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Erftverbandvorstand erklärtSo könnte die Zukunft der Blessemer Kiesgrube aussehen

Lesezeit 6 Minuten

Durch das Hochwasser wurden in Blessem zahlreiche Häuser zerstört.

  1. Die Menschen im Rhein-Erft-Kreis sind aktuell noch mehr von einem neuen Hochwasser bedroht als zuvor.
  2. Erftverbandvorstand Bernd Bucher erklärt, warum das so ist und spricht über die Gefahren für ein Leben am Fluss.
  3. So könnte der Hochwasserschutz rund um die Erft in Zukunft aussehen.

Rhein-Erft-Kreis – Ralph Jansen sprach mit Erftverbandvorstand Bernd Bucher über die Gefahren für ein Leben am Fluss.

Herr Dr. Bucher, ist Blessem jetzt sicher?

Dr. Bucher: Niemand, der an einem Fluss oder in einer Aue lebt, ist hundertprozentig sicher. Das nächste Hochwasser kann immer höher ausfallen als das letzte. Das ist genauso wie bei Erdbeben. Wir orientieren uns beim Hochwasserschutz am 100-jährlichen Höchststand. Wenn die Flut darüber hinausgeht, fängt das Risiko an. Das wussten wir theoretisch natürlich immer, aber jetzt haben wir es erlebt. Insbesondere bei den Betroffenen ist verständlicherweise das Gefühl der Sicherheit der Furcht gewichen.

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Ordnen Sie doch bitte mal ein, wie hoch das Hochwasser in Blessem eigentlich war.

Bei einem 100-jährlichen Hochwasser fließen 71 Kubikmeter pro Sekunde am Pegel in Bliesheim vorbei. Beim Unwetter waren es deutlich mehr als 200 Kubikmeter. Die Erft war 1,50 Meter höher als beim 100-jährlichen Hochwasser und 200 Meter breit.

Haben das die Uferbefestigungen ausgehalten?

Ja, zuerst schon. Das Wasser ist auf der ganzen Strecke von Bad Münstereifel bis Blessem über die Ufer getreten. Die Verwallung vor der Blessemer Kiesgrube war wohl sogar auf ein Extremhochwasser ausgelegt, das ist 1,4-mal der Wert des 100-jährlichen Hochwassers, aber die Fluten sind selbst darüber hinweggekommen und in die Kiesgrube gestürzt.

Zur Person

Dr. Bernd Bucher (63) stammt aus Baden-Württemberg. Er studierte Geographie/Hydrologie in Freiburg und arbeitete von 1985 bis 1995 beim heutigen Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Seit 1995 ist er beim Erftverband, von 2013 bis 2018 war er Ständiger Vertreter des Vorstands. Seit Oktober 2018 ist er Vorstand. (rj)

Aber das Erftufer ist doch kaputt und die Kiesgrube auch?

Ja, als das Wasser in die Grube gestürzt ist, kam es zu einer rückschreitenden Erosion. Von innen haben die Wassermassen an der Böschung genagt und haben dann zurückschreitend das Erdreich mit sich in die Tiefe gerissen. Das geht schnell. Auch vor Häusern in Blessem und dem Erftufer machte diese Erosion nicht halt und hat auch dort Lücken hineingerissen, sodass die Wassermassen sich danach aus dem Bett fast vollständig in die Kiesgrube ergossen.

Die Klimakatastrophe ist auch in Deutschland angekommen, im Kreis am schlimmsten in Blessem. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass wir die Höhen des 100-jährlichen Hochwassers schnellstens anheben müssen. Wie sehen Sie das?

Ja, das HQ 100, wie wir es nennen, wird sicherlich nochmal auf den Prüfstand gestellt.

Kann man alle Ufer, Brücken, Radwege, Deiche erhöhen?

In vielen Fällen wird das nicht möglich sein. Wir können ja nicht immer größere Bauwerke, wie etwa Hochwasserrückhaltebecken in die Landschaft stellen. Dazu fehlt auch der Raum. Werden Deiche und Becken höher, dann geht auch mehr Gefahr von ihnen aus, wenn sie versagen. Das muss man sehr sorgfältig abwägen. Außerdem müssen wir immer Kosten und Nutzen abgleichen. Sicher ist aber, dass wir mehr investieren müssen.

Das wird die Blessemer nicht beruhigen. Wie könnte denn die Zukunft der dortigen Kiesgrube aussehen?

Das zu entscheiden, ist nicht unsere Sache. Aber natürlich kann man die Grube verfüllen. Die zweite Lösung wäre, im Inneren der Grube eine flachere Böschung anzulegen, ähnlich wie in Tagebauen, um die Erosionsgefahr bei kommenden Hochwassern zu senken. Die dritte Möglichkeit wäre, die Kiesgrube gezielt zu einem Hochwasserrückhaltebecken zu entwickeln und sie gesteuert und gesichert bei Hochwasser zu befüllen, doch das schafft neue Probleme.

Welche denn?

