KStA-Kulturredakteur Michael Kohler ist fasziniert von der Abtei Brauweiler - seit 1000 Jahren ein Ort der Gegensätze. Sein Buch zum Jubiläum stellt Kohler zusammen mit Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner vor.
1000 Jahre Abtei Brauweiler„Ein Ort, der in unsere Zeit passt“
Herr Kohler, passend zur 1000-Jahr-Feier der Abtei Brauweiler zeichnen Sie in einem neuen Buch die wechselvolle Geschichte der Klosterbauten und ihrer Nutzung nach. Was hat Sie am meisten fasziniert?
Wie sich die Gegensätze der Jahrhunderte auch in so einem kleinen, beschaulichen Ort manifestiert haben. Es fing an mit einer Niederlassung des Benediktinerordens und endete in der Nazi-Zeit mit der Einbindung ins System der frühen KZs sowie nach dem Krieg mit einer skandalumwitterten Klinik für „Geisteskranke“. Das ist schon ein gewaltiger Spannungsbogen.
Seit mehr als 200 Jahren ist die Abtei kein Kloster mehr. In der folgenden Umnutzung spiegeln sich deutsche Sozial-, Sitten- und Zeitgeschichte. Kann man das so sagen?
Alles zum Thema Barbara Schock-Werner
- Debatte über Stadtbild „Rund um den Kölner Dom sieht es einfach nur scheußlich aus“
- „Musterbeispiel expressionistischen Bauens“ Freundeskreis Bastei feiert 100. Geburtstag des Kölner Bauwerks
- Schmutzig, eklig, kaputt Welche sind Kölns übelste Haltestellen?
- Schock-Werner zur Station Hansaring Kölner Firma reinigt „Haltestelle des Grauens“ auf Eigeninitiative
- Neue Präsidentin im ZDV Barbara Schock-Werner: „Der Dom braucht die Kölner“
- Redaktion Live Ein Abend über den Kölner Dom mit zwei Baumeistern
- Zahlen für 2021 bis 2023 Zentral-Dombau-Verein gibt vier Millionen Euro zum Erhalt des Kölner Doms
Ja, wobei der französische Einfluss hier nicht zu unterschätzen ist. Das Kloster wurde ja durch Napoleon aufgelöst und in ein sogenanntes Bettlerdepot umgewidmet. Das haben die Preußen nach dem Sturz Napoleons dann einfach übernommen und Brauweiler zu einer riesigen, industriellen Anstalt ausgebaut, in der Tausende Menschen „zur Arbeit angehalten“ wurden.
Aber nicht nur Bettler…
Nein, es kamen dann auch sogenannte gewohnheitsmäßige Kriminelle hinzu, Prostituierte und auch „Trunksüchtige“, wie man damals sagte. Man erkennt daran auch, wie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das Programm einer „Besserungsanstalt“ verändert hat. In der Zeit der Weimarer Republik folgte eine Phase der Liberalisierung, die unter den Nazis umgehend gestoppt wurde.
Bettlerdepot, Besserungs-, Arbeitsanstalt – solche Begriffe klingen für unsere Ohren heute komplett repressiv, autoritär, reaktionär. Waren es die Konzepte nach damaligem Verständnis auch? Oder waren darin Gedanken enthalten, die auch heute als „sozial“ durchgingen?
Beides. Das erwähnte Bettler-Depot der Franzosen war weniger gruselig, als es klingt, und der erste Direktor preußischen Besserungsanstalt war ein ausgesprochener Sozialreformer mit Ideen, die bis in die heutige Praxis fortwirken. Aber wie das so ist: Die Realität hielt nicht mit den Ideen Schritt. Unter anderem, weil die Anstalt heillos überbelegt war und es nicht genug Personal gab, um die hehren Ziele wirklich zu erreichen.
In der NS-Zeit nutzte die Gestapo Brauweiler als Gefängnis für „Schutzhäftlinge“. Der berühmteste Insasse war der 1933 abgesetzte Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Bei ihm verbindet sich der Name Brauweiler mit einer Familientragödie.
Richtig. Adenauer hatte im September 1944 nach einmonatiger Haft aus einem Internierungslager der Nazis auf dem Kölner Messegelände fliehen können. Daraufhin verhaftete die Gestapo Adenauers damalige Ehefrau Auguste, genannt Gussie, und setzte sie mit Drohungen so massiv unter Druck, bis sie den Aufenthaltsort ihres Mannes verriet. Danach brachte man sie nach Brauweiler, wo dann auch Konrad Adenauer einsaß. Aus Verzweiflung unternahm Gussie Adenauer einen Selbstmordversuch.
