in Morsbach (–12) und Wipperfürth (–3).
Als aktuell infiziert gelten Stand Montag 2043 Oberberger. In der Vorwoche waren es nur 1442. Die meisten Fälle listet der Kreis für Gummersbach (360) auf, gefolgt von Wiehl (262) und Reichshof (192). Die wenigsten Fälle hat Morsbach (51). In einem Krankenhaus behandelt werden Stand Montag 27 positiv getestete Oberberger (Vorwoche: 17), von denen drei auf Intensivstation liegen (1).
Mit den aktuell registrierten Zahlen gehört Oberberg einmal mehr zu Beginn einer Welle zu den Kreisen mit den höheren Inzidenzwerten in NRW. Der höchste Wert wird aktuell aus Coesfeld gemeldet (1345). Höher als in Oberberg ist die Inzidenz auch im Hochsauerlandkreis (786), im Märkischen Kreis (780), in Euskirchen (778), Höxter (774), Warendorf (771) und im Rhein-Erft-Kreis (719). (kmm/ag)
Im öffentlichen Dienst
Neben der Leitung des Gesundheitsamtes hat Kaija Elvermann jetzt eine weitere Funktion. Jüngst wurde Elvermann zur stellvertretenden Vorsitzenden des Landesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst gewählt.
Während der Vorsitzende Dr. Emanuel Wiggerich als Leiter des Oberhausener Gesundheitsamtes den Gesundheitsdienst in den Großstädten repräsentiere, fällt diese Aufgabe Elvermann für die Landkreise zu. Die neue Funktion erlaube zeitweise auch Rollenwechsel. „Das passiert jetzt manchmal“, sagt sie während des Interviews.
Dann spreche sie nicht mehr für das Gesundheitsamt in Oberberg, sondern für Mediziner im Gesundheitsdienst. Dass deren Arbeit seit Corona neue Aufmerksamkeit genieße, freut Elvermann. Denn: „Dadurch gibt es erhebliche Investitionen in das Personal und in die Digitalisierung.“ (kmm)
Vor zwei Jahren sank die Zahl der Neuinfektionen pünktlich zu den Sommerferien auf 0 und blieb da fast vier Wochen. Im Vorjahr pendelte die Inzidenz im Sommer zwischen 10 und 15. Jetzt ist sie auf einem Niveau, wo früher die Schulen längst geschlossen waren. Was ist das in Oberberg? Die Schützenfest-Welle?
Es betrifft ja nicht nur Oberberg. Es sind vor allem zwei Dinge: eine ansteckendere Variante, aber auch die weggefallenen Schutzmaßnahmen. Die Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5 verbreitet sich rasend schnell. Inzwischen machen die Omikron-Sublinien in Deutschland schon etwa 50 Prozent der Fälle aus. Und wir haben eine andere Teststrategie. Es werden längst nicht mehr alle Fälle über PCR-Tests, also laborbestätigt erfasst. Es ist zwar Spekulation, aber man kann aus den Erfahrungswerten anderer Infektionen durchaus davon ausgehen, dass die Dunkelziffer mindestens vier- bis fünfmal so hoch liegt. Die Zahl der Schnelltests in den Testzentren, die positiv sind, liegt jedenfalls so hoch wie nie zuvor und beträgt aktuell über 10 Prozent der durchgeführten Tests.
Und trotzdem sehen Sie das mit der Eigenverantwortung ganz entspannt?
Ja, weil gleichzeitig die Hospitalisierungsquote in den letzten Wochen niedrig geblieben ist. Trotz der hohen Fallzahlen, die in der Vergangenheit zu einer deutlichen Zunahme schwerer Verläufe geführt haben, liegen aktuell weniger Patienten in den Krankenhäusern und noch weniger auf den Intensivstationen. Die weitere Tendenz bei Zunahme der Variante BA.5 bleibt jedoch in den nächsten Wochen abzuwarten.
Also ist Corona jetzt tatsächlich eine Sommergrippe?
