Köln – Diese Ferien sind eine Rarität. Zu Pfingsten eine Woche schulfrei gab es in Nordrhein-Westfalen zuletzt 1966. Das Wetter soll auch stimmen: 25 Grad und Sonne. Also genießen Sie es. Am besten mit unseren Mikroabenteuern – einem Trend aus England. Gemeint sind Alltagsfluchten mit einer ordentlichen Portion Herausforderung. Sie kosten nichts, bringen uns aber an unsere Grenzen. Und geben uns Kraft. Weil wir neues Terrain betreten. Oder wann haben Sie zuletzt auf dem Balkon geschlafen? Oder sind zum Dom gepaddelt?
Mit dem Rennrad nach Berlin
Christo Förster ist auf dem Sprung. Sein Körper, braun gebrannt und sehnig, ist gespannt wie eine Feder. Seine Zehen drücken sich vom Boden ab. Startblock, denkt man. Dabei schält Förster nur eine Paprika. In das Geäst einer Weide im Rheinpark hat er seine Hängematte geknotet. Gaskocher und eine Tüte mit Couscous stehen bereit. Förster trägt Flipflops, gleich wird er sich in die Hängematte schwingen, die Hände hinter dem Kopf falten und in das Blattwerk blicken. Und doch ist es nicht Müßiggang, was ihn bestimmt. Christo Förster ist ehrgeizig. Kein Huck Finn. Eher ein Robinson. Ihn treibt die Sehnsucht. Ständig. Schon seit immer.
Es ist ein Jahr her, dass der Hamburger, der in Köln studierte, das Mikroabenteuer für sich erfand. Bei einem Telefonat mit einem Berliner Freund wurde vereinbart: Morgen Frühstück in der Hauptstadt. Und dann bucht Förster keinen Zug, sondern holt das Rennrad aus dem Keller und fährt los Richtung Südost. Er tritt. Mit kurzen Pausen. Ohne zu schlafen. „Nach 324 Kilometern kam ich völlig fertig am Brandenburger Tor an.“ Nach dem Frühstück nimmt der 40-Jährige den Zug zurück und ist 24 Stunden nach Beginn des Abenteuers wieder zu Hause.
„Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich wusste: Du musst gar nicht so weit und gar nicht so lange weg, um unglaublich viel zu erleben.“ Sein britisches Vorbild: Alastair Humphreys, der die Abenteuer vor der Haustür quasi erfunden hat. „Wir haben tausend Ausreden: Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, die Kinder zu klein, die Knieschmerzen zu stark. Aber die Passivität macht uns unglücklich. Wir wollen raus und entdecken.“ Förster holt aus, spricht von der Sehnsucht nach Naturerlebnissen. Angelegt in unseren Genen kommt sie uns zwischen Computer und Whatsapp abhanden, spaziert aber irgendwann wieder zur Tür herein. Und zwar in Form einer lähmenden Unzufriedenheit.
Wenn Förster spricht, dann bewegt sich nicht nur sein Mund. Sein Adamsapfel fährt die Kehle auf und ab, seine Augenbrauen strecken sich in die Stirn hinein, seine Hände malen Ausrufezeichen in die Mailuft. „Ein Abenteuer kann man auch zwischen 17 Uhr bis Sonnenaufgang erleben.“
„Erholung lässt sich nicht auf Vorrat anlegen“
Den Alltag mit kleinen Herausforderungen zu durchsetzen, statt das ganze Jahr hindurch auf die eine Urlaubsreise zu warten, deren Erholungswert Studien zu Folge nach nicht einmal einer Woche im Job wieder dahin ist – das ist nicht nur Försters persönliches Glücksgeheimnis, sondern auch ein Ratschlag, den Forscher wissenschaftlich untermauern. Die Psychologin Jessica de Bloom von der finnischen Universität Tampere hat Touristen befragt, die sich einen sehr langen Sommerurlaub von durchschnittlich 23 Tagen gönnen, und herausgefunden, dass diese genauso schnell wieder gestresst sind wie Kurzurlauber.
Gerhard Blasche, Psychologe und Erholungsforscher an der Medizinischen Universität Wien, weiß auch warum: „Erholung lässt sich nicht auf Vorrat anlegen. Wir können den Speicher auffüllen, aufbuchen geht aber nicht.“
Mit kleinen Abenteuern Ressourcen auffüllen
Aber es gibt einen Trick. Durchsetzen wir unseren Feierabend mit abenteuerlichen Reizen, füllen wir nicht nur verbrauchte Ressourcen auf, sondern gewinnen neue hinzu, sagt Christine Syrek, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „Herausforderungen geben uns das Gefühl, etwas geschafft oder gelernt zu haben. Wir erleben uns als selbstwirksam. Das trägt zur Erholung bei.“
Der Grund dafür liege in unserem Erinnerungsvermögen. Positive Erinnerungen seien wie kaum etwas anderes als Stress-Senker geeignet. „Das Gute an Abenteuern: Wir haben sie auch Jahre später nicht vergessen, weil sie so spannend waren“, sagt Syrek. In einer Untersuchung baten Syrek und ihre Kollegen Versuchspersonen, während ihres Urlaubs Aufgaben zu erfüllen, beispielsweise im fremden Land zum Frisör zu gehen. „Was bleibt, ist die Erinnerung: Ich habe etwas gemeistert.“ Ein gedanklicher Stimmungsaufheller, wenn im Alltag nicht alles klappt. „Abenteuer können Balance schaffen. Vielleicht war ich heute in der Arbeit nicht gut, aber letzte Woche habe ich ein Floß gebaut. Da war ich gut“, sagt Blasche.