Bei einem Hochwasser fließen auch Öl und andere Chemikalien mit in der Erft. Blessem liegt aber im Einzugsbereich des Wasserwerks Dirmerzheim, das in den kommenden Jahrzehnten zum einzigen nutzbaren Wasserwerk für das Trinkwasser in Bedburg, Bergheim, Kerpen und Erftstadt werden wird, weil die anderen Wasserwerke durch Stoffausträge aus den Kippen des Tagebaus Hambach kein Trinkwasser mehr produzieren können. Wenn wir die Kiesgrube zum Hochwasserschutz nutzen würden, liefen wir Gefahr, dass sie bei Hochwasser unsere Trinkwasserqualität beeinträchtigt. Das geht nicht.

BucherErftverband

Dr. Bernd Bucher, Vorstand des Erftverbandes im Interview

Ist die Belastung von Heizöl und anderen Einträgen eigentlich nicht überhaupt ein langfristiges Problem?

Öl ist kein naturfremder Stoff und wird langsam abgebaut. Wir sind permanent dabei, das Bett freizuräumen, auch damit es beim nächsten Hochwasser mit dem Abfluss klappt. Wir ziehen dafür Mitarbeiter aus dem Raum Grevenbroich und Neuss nach Süden ab. Die Wasseranalysen aus der fließenden Welle hatten keine Auffälligkeiten bei den Bakterien, beim Öl und bei den Schwermetallen. Auch der Fischbestand erholt sich erfahrungsgemäß recht schnell – zum Glück.

Zurück zum Hochwasserschutz. Mit dem Erhöhen von Deichen ist es also nicht getan. Was muss denn geschehen, damit die Menschen an der Erft trotz der Klimakatastrophe sicher leben können?

Wir müssen an allen Stellschrauben drehen. Natürlich suchen wir auch noch Standorte für zusätzliche Regenrückhaltebecken, aber wir wollen vor allem natürliche Flächen finden, in die hinein sich der Fluss bei Hochwasser ausdehnen kann. Der Kerpener Bruch hat erstaunlich viel Wasser aufgenommen, ebenso wie die ehemalige Kiesgrube zwischen Türnich und Gymnicher Mühle. Es gibt riesige Überschwemmungsflächen in unseren Rückhaltebecken Mödrath und Bedburg in der Rekultivierung Garsdorf. Von solchen Flächen brauchen wir noch mehr.

Vor drei Jahren wurde das Renaturierungsprojekt zwischen Gymnich und Brüggen angekündigt, aber der Baubeginn hat sich schon sehr verzögert, weil die Genehmigungen noch nicht erteilt worden sind. Wäre ein schlingenförmiges Erftbett nicht der beste Schutz, den es gibt?

Das hilft sehr. Dort könnte sich der Fluss Raum nehmen und ihn wieder abgeben und es würden sogar noch neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere entstehen. Natürliche Überflutungsflächen sind sehr wertvoll beim Hochwasserschutz.

Wie sieht es aber mit der Steinbachtalsperre aus? Das Schicksal vieler Bürgerinnen und Bürger an der Erft hing davon ab, dass die Mauer hält, wobei der Erddamm schon bis zu zwei Meter tiefe Risse hatte, weil viel Erdreich abgerutscht war.

Die Talsperre ist ursprünglich gebaut worden, um Wasser für die Tuchindustrie in der Eifel zu sammeln. Die gibt es aber schon lange nicht mehr. Jetzt wird die Talsperre vor allem als Freizeitbad genutzt. Wir sind grundsätzlich bereit, sie zu übernehmen, aber nur, wenn sie künftig in erster Linie dem Hochwasserschutz dient. Das hätte für uns absolute Priorität. Aber das Ganze muss natürlich politisch entschieden werden.

Die Steinbachtalsperre ist zurzeit außer Funktion, das Regenrückhaltebecken in Horchheim ist auch beschädigt und kann nicht genutzt werden – sind wir Menschen im Rhein-Erft-Kreis derzeit eigentlich nicht noch mehr von einem neuen Hochwasser bedroht als zuvor?

Es stimmt, es gibt zurzeit etwas weniger Schutz. Wir sind mit Hochdruck dabei, das Hochwasserrückhaltebecken wieder instand zu setzen.

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Ist es auch denkbar, dass künftig einmal ganze Straßenzüge oder gar Orte abgerissen werden müssen, um der Erft mehr Raum zurückzugeben?

Ja, der Mensch hat tief in die Erftaue hineingebaut, aber ich denke, dass höchstens einmal Einzelgebäude, die sehr unglücklich standen, wie etwa zwei oder drei Häuser in Bad Münstereifel, nicht mehr aufgebaut werden. Ich glaube nicht, dass Straßenzüge oder Viertel weichen müssen.

Und wo wollen Sie denn dann mehr Raum für den Fluss schaffen?

Die Erft hat im gesamten Oberlauf ihr Bett zerstört und stellenweise mächtig verbreitert. Wir werden nicht alles so wiederherstellen, wie es war, sondern versuchen, Flächen am Fluss anzukaufen. Wir dürfen die Erft nicht mehr so einpferchen wie bisher. In gewisser Weise bieten sich durch die Katastrophe deshalb auch schlichtweg neue Chancen für den Fluss und damit für uns alle.