Dies ist ein Text aus unserem Archiv. Er erschien ursprünglich am 21. Juli 2021.
Bergisch Gladbach – Seit 6.30 Uhr ist Michael Giebel auf den Beinen und fährt mit schwerem Gefährt Container durch Bergisch Gladbach. Darin türmen sich Massen an Sperrmüll, entstanden durch das Hochwasser nach den Regenfluten. Einige Gladbacher hat es besonders hart getroffen. Mehrfach hat Giebel bei ihnen schon randvolle Container abgeholt und wieder leere vorbeigebracht. Mit Aufräumen ist hier noch lange nicht Schluss.
Für Giebel ist das eine bislang nicht gekannte Situation. Seit 43 Jahren arbeitet er beim Abfallwirtschaftsbetrieb in Bergisch Gladbach. Das, was er vor Ort bei den Menschen erlebt, geht auch ihm nahe. „Als wir am Donnerstag die ersten Container aufgestellt haben, habe ich in viele traurige Gesichter gesehen. Da wusste noch keiner, wie es weiter gehen soll“, erzählt er, während er den Lkw mit einem leeren Container an Bord in Richtung Nußbaumer Straße steuert. Mittlerweile beobachte er eine Art Aufbruchstimmung bei den Betroffenen sowie eine Welle der Hilfsbereitschaft.
22 Kubikmeter Müll in 6,50 Meter langen Container
Auch in der Nußbaumer Straße ist Giebel nicht zum ersten Mal unterwegs. Mittlerweile kennt er die Ecke, an der der Container abgestellt werden soll. Als er in die kleine Straße einbiegt, wird er bereits von den Anwohnern erwartet, die am Straßenrand eine beachtliche Menge an Sperrmüll aufgetürmt haben. „An den ersten Tagen kamen wir gar nicht hinterher, so schnell wie die Container voll waren. Da haben die Menschen innerhalb einer halben Stunden den gesamten Container gefüllt“, berichtet der 60-Jährige. 22 Kubikmeter Müll fasst der 6,50 Meter lange Container, den er in Nußbaum ablässt. Gefüllt wird er später zwischen vier und sechs Tonnen schwer sein.
Dankbar beginnen die Anwohner sofort damit, den ersten Müll in den Container zu laden. Kurz kommen sie auch mit Michael Giebel ins Gespräch. Lange kann er sich jedoch nicht bei ihnen aufhalten, denn er wird bereits an anderer Stelle erwartet.
Stop: Nußbaumer Straße
Schlimm getroffen hat es in der Nußbaumer Straße Familie Schwann. Immer noch fassungslos stehen Wulla und Andreas Schwann in dem, was von ihrem Haus übrig geblieben ist. Der gesamte Keller sowie die unter Etage standen hier vor wenigen Tagen unter Wasser. Wo einst ein Studio und das Wohnzimmer der Familie war, ist nun nichts mehr. „Das Wasser ist aus dem Mutzbach gekommen“, berichtet Andreas Schwann und zeigt auf den kleinen Bach, der heute so friedlich dahin plätschert. Dass dieser für die Verwüstung verantwortlich ist, kann man sich kaum vorstellen. Neben der Verzweiflung hat sich mittlerweile Unmut der Anwohner breit gemacht, denn schon länger sei bekannt, dass bei viel Regen Hochwassergefahr von dem Bach ausgehe. „Wir erwarten Abhilfe von der Stadt“, betont Schwann, der sich alleine gelassen fühlt. „Nichts wurde bisher unternommen. Es muss endlich etwas passieren, denn wir möchten nicht jedes Jahr im Wasser stehen.“
Michael Giebel versucht den Frust der Betroffene nicht an sich heranzulassen. Ruhig erklärt er in diesen Tagen den Ungeduldigen, die nicht schnell genug an Container kommen: „Es geht nur so schnell, wie es geht“. Dass einige nicht Hochwassergeschädigte die Container und Sonderabfuhren für Sperrmüll ausnutzen, um zuhause auszumisten, ärgert ihn zwar, er hat es aber akzeptiert. Es nutze nichts, mit den Leuten zu diskutieren und halte nur auf. „Wir bitten nur darum, keinen Elektromüll in die Container zu werfen, der muss extra entsorgt werden. “
Während die Anwohner in Nußbaum weiter den Container füllen, rangiert er den gut zehn Meter langen Lkw wieder aus der Straße und steuert sein nächstes Ziel an: die Odenthaler Straße. Auch hier hat das Hochwasser eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Den mittlerweile vierten vollen Container holt Giebel an diesem Tag ab. Die Einfahrt der Hausnummer 248 kennt er mittlerweile. Gekonnt lenkt er den Lkw rückwärts hinein. Was Giebel besonders verärgert, sind die Schaulustigen. „Die kommen hier vorbei, bremsen plötzlich ab und gucken, als hätten sie noch nie Müllberge gesehen“, kritisiert er den „Notstandtourismus“. Kaum ist Giebel aus seinem Lkw gestiegen, schon steuern die ersten Anwohner auf ihn zu, um ihm zu danken. Sie alle sind froh, dass sie den stinkenden und schlammigen Hochwassermüll so schnell wie möglich loswerden.
Stop: Odenthaler Straße
Fast alles haben die Menschen in der Odenthaler Straße 248 verloren. Bei den Nachbarn liegt noch immer ein Auto auf der Seite im Schutt, das vor wenigen Tagen mit der Gartenhütte durch den Garten schwamm. Der Anbau des Hauses ist bis heute nicht betretbar. Noch vor wenigen Tagen ist hier eine Hauswand eingebrochen.
„Meine Firma war unten im Keller. Da ist nichts mehr von übrig. Ich habe also nicht mal mehr einen Job. Wir sind am Arsch“, sagt Stefan Müller resigniert. Er hatte einen Online-Sanitärhandel aufgebaut. Müller und Hauseigentümerin Marianne Kappes stehen in ihrem Garten und putzen – kopflos. Auch sie erwarten sich Hilfe von der Stadt. „Wir hoffen, dass die versprochene Hilfe des Bürgermeisters nicht bloß leere Worte waren, sondern dass auch Taten folgen und wir nicht schon bald vergessen sind“, betont Müller.
Michael Giebel sichert währenddessen den randvollen Container mit einer Plane, damit unterwegs nichts verloren geht. Die meiste Zeit ist der 60-Jährige alleine unterwegs. Den Stress vergisst er auch in diesen Tagen schnell auf den Fahrten zwischen den einzelnen Einsatzorten, die er zum kurzen Abschalten nutzt, bevor er wieder vor den schweren grünen Containern steht.„Mir wurde in den vergangenen Tagen häufig Verpflegung von den vielen Helfern angeboten, aber dafür habe ich oft gar keine Zeit“, erzählt er.
Erst in den Kaffeepausen auf dem Wertstoffhof des Gladbacher Abfallwirtschaftsverbandes in Obereschbach tauscht er sich mit seinen Kollegen über das Erlebte in den Hochwassergebieten aus. „Wegen Corona arbeiten wir aber nach wie vor in getrennten Teams, deswegen sieht man gar nicht alle.“ Teilweise bis 20 Uhr ist er zuletzt im Einsatz gewesen. „Und wären uns nicht irgendwann die Container ausgegangen, wäre es an einigen Tagen sicher noch länger gegangen“, sagt Giebel.