Abenteuer kann sich jeder selbst ausdenken
Diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit kann man laut Förster auch vor der Haustür machen. Wichtig sei, im Kleinen seine Einstellung zu verändern. Rezepte für Einsteiger? „Schlafen Sie unter freiem Himmel.“ Zu Anfang tue es auch der eigene Balkon. Matratze drauf, Decke, Sterne, fertig. Oder: „Fahren Sie zum Bahnhof, würfeln Sie, von welchem Gleis Sie den nächsten Zug nehmen, steigen Sie ein und fahren so weit, wie Sie mit zehn Euro kommen. Und dann wandern Sie zurück.“
Abenteuer könne sich jeder selbst ausdenken, sie müssten keinen Sinn erfüllen und dürften ruhig kindisch sein, wichtig sei nur, aus der Gewohnheit auszubrechen. „Das gibt uns einen riesigen Energieschub.“ Und könne Beziehungen retten. „Drei Wochen Himalaya sind in ein Familienleben schwer integrierbar. Aber zwei Tage, um allein durch den Wald zu laufen, kann man sich freischaufeln“, sagt Förster, der selbst verheiratet ist und zwei Kinder im Grundschulalter hat.
Nach Düsseldorf Paddeln
Christo Förster knüpft seine Hängematte vom Baum. Er muss zum Hauptbahnhof. Dort lagert im Schließfach sein aufblasbares Stand-up Paddle Board, das Fortbewegungsmittel, das ihn zu seiner Lesung bringen soll. Morgen früh wird er seine Habseligkeiten wasserdicht verpacken und vom Rheinpark aus das Board zu Wasser lassen. Försters Blick fixiert den Flusslauf nordwärts. Startblock, denkt man wieder. Mit kräftigen Paddelschlägen sei die Strecke bis nach Düsseldorf in sechs Stunden zu schaffen.
Mikroabenteur in der Region
Bonn
Zu Fuß nach Kölle? Fortgeschrittene schippern. Lassen Sie sich vom SUP Store ein aufblasbares Leih-Stand-up-Board nach Hause schicken. Bestellen Sie dazu: Tasche, Pumpe und Leash (Leine). Mit dem Board geht es per Bahn nach Bonn bis zur Haltestelle Beuel, Konrad-Adenauer-Platz. Hinter der Kennedybrücke aufblasen und zu Wasser lassen. Bis zum Dom paddelt man 35 Kilometer. Wichtig: Nicht im Fahrwasser fahren, Abstand von Tonnen und Bojen halten und eine Schwimmweste tragen. Ziel ist der Rheinpark. Nur für Stand-up-Board-Erfahrene geeignet!
Monte Troodelöh
Die höchste Erhebung des Stadtgebiets an der Grenze zu Bergisch Gladbach liegt im Königsforst. Auf 118 Metern: ein Gipfelstein. Wer mag, kann sich im Wald ausruhen. Ohne Zelt ist das nicht verboten. Anfahrt mit der Linie 9.
Die Sieg
Mieten Sie einen Canadier bei Siegtours in Eitorf. Von dort kann man 35 Kilometer zum Rhein paddeln. Daran denken, dass Sie über den Rücktransport des Bootes mit dem Anbieter verhandeln müssen!
Burg Eltz
Nie in ihrer etwa 900-jährigen Geschichte konnte sie gewaltsam eingenommen werden. Fahren Sie mit dem Rad am Rhein entlang bis nach Andernach, dann über Ochtendung und Polch bis zur Burg Eltz. In den märchenhaften Wäldern findet man einen Platz zum Ausruhen. Dann geht es weiter zur Mosel bis nach Koblenz. Von dort nehmen Sie die Bahn nach Köln. Insgesamt sind das rund 160 Kilometer Radstrecke.
Engelsley
Fahren Sie mit der Regionalbahn nach Altenahr und wandern Sie an der Ahrschleife entlang. Der Fluss schlängelt sich durch saftige Hügel. Erklimmen Sie – je nach Stimmungslage – die Aussichtspunkte Engelsley oder Teufelsley und genießen Sie den Blick über den Urwald.
Cascade de Bayehon
Sie fahren mit der Regionalbahn nach Aachen, dann per Bus nach Eupen. Von dort wandern Sie auf der Monschauer Straße zur Stadt hinaus und rechter Hand ins Tal der Hill. Vor Sourbrodt verlassen Sie die Straße und orientieren sich nach Cascade de Bayehon. Auf dem Weg zu diesem tollen Wasserfall lässt es sich wunderbar rasten und schlummern. 27 Kilometer haben Sie hinter sich, wenn Sie in den Naturpool springen. Danach sind es noch 15 Kilometer bergab bis nach Monschau. Von dort geht es mit Bus und Bahn zurück.
Renesse
Mit dem Rad ans Meer. Das ist weit, aber das ist es wert. Über Mönchengladbach, Venlo, Eindhoven, Tilburg und Breda bis an die holländische Küste sind es 280 Kilometer. An drei Tagen können Geübte das schaffen. Rasten geht am besten rund um die Krickenbecker Seen und kurz vor Tilburg. Zurück mit Bus und Bahn via Rotterdam und Utrecht.
Christo Förster: „Mikroabenteuer: Raus und machen! Einfach gute Outdoor-Erlebnisse vor der Haustür“ Kindle Edition, 286 Seiten. 14,99 Euro