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„Must Have“Ausstellung im LVR-Industriemuseum geht der Geschichte des Konsums nach

Lesezeit 4 Minuten
Die Kuratorinnen Beatrix Commandeur (l.) und Annette Schrick

Die Kuratorinnen Beatrix Commandeur (l.) und Annette Schrick in der neuen Sonderausstellung.

In der Ausstellung wird die Geschichte des Konsums von Wegwerfkrägen über die Umweltbewegung bis zum Hocker aus Schrott nacherzählt.

Ob’s der Turnschuh einer bestimmten Marke ist oder das Kultfahrrad – was heute neudeutsch als „Must Have“ bezeichnet wird, ist das, was viele aus Imagegründen unbedingt haben wollen. „Früher war das ein bisschen anders“, sagt Beatrix Commandeur, tritt durch die Tür und dreht die Zeit damit um 250 Jahre zurück: „Das war das, was man heute als „Must have“ bezeichnet, das, was man unbedingt zum Leben brauchte“, sagt die Museumsmacherin und zeigt einen historischen Getreidesack und einen Kochtopf. Beide sind mehrfach geflickt und gestopft. Wegwerfen und neu kaufen, gab’s damals noch nicht. Aber schon wenig später . . .

Mit der industriellen Herstellung von Gütern nimmt auch die Geschichte des Konsums Fahrt auf. Seine Entstehung, Verwerfungen, die er produziert hat, und Gegenbewegungen im Laufe der Zeit lässt eine neue Sonderausstellung im LVR-Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach im Bergisch Gladbacher Strundetal unter dem Titel „Must Have“ jetzt hautnah im Zeitraffer nacherleben.

Beatrix Commandeur und Annette Schrick vom Museumsteam haben sie mit viel Liebe zum Detail und zahlreichen zusätzlichen Exponaten aus dem Magazin des Gladbacher Museums aus einer größeren Ausstellung zusammengestellt und neu gestaltet.

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Margarine und Getreidekaffee statt Butter und Bohnenkaffee

Vom lebenswichtigen „Must have“ des Getreidesacks ist es nur ein Katzensprung zu Spitzenborde und Pfeife, zwei jener ersten Konsumgütern vom Anfang des 19. Jahrhunderts, die es damals als Frau beziehungsweise Mann zu haben galt. „Schon um 1800 gab es ein»Journal des Luxus und der Moden«“, sagt Beatrix Commandeur und zeigt auf ein kleines Buch in einer Vitrine, in dem tatsächlich bereits ein kunstvoller Gurkenschneideapparat als unbedingt anstrebenswert angepriesen wird.

Nicht nur bürgerliche Behaglichkeit thematisieren die mehr als 400 Exponate, sondern auch das, was für weniger gut Betuchte erschwinglich war. Die Ersatzprodukte für das Angestrebte, die Margarine, die anstelle der „guten Butter“ auf den Tisch kam, der Getreidekaffee, der anstelle von teurem Bohnenkaffee in die Tasse kam.

„Als dann Ende des 19. Jahrhunderts Warenhäuser zum Probieren und Einkaufen, zum Bummeln und Verweilen entstanden, war das Shopping-Erlebnis geboren“, sagt Beatrix Commandeur und zeigt auf sich etablierende Marken, beispielsweise auf dem Brühwürfel-Sektor. Zwischen ersten Hygieneprodukten wie Zahnpasta und Hemdsknöpfen für den Junggesellen, die nicht angenäht werden mussten, sondern einfach in den Stoff geklipst wurden, ist der Besucher endgültig angekommen: an der Wiege des Kaufrausches.

Beatrix Commandeur vor einer Vitrine in der Ausstellung „Must Have“

Mit der Herstellung erster Güter „von der Stange“ nahm die Geschichte des Konsums maßgeblich mit der Industrialisierung ihren Lauf.

Wie zerbrechlich der sein kann, zeigt die Abteilung zu Kriegs- und Nachkriegszeit, in der beinah alles rationiert ist und sich die Menschen der alten Sitte der Wiederverwertung und Reparatur besinnen. Umso rasanter geht’s dann in den 50er Jahren im Konsum voran: Fahrrad, Motorrad, Urlaub in Italien. Beatrix Commandeur und Annette Schrick gehen durch die Camping-Welt der Wirtschaftswunderzeit – zwischen Schneewittchensarg-Plattenspieler und ersten Autoprospekten.

Ausstellung im LVR-Industriemuseum bietet Zeitreise durch die Konsumgeschichte

Doch: Stopp. „Vergiftete Umwelt“ heißt es auf dem Spiegel-Cover von 1970, das eine Zeitleiste von Berichten über Umweltskandale eröffnet, die erste Menschen in Sachen Konsum umdenken lassen. „Wir hatten noch diese Turnschuhe, die erstmals nicht mehr nur zum Sport angezogen wurden, sondern mit denen man auch so rausging“, erinnert sich Annette Schrick an ihre Jugend.

Spiegel-Cover in der Ausstellung „Must Have“

Umweltskandale, die sich in der Ausstellung anhand von Spiegel-Covern nachvollziehen lassen, zeigten oft die negative Seite von Konsum.

Die Birkenstock-Schuhe gegenüber sind das Symbol einer Gegenbewegung. „Jute statt Plastik“ steht auf der Tasche dahinter. Eine Ecke weiter zeigen die Ausstellungsmacherinnen Gebrauchsgegenstände, die aus Schrott und Abfall neu erstellt worden sind. Und eine schrille Graffiti-Wand, an der auch die Klimakleber-Bewegung zu finden ist.

Am Ausgang hat der Ausstellungsbesucher die Wahl: Was ist ihm wichtig; „Mein Handy“, „Modische Kleidung“, „Reisen“ oder eher „Saubere Umwelt“, „Familie und Freunde“? Das Zwischenergebnis nach der ersten Ausstellungswoche zeigt ein deutliches Bild zum kritischen Umgang mit Konsum. Das Bild kann sich allerdings über die nächsten Monate auch noch ändern. Spaß macht die Zeitreise durch die Konsumgeschichte allemal und zeigt zudem: So neu ist mancher aktuelle Trend gar nicht . .

Die Ausstellung „Must Have – Geschichte, Gegenwart, Zukunft des Konsums“ist noch bis zum 22. Dezember 2024 im LVR-Papiermuseum Papiermühle Alte Dombach in Bergisch Gladbach zu sehen, dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr. Nächste öffentliche Führung ist am Sonntag, 9. Juli, 14 Uhr. Anmeldung online oder telefonisch unter (0 22 34) 9 92 15 55