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„Straftäter in Baumhäusern“Großeinsatz der Polizei im Hambacher Forst

Lesezeit 4 Minuten
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Die Bewohner vom Hambacher Forst.

  1. In jüngerer Vergangenheit wurden im Hambacher Forst vermehrt Straftaten gemeldet: Dabei kam es zu einem Brandanschlag und zu Attacken auf RWE-Mitarbeiter.
  2. Die Polizei führte am Mittwoch einen Großeinsatz im Wald durch. Die Baumhaus-Bewohnern waren wenig erfreut über den Besuch.
  3. Wir haben die Beamten bei ihrem Einsatz zu den Aktivisten, die derzeit nicht besonders zahlreich sind, begleitet.

Kerpen-Manheim – Der Umgangston im Hambacher Forst ist eher salopp in diesen Tagen. „Ihr Pisser!“, ist die meist gebrauchte Grußformel, wenn die Bewohner der Baumhäuser die Polizei erblicken. Das kommt an diesem trüben Morgen häufiger vor als üblich, denn die Polizei ist mit einer Hundertschaft angerückt. Die Lage in den Camps mit Namen wie „Krähennest“, „Endor“ oder „Oaktown“ wird aufmerksam beobachtet. „Faschisten!“, ruft einer der Baumbewohner, „Mörder!“, schreit ein anderer; manche der Kapuzenmenschen tanzen ein bisschen für ihre Betrachter. Andererseits ist es wirklich früh am Tag, also erkundigt sich eine Frauenstimme in fast sachlichem Tonfall: „Habt Ihr wenigstens Kaffee mitgebracht?“ Heiterkeit bei den Beamten. Nein, das nun doch nicht.

400 Straftaten zuletzt

Dirk Weinspach, Aachener Polizeipräsident und leibhaftiges Feindbild der Hambacher Kämpfer, hatte den Einsatz angeordnet. Die Ausgangslage: In jüngerer Vergangenheit seien aus dem Wald heraus 400 Straftaten unterschiedlicher Schwere begangen worden. Neben einigen Bagatellen habe es einen Brandanschlag auf ein Pumpenhaus gegeben, RWE-Mitarbeiter und -Fahrzeuge seien mehrfach attackiert worden, es habe Angriffe auf Jäger gegeben, Hochsitze seien zerstört worden und auf den Wegen im Wald und in der Umgebung seien Barrikaden und Gräben errichtet worden – in einem Fall mussten die Sperren aufwendig beseitigt werden, um einem Landwirt den Zugang zu seinen Feldern zu ermöglichen.

Ein Zugführer der Polizei erklärt bei der Einsatzbesprechung im Kräftesammellager – so heißt das – zudem den ideologischen Kern der Auseinandersetzung mit Verweis auf die geografischen Gegebenheiten: „Das hier“, sagt er, und zeigt auf eine Landkarte der Gegend, „deklarieren die Besetzer als ihren Wald, wo Polizei oder Presse nichts zu suchen haben.“ Diese Haltung sei selbstverständlich nicht akzeptabel.

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Anwesenheit von Greta weckt Nostalgie

Unlängst war die schwedische „Fridays for future“-Aktivistin Greta Thunberg im Forst. Neben allem anderen war das für die Polizei ein beinahe nostalgischer Moment. „Da waren viele von denen wieder hier, die ursprünglich mal hier waren“, erzählt einer der Beamten, „das waren die, die hier für Klima und Umwelt kämpfen wollten.“ Bei den Leuten, die jetzt dort sind, sind sich die Beamten nicht mehr so sicher. Und genau darum soll es jetzt gehen.

Geplant war eine Bestandsaufnahme: Wer ist zur Zeit im Forst? Von wie vielen Leuten ist auszugehen? Wo sind neue Barrikaden? Wo sind neue Gräben? Wo sind neue Hindernisse angelegt worden? Im Oktober 2018 hatte es eine große Räumung gegeben, die Polizei war gegen etwa 80 Baumhäuser vorgegangen. Seither hat sich die Situation ziemlich grundlegend geändert. Die meisten der etwa 30 Baumhäuser sind aktuell leer – wohl auf Vorrat gebaut, wie die Polizei annimmt, und als Rückzugsort.

Aktuell keine Bedrohung für den Hambacher Forst

„Der Wald ist aktuell nicht mehr bedroht, jedenfalls nicht durch Rodung“, sagt Weinspach. „Die größte Gefahr geht im Moment von Straftätern in den Baumhäusern aus.“ Denn es sei so: „Wenn uns Straftaten gemeldet werden, müssen wir dem nachgehen und wenn die Straftäter sich in diese Strukturen hier zurückziehen, dann sind die Maßnahmen zur Strafverfolgung aufwendig: Es müssen gegebenenfalls Trassen gelegt, schweres Gerät angebracht und Bäume gefällt werden.“ Es ist wichtig zu betonen: „Das wollen wir nicht.“

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Ein Baumhaus im Hambacher Forst.

Im Camp „Krähennest“ wird niemand angetroffen. „Entweder ist keiner da“, sagt ein Beamter, „oder die schlafen noch.“ Könnte sein, um acht Uhr morgens. Am Camp Endor stupst ein Beamter seinen Kollegen an. „Eigentlich ganz hübsch“, sagt er und weist auf ein kunstvoll in eine Baumkrone hinein geschmiegtes Wohnensemble aus Holz und Glas und dicken Tüchern. Trotz wenig freundlicher Ansprachen von Seiten der Baumleute bleibt alles relativ entspannt. Die Polizei ist am Ende sicher, dass die paar Leute in den Camps – eine niedrige zweistellige Zahl – nicht jene sind, denen die Straftaten zuzuordnen sind. Oder wie ein Beamter sagt: „Die sind ja harmlos.“

„Ruhiger als befürchtet“

Nach zweieinhalb Stunden ist der Einsatz beendet; es beginnt übel zu regnen, die Beamten fahren heim, die Waldbesetzer müssen bleiben. Weinspach war mit der Großaktion recht zufrieden: „Der heutige Einsatz war ruhiger als befürchtet“, sagte er und nannte dafür drei Gründe: „Das massive Auftreten der Polizei, die Zahl der Besetzer war heute offenbar eher gering und unsere einsatzbegleitende Kommunikation über Twitter und über Kontaktbeamte hat offenbar funktioniert. Der Grund des Einsatzes wurde jedem bekannt.“

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Um die Stimmung im Forst zu entkrampfen, hatte die Polizei vorab über verschiedene Kanäle verlauten lassen, dass der Aufmarsch der Beamten der Aufklärung diene und nicht etwa eine Räumung des Waldes geplant sei. Womöglich hatte sich diese Lage in den Baumhäusern herumgesprochen.

Mit Blick auf die Straftaten sagte Weinspach: „So ein Einsatz ist auch ein Zeichen in die Bürgerschaft, an die Bauern und an die Jäger, dass wir Rechtsverstöße nicht dulden, sondern entschlossen dagegen vorgehen. Die Bürger sollen sich nicht im Stich gelassen fühlen.“