Den sie überlebte?
Zunächst ja. Sie starb aber 1948 an den Spätfolgen. Adenauer selbst hat nach dem Krieg erschütternd von seiner Zeit in Brauweiler berichtet: Er musste mit anhören, wie Häftlinge gefoltert wurden. Er musste mit ansehen, wie Jugendliche zur Hinrichtung nach Köln abtransportiert wurden. Zum Gedenken hat er ein Kirchenfenster in der Abteikirche gestiftet, wo er selbst in die Rolle des biblischen Daniels schlüpft, der in die Löwengrube geworfen wird. Sein Vertrauen auf Gott in dieser Situation wird belohnt: Ein Engel kommt, zähmt die Löwen – und Daniel kommt mit dem Leben davon.
Die Nachkriegszeit von Brauweiler war skandalumwittert. In Ihrem Buch erzählen Sie davon, dass die wohl berühmteste Prostituierte der damaligen Zeit, Rosemarie Nitribitt, in Brauweiler einsaß.
Im Grunde ist das weniger ein Skandal als eine Anekdote, aber eine bezeichnende. Tatsächlich wurde „die Nitribitt“, wie sie nur genannt wurde, als ganz junge Frau in die Besserungsanstalt Brauweiler gebracht. Doch kaum war sie wieder draußen, ging sie wieder „dem Gewerbe“ nach. Zur wirklichen „Besserung“ im Sinne der damaligen gesellschaftlichen Normen war Brauweiler augenscheinlich ungeeignet.
Erst 1967 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass „Besserung“ nicht Aufgabe des Staates sei.
Damit war dem Anstaltsbetrieb in der Tat die rechtliche Grundlage entzogen. Brauweiler war zu dieser Zeit die einzige noch verbliebene Einrichtung ihrer Art in Deutschland. Immer weniger Richter schickten Menschen dorthin, weil sie nicht mehr an das Konzept glaubten. Die Auflösung war überfällig. Was allerdings danach kam, war auch nicht viel besser.
Was nämlich?
Man verwandelte die Besserungsanstalt in eine Psychiatrie, größtenteils mit dem gleichen Personal und einem ähnlich schlechten Betreuungsschlüssel: viel zu wenige Fachärzte für viele zu viele Insassen. Es kam zu mehreren Todesfällen vermutlich durch Übermedikation, und weil Insassen beim Abseilen aus den Fenstern der Anstalt verunglückten.
Wenn Sie heute nach Brauweiler gehen – wofür steht die Anlage?
Von NS- und Nachkriegszeit ist äußerlich nichts mehr zu sehen. Das wurde alles beseitigt, um den historischen Kern freizulegen. Insofern sehe ich in Brauweiler heute als erstes die vergangene Herrlichkeit des katholischen Glaubens im Barock. Die restaurierten Bauten dieser Zeit bestimmen den Gesamteindruck. Wichtig finde ich die Gedenkorte, die die dunklen Phasen präsent halten. Und was natürlich in unsere Zeit und die demokratische Gesellschaft passt, ist die Offenheit. Brauweiler ist kein geschlossener Ort, sondern zugänglich für jedermann.
Das Gespräch führte Joachim Frank
Michael Kohler, geb. 1969, ist Redakteur im Kulturressort des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Schwerpunkt auf der bildenden Kunst.
Buchvorstellung
Michael Kohler präsentiert sein kürzlich erschienenes Buch „1000 Jahre Abtei Brauweiler. Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal“ (201 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 40 Euro) im Kölner Greven-Verlag gemeinsam mit Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner. Von ihr ist – ebenfalls im Greven-Verlag der Bildband „Abtei Brauweiler“ mit Fotografien von Florian Monheim erschienen (127 Seiten, 28 Euro). Moderation: Joachim Frank
Montag, 4. November, 19 Uhr, Neue Weyerstraße 1-3, 50676 Köln. Eintritt frei. Anmeldung bis Montag, 28. Oktober, per Mail an info@greven-verlag.de. Unter allen Teilnehmenden verlosen wir je drei Exemplare der beiden Bücher von Michael Kohler und Barbara Schock-Werner.