Fünfeinhalb Jahre muss ein 38-jähriger Mann aus Kerpen in Haft. Er hatte mit Teststellen Leistungen abgerechnet, die er nie erbracht hatte.
Kommentar zu Corona-AufarbeitungProzess gegen Kerpener zeigt, wie leicht Betrüger es hatten
Die Erkenntnis ist nicht neu: In Krisenzeiten hat es seit jeher Profiteure gegeben. Und wenn es sich dann noch um eine Krise handelt, mit denen sich die Menschheit in ihrer Geschichte zum ersten Mal konfrontiert sieht, eröffnen sich Nutznießern in einer schwer zu steuernden Lage ungeahnte Möglichkeiten.
Wir alle kennen Bilder von Plünderungen in Folge von gesellschaftlichen Unruhen in den USA, haben es auch schon im eigenen Land erlebt, als 2017 Chaoten am Rande des G9-Gipfels in Hamburg Schaufensterscheiben von Geschäften zerstörten und frei von jeglichen Skrupeln in die Auslage griffen.
Es waren so gut wie keine Kontrollen der Testzentren vorgesehen
Um Plündereien der anderen Art ging es in den vergangenen Monaten in einem Prozess vor dem Kölner Landgericht. Er führte in eine Zeit zurück, die gar nicht einmal so lange zurückliegt, die viele von uns jedoch aus den Erinnerungen löschen oder verdrängen: die Zeit der Corona-Pandemie.
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Gewissensbisse schienen dem 38-jährigen Kerpener fremd gewesen zu sein – zu groß war die Gier, befanden die Richter. In rasender Geschwindigkeit hatte er Netz von Corona-Testzentren aufgebaut, etwa in Köln, Kerpen, Hürth, Euskirchen und Bedburg. Und ebenso schnell fand der Mann heraus, dass das in dieser Krise aus dem Boden gestampfte System des Testens und Immer-wieder-Testens sich jeglicher Kontrolle von behördlicher Seite entziehen konnte. Was allzu leicht war – denn es waren keine Kontrollen vorgesehen.
Expertise zum Betreiben der Zentren war nicht erforderlich, die Kommunen beziehungsweise in unserem Fall der Rhein-Erft-Kreis. Und so entstanden binnen kürzester Zeit im Rhein-Erft-Kreis rund 280 Teststellen, wie es aus einem Papier hervorgeht, das die Kreisverwaltung in dieser Woche nach einer Anfrage der SPD im Kreisausschuss vorgelegt hatte. Was die Betreiber abrechneten, entzog sich der Kenntnis der Behörden vor Ort, sie schritten allenfalls bei Verstößen gegen Hygienevorschriften ein.
Die Zahlungen liefen ausschließlich über die Krankenkassen. Und die überwiesen, was abgerechnet wurde – nicht zuletzt auch in Folge eines nicht geringen politischen Drucks, schließlich ging es darum, alles Erdenkliche zu tun, um die Bevölkerung zu schützen. Im Fall des in dieser Woche verurteilten Kerpeners hatte dies zur Folge, dass er die Allgemeinheit laut Urteil um 5,8 Millionen Euro geschädigt hat.
Korruptionsverdacht gegen zwei Mitarbeiter des Bergheimer Ordnungsamts
Die Folge für den 38-Jährigen: fünfeinhalb Jahre Haft. Sowie die Erkenntnis, dass ihn im Gefängnis andere Lebensumstände erwarten als in der Phase, als er das erschwindelte Geld in vollen Zügen ausgab: für Sportwagen, eine teure Küche und eine Solaranlage auf dem Dach seiner Eltern. All das hat der Staat einkassiert oder wird es noch tun.
Komplett juristisch aufgearbeitet ist der Abrechnungsskandal damit aber nicht. Zum einen wollen die Anwälte des Kerpeners das Urteil anfechten. Zum anderen steht noch ein strafrechtliches Verfahren gegen zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes Bergheim aus. Die beiden Männer stehen unter Korruptionsverdacht.
Sie sollen den Verurteilten gegen Zahlung von Geld mit Testungen in Flüchtlingsunterkünften beauftragt haben. Einer der beiden Ordnungsamtsmitarbeiter soll 11 000 Euro erhalten haben, die er sich mit seinem Vorgesetzten geteilt haben soll. Weitere 3000 Euro hat er angeblich für eine Haartransplantation bekommen.
Krisenzeiten können offenkundig auch gut dafür sein, kleinere optische Makel zu beheben.