Erftstadt-Blessem – Bis zu 800 Menschen aus dem vom Hochwasser so schlimm getroffenen Blessem hätten Bürgermeisterin Carolin Weitz, Landrat Frank Rock und ein halbes Dutzend Experten am Samstagvormittag auf dem Kultursommer-Gelände im Lechenicher Wirtschaftspark mit Fragen löchern können. Doch nachdem die meisten Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner seit Donnerstag endlich wieder in die Häuser dürfen, setzen sie derzeit wohl andere Prioritäten: Aufräumen ist das Gebot der Stunde.
So kamen zu der von der Stadt organisierten Informationsveranstaltung nur knapp 100 Gäste. Viele von ihnen gehörten allerdings zu der besonders hart betroffenen Gruppe aus der nach wie vor bestehenden 100-Meter-Sperrzone an der Abbruchkante im Norden des Ortes. „Wann dürfen auch wir endlich wieder zurück?“, lautete ihre drängendste Frage. Verlässliche Antworten konnte ihnen immer noch niemand geben.
Appell und tröstende Worte
So blieb es bei tröstenden Worten für die Leute aus der schwer beschädigten Burg, der nördlichen Radmacherstraße und angrenzenden Zonen – und bei dem Appell, sich zumindest bis zur Mitte der neuen Woche zu gedulden. „Dann werden wir gemeinsam mit dem städtischen Gutachter Professor Dr. Benner auf Grundlage der vorliegenden Messdaten eine Empfehlung über das weitere Vorgehen abgeben“, kündigte Professor Dr. Roland Strauß vom Geologischen Dienst NRW an. Versprechen wollte der Experte nichts. Er hofft aber inständig, dass das Sperrgebiet dann zumindest verkleinert und einige weitere Häuser zur Begehung freigeben werden können.
Für die Betroffenen sind das Warten und die Ungewissheit, was von ihre Wohnungen und ihrem Hab und Gut noch übrig ist, jedoch schon jetzt kaum noch zu ertragen. Teils unter Tränen schilderten Menschen, die im Moment praktisch nichts mehr haben, wie sie in den vergangenen Tagen von Notunterkunft zu Notunterkunft ziehen mussten. Flehentlich baten sie darum, wenigstens ganz kurz nach Hause zu dürfen, um vielleicht noch ein paar wichtige Papiere zu retten.
In Blessem wird gemessen, was das Zeug hält
Doch das ist noch Einschätzung der Fachleute immer noch zu gefährlich. Stattdessen wir in Blessem zurzeit wird gemessen, was das Zeug hält. Tornados der Bundeswehr machen hoch auflösende Luftbilder; das Technische Hilfswerk hat ein Tachymetersystem installiert, um mögliche Verformungen zu beobachten, und ein Satellit liefert Fernerkundungsdaten aus dem All.
Vor allem aber habe die Geobasis NRW eine „Präzisionsnivellementlinie“ durch den Ort gezogen und an zahlreichen Häusern hochsensible Messinstrumente angebracht, erklärte Professor Dr. Strauß: „Damit können wir Bewegungen an den Gebäuden mit einer Genauigkeit von 0,1 Millimeter feststellen. Diese Messlinie soll langfristig erhalten bleiben. Bitte beschädigen oder verdecken Sie die Messpunkte nicht.“
Kritik an Information und Kommunikation
Viele Blessemer sehnen nun die angekündigte Bekanntgabe der Datenauswertung herbei. Es wurde aber auch Kritik an Mängeln in Sachen Information und Kommunikation laut. Ein Blessemer Bürger kritisierte, dass das Geschehen von offizieller Seite möglicherweise vorschnell als „Naturkatastrophe“ eingestuft werde, und richtete den Blick unter anderem auf den in Orts-, Autobahn- und Erftnähe genehmigten Kiesabbau. „Aus Sicht vieler Anwohner war das eine Zeitbombe, die irgendwann platzen musste. Woher nehmen sie die Gewissheit, dass es eine Naturkatastrophe und nichts Menschengemachtes war?“
Landrat Frank Rock hielt dem entgegen, dass man es mit nie erlebten, bis dato unvorstellbaren Regenmengen zu tun gehabt habe: „Wir haben hier mit einem Ereignis zu tun gehabt, dass selbst unsere schlimmsten Überflutungsszenarien bei weitem übertroffen hat. Für mich ist es eine Naturkatastrophe, und das bestätigt auch die Wissenschaftler und Experten, mit denen wir im Austausch stehen.“
Am Rande der Veranstaltung wies Bürgermeisterin Weitzel aus Anwohnerkreisen geäußerte Kritik zurück, dass der städtische Krisenstab erst am Montag wieder zusammenkomme. „Wir haben im Moment eine konstante Lage, die ein früheres Treffen nicht erforderlich macht. Sollte sich daran irgendetwas ändern, können wir jederzeit tagen. Der gesamte Krisenstab ist rund um die Uhr in Bereitschaft und kann sofort zusammentreten, wenn es die Lage erfordert.“ Manchen Bürgerinnen und Bürgern war auch bitter aufgestoßen, dass der 1. Beigeordnete Jörg Breetzmann mitten in der Krise in Urlaub gegangen ist: „Auch die Führungskräfte haben sich hier mit aller Kraft eingesetzt und brauchen mal eine Pause“, so Weitzel, „wir haben das im Verwaltungsvorstand abgestimmt und Vertretungspläne erstellt, die gewährleisten, dass wir zu jeder Zeit voll handlungsfähig sind.“