Bergheim/Berlin – Die Braunkohle-Kraftwerke Jänschwalde und Niederaußem sind die gesundheitsschädlichsten Anlagen ihrer Art in ganz Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Stuttgart, die die Umweltorganisation Greenpeace in Auftrag gegeben hatte. Demnach löst allein das von RWE betriebene Grundlastkraftwerk in Bergheim bei Köln mit seinen Abgasen umgerechnet 269 Todesfälle pro Jahr aus.
Zu den bundesweit zehn schädlichsten Kohlekraftwerken zählt Greenpeace zudem vier weitere Anlagen in Nordrhein-Westfalen: die RWE-Anlage Weisweiler in Eschweiler, die beiden Kraftwerke Frimmersdorf und Neurath in Grevenbroich sowie das Eon-Kraftwerk Scholven in Gelsenkirchen. Rein statistisch seien sie für jeweils mehr als 120 Tote verantwortlich, erklärten die Umweltschützer bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch in Berlin.
Insgesamt seien die Abgase und der Feinstaub-Ausstoß aller deutschen Kohlekraftwerke laut der Untersuchung Schuld an 3100 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Die Wissenschaftler haben berechnet, dass die Stickoxide, Schwefeldioxide sowie Ruß- und Staubemissionen insbesondere durch Braunkohleverbrennung so viele Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland und den Nachbarländern auslösen, dass sie in der Summe zum Verlust von 33 000 Lebensjahren führen. Das entspricht der statistischen Größe von etwa 3100 Toten jährlich, so Greenpeace.
Hinzu kämen etwa 700 000 Krankheitstage durch Atemwegsinfekte, Herzinfarkte, Krebs oder Asthma. Die Feinstaub-Partikel aus den Kohle-Abgasen dringen beim Einatmen tief in Lunge und Blutgefäße ein und können den Organismus schädigen, hieß es.
Das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart hatte erstmals alle Abgasdaten ausgewertet, die die 67 größten deutschen Kraftwerke 2010 veröffentlichten. Zudem berechneten die Forscher die atmosphärische Ausbreitung der Emissionen und die Gesundheitsfolgen durch den freigesetzten Feinstaub. Die Schadstoffe aus den Schloten der untersuchten Kohlekraftwerke führten in Deutschland zu mehr Krankheiten und statistisch gesehen zu einer kürzeren Lebensdauer, erklärte Mitautor Rainer Friedrich von der Uni Stuttgart. 30 bis 40 Prozent der giftigen Emissionen würden mit Winden aus Nachbarländern nach Deutschland geweht. Mit der Untersuchung könnten die Gesundheitsrisiken der deutschen Kohlekraftwerke erstmals scharf bestimmt werden, sagte der Energie-Experte von Greenpeace, Gerald Neubauer.
Unter den zehn schädlichsten Kohlekraftwerken Deutschlands sind laut der Analyse gleich neun Braunkohle-Öfen. Neben NRW stehen die Anlagen vor allem in Ostdeutschland. So liegt die 3000-Megawatt-Anlage Jänschwalde im brandenburgischen Peitz, die Strom für sechs Millionen Haushalte liefert, auf Platz eins der Negativliste. Auf Platz zwei: die 3.430-Megawatt-Anlage in Niederaußem. Sie besteht aus neun Blöcken und ist das zweitleistungsstärkste Kraftwerk Deutschlands. Auch die 15 neuen Kraftwerke, die seit 2012 ans Netz gingen oder gehen sollen, würden 1000 weitere Todesfälle auslösen.
Deutschland müsse deshalb bis spätestens 2040 aus der Braunkohleverstromung aussteigen, forderte Greenpeace am Mittwoch. Besonders schädliche Kraftwerke müssten bis spätestens 2030 auslaufen. "Um Todes- und Krankheitsfälle zu vermeiden, muss die Politik endlich den Ausstieg aus der Kohle beschließen", sagte Neubauer. Vor allem die SPD-regierten Länder Brandenburg und NRW müssten ihre Unterstützung der Braunkohle aufgeben. In beiden Bundesländern gibt es große Braunkohlevorkommen, die im Tagebau abgebaut werden und dort einen großen Teil der Energieversorgung sichern. Die Kraftwerksbetreiber nannten die Studie "grob irreführend". Die Luftqualität im Umfeld der Kraftwerke werde in der Summe "praktisch nicht oder nur unwesentlich" durch deren Abgase beeinflusst, sagte Vattenfall-Sprecherin Kathi Gerstner dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Das zeigten auch die Messungen der jeweiligen Landesbehörden. Auch die Tüv-Prüfung der Entschwefelungs- und Entstaubungsanlagen habe gezeigt, dass die Kraftwerke die Feinstaubbelastung der Luft nicht erhöhten.
"Die heute vorgestellte Greenpeace-Studie blendet wichtige Fakten und Erkenntnisse zum Thema Emissionen aus, mit der klaren Absicht, den Energieträger Kohle zu diskreditieren und den Menschen Angst zu machen", sagte Vattenfall-Kraftwerksvorstand Hubertus Altmann. "In allen unseren Braunkohlekraftwerken unterschreiten wir die gesetzlich vorgegebenen Emissionsgrenzwerte deutlich."
In einer vorigen Fassung dieses Artikels war die Leistung des Kraftwerks Niederaußem mit 2.800 Megawatt angegeben. Richtig ist jedoch 3.430 MW. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.