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Erstaufnahmeunterkunft in FrechenEx-Hells-Angel reparierte Bobbycars für Flüchtlingskinder

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Ehemaliger Präsident der verbotenen Vereinigung Hells Angels Cologne, Günter Luda, arbeitet jetzt für ein Sicherheitsunternehmen und bewachte eine Asylunterkunft in Frechen

Frechen – Die Szene ist bizarr. Der Zwei-Meter-Mann, ein Muskelpaket mit kurzgeschorenem Haar und überdurchschnittlichem Händedruck, zeigt Feingefühl. In den Fingern hält er einen Fahrradschlauch, er repariert eines der begehrten Kinderfahrräder. „Die Kleinen müssen doch was zum Spielen haben“, sagt Günter Luda, einst Präsident der inzwischen verbotenen Vereinigung Hells Angels Cologne. Der 54-Jährige, der sich früher in einem Milieu bewegte, in dem Prostitution und Kämpfe mit verfeindeten Rockerclubs zum Tagesgeschäft zählten und es nicht selten um Geld und Gewalt ging, bewachte bis Dienstag die Flüchtlingsunterkunft in Frechen. Ungewöhnlich? Für manchen Außenstehenden bestimmt. Für die zahlreichen Helfer an der Unterkunft nicht. Sie beschreiben den Rocker von gestern als hilfsbereiten und engagierten Menschen mit Teamgeist.

200 Asylsuchende aus sieben Nationen

In der Turnhalle am Gymnasium Frechen sind seit drei Monaten zeitweise bis zu 200 Asylsuchende aus sieben Nationen im Alter von wenigen Wochen bis 79 Jahren untergebracht. Damit ein gesittetes und halbwegs menschenwürdiges Leben stattfinden kann, sind zwischen 30 und 40 ehrenamtliche Helfer im Einsatz. Für die Sicherheit ist Günter Luda mit zuständig. Er arbeitet für ein Sicherheitsunternehmen, das von der Stadtverwaltung beauftragt wurde. Doch mit hartem Durchgreifen komme man dort nicht weit, erklärt der Frechener. Kürzlich gab es Streit zwischen Syrern und Afghanen. Mit Hilfe von Dolmetschern wurde geschlichtet, man sprach sich aus. „Anschließend haben wir alle zusammen den Hof aufgeräumt“, erzählt Luda.

Jetzt repariert der ehemalige Hells-Angels-Chef Bobby-Cars, gibt Windeln an Flüchtlinge aus oder bringt den Tisch-Kicker in Gang. „Das ist ein Gemeinschaftswerk hier. Wir ziehen alle an einem Strang. Nur so funktioniert das. Auch Günter trägt maßgeblich dazu bei“, sagt einer der Helfer.

Turbulente Jahre

Ulrich Lussem, Vorsitzender des Vereins Flüchtlingsnetzwerk Frechen, der selbst jeden Tag vor Ort ist, ergänzt: „Der Günter ist engagiert. Er packt mit an, stellt die Tafel auf, wenn Deutsch unterrichtet wird, und strahlt Ruhe aus. Das ist wichtig in einer solchen Unterkunft.“ Der Mann, der einst Kutte trug, hat seine Vergangenheit offenbar begraben.

„Vor etwa drei Jahren wusste ich, die wilde Zeit der 80er- und 90er-Jahre ist endgültig vorbei“, so der Frechener. Besonders die letzten Jahre seien turbulent gewesen. Mehrfach wurde der straff organisierte und nach außen gut abgeschirmte Club, der zwischen Buschbell und Königsdorf sein Heim hatte, von Polizisten durchsucht. Die Abteilung „Organisierte Kriminalität“ der Kölner Polizei hatte den Club und damit auch den Präsidenten im Visier.

Über Einzelheiten aus seiner Zeit bei den Hells Angels will Luda nicht sprechen. „Ja, ich war mal Rocker, aber das ist jetzt Vergangenheit.“

Liesen Sie auf der nächsten Seite, wie es im Leben von Günter Luda weitergegangen ist.

Nach zwei Monaten aus Mangel an Beweisen entlassen

Sein Motorrad habe er vor einiger Zeit verkauft. „Heute besitze ich zum Spaß noch meinen alten Bus“, sagt der gelernte Automechaniker und versucht, den geflickten Schlauch zwischen Fahrradfelge und Mantel zu pfriemeln.

Vor etwa zwei Jahren heuerte der Mann, der 2012 von der Staatsanwaltschaft bezichtigt wurde, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben, und dafür in Untersuchungshaft saß, bei einem Sicherheitsunternehmen an. „Die Vorwürfe damals waren haltlos“, betont er. Nach zwei Monaten wurde er aus Mangel an Beweisen entlassen.

Der 54-Jährige erwarb die notwendige Bescheinigung, die das Gesetz für Bewachungspersonal vorschreibt. Luda wurde bei Konzerten, Fußballspielen oder anderen Großveranstaltungen eingesetzt. Seit drei Monaten ist er in Frechen tätig.

„Ich hatte Interesse, in einem Asylcamp zu arbeiten, wollte mir das selbst mal ansehen und nicht nur aus der Distanz betrachten. Nur so kann man sich selbst eine Meinung bilden“, so der Frechener. Es sei beeindruckend gewesen. „Meine Frau fragte mich abends, warum ich so ruhig sei“, schildert er die Situation. Seitdem fährt er jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Unterkunft. Heute weiß er: „Da werde ich gebraucht, da kann ich helfen, es macht Spaß, dort zu arbeiten.“ Das Kinderfahrrad steht fertig repariert bei den anderen Spielsachen.

Seit Mittwoch ist Luda raus aus der Unterkunft – vorläufig zumindest. Sein Arbeitgeber musste ihn aus dem Objekt abziehen. Voraussetzung für die Arbeit ist eine „reine Weste“. Ein Strafverfahren wegen Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung aus alten Zeiten ist noch nicht abgeschlossen. André Cadard, Chef des Sicherheitsunternehmens: „Uns blieb keine andere Wahl. Obwohl er dort sehr beliebt ist.“

Lussem: „Die Leute in der Unterkunft finden es schade. Sie haben schon nach Günter gefragt und vermissen ihn.“ Jeder habe eine zweite oder vielleicht auch dritte Chance verdient – „auch der Günter“.