Nein, der Vergleich hinkt weiter. Ja, beide zählen zu den akuten Atemwegserkrankungen – kurz ARE –, aber der Verlauf kann völlig unterschiedlich sein. Die akuten Atemwegserkrankungen werden deutschlandweit regelmäßig aus bestimmten Arztpraxen und Kliniken ans Robert- Koch-Institut gemeldet, auch schon vor Corona. Interessant ist nun die Ähnlichkeit in der Verbreitung: Die ganze Zeit über verliefen die Kurven bei Corona ähnlich wie die bei den anderen Atemwegserkrankungen auch. Trotzdem muss hier zwischen Sars-Cov2 und anderen Viren differenziert werden. Insgesamt steigt aber die Rate der akuten Atemwegsinfektionen durch verschiedene Viren aktuell ganz sommeruntypisch an.
Was bedeutet das für die Menschen in Oberberg? Egal ob Schützenfeste oder anderes: Können sie wieder bedenkenlos in Innenräumen feiern?
Die Leute haben Nachholbedarf und freuen sich, endlich wieder das zu tun, was sie vor der Pandemie getan haben. Das kann ich verstehen. Aber nüchtern betrachtet bleibt da natürlich ein vor allem individuelles Risiko. Omikron mit seinen Varianten ist nicht unbedingt harmloser als alles zuvor, es trifft aber auf eine immunisiertere Bevölkerung – dank Impfungen, aber auch durch hohe Infektionszahlen. Allein in den Grundschulen geht man inzwischen davon aus, dass zirka 80 Prozent der Schüler schon einmal mit dem Virus in Berührung gekommen ist.
Andererseits gibt es nach wie vor viele Menschen, die nicht immun sind. Nicht nur Menschen, die nicht geimpft sind, sondern zum Beispiel auch solche, die aufgrund von Erkrankungen nicht ausreichend Antikörper bilden können. Zudem gibt es auch Long-Covid-Fälle bei milderen Verläufen, das sollte man bei aller Feierlaune bedenken. Außerdem steigt bei hohen Fallzahlen die Wahrscheinlichkeit, dass eine weitere, gefährlichere Mutation entsteht. Auch dies sind biologische Gesetzmäßigkeiten die man kennen sollte, um zu entscheiden, ob man mit vielen Menschen in Innenräumen feiern will.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit im Gesundheitsamt?
Es bedeutet eine andere Strategie. Damals 2020, als wir noch nicht wussten, was das Virus bewirkt, als wir all die schweren Verläufe und die vielen Erkrankten, die zum Beispiel in Italien gestorben sind, gesehen haben, ohne dass wir ein Mittel dagegen hatten, daher gab es nur ein Ziel bei der Nachverfolgung: Unterbrechung von Infektionsketten und Eindämmung, sogenanntes Containment. Davon sind wir heute ganz weit weg, vor allem auch dank der Impfstoffe, die weiter an die Varianten angepasst werden. Jetzt heißt das Ziel: Protection and Mitigation – Schutz und Milderung, vor allem für ältere Menschen, Kranke, solche mit wenig Immunsystem und die keine Antikörper bilden. Zudem ist der Schutz der kritischen Infrastruktur wichtig. Wenn da alle gleichzeitig krank werden, kann das übel enden.
Das ist Ihre Strategie. Aber welche empfehlen Sie den Menschen draußen – und vor allem drinnen –, wo es keine Makenpflicht mehr gibt?
Eigentlich hat sich überhaupt nichts geändert – nur dass es keine Pflicht mehr gibt, sondern dass wir auf Eigenverantwortung setzen. Wir wissen aus vielen wissenschaftlichen Studien, dass Masken als Schutz funktionieren. Selbst wenn es trotz Maske zu einer Ansteckung kommt, ist die Viruslast deutlich geringer. Das verringert die Gefahr eines schweren Verlaufes und die Gefahr andere anzustecken. Das gilt genauso für das Lüften von Räumen und ebenso für die Impfungen, auch wenn sie bei der Omikron-Variante nicht so sicher vor der Ansteckung selbst schützen. Es sind dieselben Regeln, die mal Pflicht waren. Der Unterschied ist nur, dass es jetzt eben noch mehr in die Verantwortung jedes Einzelnen gelegt ist, dafür zu sorgen, dass er sich und andere schützt.