Ein Kranker, der für seine zwölf Quadratmeter in Kürten 500 Euro zahlen muss: Ein Strafprozess in Bensberg gewährt bedrückende Einblicke.
StrafprozessAnwalt prangert Zustände in Kürtener Mietshaus an – „Rattenloch“
Gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Ladendiebstahl: Die Vorwürfe gegen den 41-jährigen Kürtener sind nicht ohne, doch im Prozess gegen den vielfach Vorbestraften wird schnell klar, dass eine weitere Haftstrafe nicht helfen würde.
Dieter F. (Namen geändert) leidet unter einer schweren Persönlichkeitsstörung, der Borderline-Erkrankung. Und auch sein Nachbar, der ihn wegen eines Vorfalls in dem gemeinsamen, sehr miesen Mietshaus angezeigt hat, hat große Probleme.
Richterin verhängt 100 Sozialstunden
Am Ende verhängt das Amtsgericht zwar die von der Anklage geforderten acht Monate gegen den 17-fach Vorbestraften, setzt sie aber zur Bewährung aus. Zudem muss Dieter F. 100 Sozialstunden ableisten.
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Die wichtigste Komponente einer Borderline-Erkrankung seien „traumatische Beziehungserfahrungen in der frühen Kindheit – insbesondere emotionale Vernachlässigung sowie emotionale oder tätliche, aggressive, häufig auch sexuell aggressive Misshandlungen“, so ein Ratgeber der Krankenkasse AOK.
Schwarzfahren, klauen, erwischt werden
Verteidiger Jens Perske sagt, er sei froh, selbst „nicht ein Prozent von dem erlebt zu haben“. Sein Mandant fahre immer wieder schwarz nach Köln zum Klauen und lasse sich erwischen. Dieses Mal geht es um Bücher, CDs und Zeitschriften aus einer Buchhandlung am Neumarkt im Wert von 184,65 Euro.
Der andere Vorwurf gründet sich auf eine Anzeige von Nachbar Klaus D. Der Angeklagte sei in der Nacht zum 26. August 2023 nachts in dessen Zimmer eingedrungen und habe ihn mit einer Türleiste geschlagen. Während der Anwalt den Diebstahl für seinen Mandanten einräumt, bestreitet er die gefährliche Körperverletzung. Der Nachbar habe mal wieder nachts herumgeschrien und Dieter F. habe ihn zur Ruhe aufgefordert. „Es kam zu einem Schubser.“ Sonst nichts.
Indes hat sich Perske das Haus, in dem seinen Angaben zufolge neben den Kontrahenten sechs weitere Mieter leben, genauer angesehen: Saubere Klingelschilder, aber abgelegen, zehn Minuten Fußweg bis zum Bus. Innen völlig heruntergekommen, geflickte Zimmertür. „In der Gemeinschaftsküche brauchen Sie einen starken Magen.“
Bei 500 Euro Miete pro „Wohnung“ (die seines Mandanten sei zwölf Quadratmeter groß) seien die Einkünfte aus dem „Rattenloch“ wohl ganz erklecklich. Das für den juristischen Laien womöglich naheliegende Wort „Mietwucher“ benutzt der Jurist nicht. Die Wohnungsnot verschiebt scheint's die Maßstäbe – nicht die des Anstands, wohl aber die des strafrechtlich Zulässigen.
Der Belastungszeuge wirkt verwirrt
Nachbar Peter B. (54) macht als Zeuge einen verwirrten Eindruck. Er habe doch angeregt, einen weiteren Zeugen zu laden, einen, der wohl eine Vergangenheit bei der französischen Légion étrangère, der Fremdenlegion, habe. Die Szene mit Dieter F. beschreibt er mit gespreizten Worten: „Es kam zur Konfrontation im Sinne eines Komparativs.“
Besonders schwerwiegend sei ihn F., der „athletisch, schwerathletisch“ gebaut sei, aber nicht angegangen. Der Zeuge erzähle „wirres Zeug“, sagt der Verteidiger. Die Frage der Staatsanwältin, wie der Angreifer ihn denn angegangen sei, wenn „nicht bösartig“, kann der Zeuge nicht genauer beantworten.
Die Bewährungsstrafe, zu der Richterin Simona Sünnemann F. verurteilt, hält der Verteidiger für „sehr angemessen“. Der Angeklagte bekommt einen Bewährungshelfer, der ihm auch den Einsatzort für die Sozialstunden zuweist. Eine Therapie hat er in Aussicht, und eine Betreuerin sitzt im Zuschauerraum.