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Absurder Streit um RüstungsindustrieWie Troisdorfs Bürgermeister in die Mühlen der Weltpolitik geriet

Lesezeit 6 Minuten
Alexander Biber (CDU), Bürgermeister von Troisdorf

Alexander Biber, Bürgermeister von Troisdorf, wundert sich über die heftigen Reaktionen von Bundespolitikern im Streit um ein Industriegebiet.

Ein Rüstungskonzern produziert in Troisdorf Munition für die Ukraine. Er will sich vergrößern. Der Bürgermeister und der Rat wollen das nicht.

Für einen Bürgermeister, der sich seit Wochen dem Vorwurf ausgesetzt sieht, mit der Flächenpolitik seiner Gemeinde über das Schicksal der Ukraine zu entscheiden, wirkt Alexander Biber äußerst entspannt. Auf dem Besprechungstisch in seinem bescheidenen Büro im Troisdorfer Rathaus steht ein Adventsgesteck. Eigentlich könnte das politische Jahr in der Stadt mit ihren knapp 80.000 Einwohnern im Speckgürtel von Köln ruhig und besinnlich auslaufen, wäre da nicht der Streit um die Zukunft des alten Standorts von Dynamit Nobel mitten in der Stadt.

Die Geschichte des Standorts ist mehr als 150 Jahre lang

Das Gelände, auf dem der Rüstungsbetrieb Diehl Defence aus Überlingen mit seiner Tochterfirma Dynitec Sprengmittel und Zünder herstellt, hat eine Industriegeschichte von mehr als 150 Jahren. Kampfmittel, die von der Ukraine im Krieg gegen das Putin-Russland dringend gebraucht werden. Auch eine zweite Diehl-Tochter produziert auf dem Gelände, beliefert aber ausschließlich zivile Kunden.

Dynamit Nobel als Eigentümer der Flächen sei vor mehr als einem Jahr auf die Stadt zugekommen, „um mit uns über eine Exit-Strategie zu verhandeln“, sagt der Bürgermeister. „Man wolle nicht mehr Eigentümer bleiben, weil man selbst dort gar nichts mehr produziere.“ Weil das Grundstück, einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, trotz der Altlastenproblematik für Troisdorf sehr attraktiv ist, hat sich der Stadtrat Ende November mit den Stimmen von CDU und Grünen das Vorkaufsrecht gesichert – mit Ausnahme von bereits durch die Diehl-Töchter erworbenen Grundstücke. Die wollen nach eigenen Angaben die Produktion ausweiten, deshalb die gesamte Fläche erwerben und nicht länger Mieter sein.

Zur Sitzung des Stadtrats waren zahlreiche Mitarbeitende der Firmen DynITEC und der DynaEnergetics in die Stadthalle gekommen

Beschäftige der Diehl-Gruppe protestieren vor der Sitzung des Troisdorfer Rats im November in der Stadthalle.

Als Bürgermeister sei er verpflichtet, langfristig zu denken und „Schaden von den Bürgern dieser Stadt abzuwenden“, sagt Biber entschlossen. Dieser Schaden könne immens sein, wenn es eines Tages darum gehe, wer für die Altlastensanierung bezahlen müsse, „nach einem Tag X, an dem die Rüstungsproduktion hier hoffentlich nicht mehr benötigt wird.“ Derartige Produktionsanlagen auf einem Areal mitten im Wohngebiet mit Kindergarten, Krankenhaus, Altenheim und an einer ICE-Trasse seien auf Dauer nicht mehr zeitgemäß. „Das ist der Punkt, um den wir ringen.“

Ein Sturm der Entrüstung ist über den Bürgermeister hereingebrochen

Natürlich sei die Beseitigung der Altlasten „in erster Linie Aufgabe derer, die sie hinterlassen haben“, sagt Biber. „Aber in unserer Welt wird das nicht so einfach, denjenigen herauszufinden, der vor vielen Jahren sein Zeug abgekippt hat. Und deshalb wird es am Ende wie so oft sein, dass diese Schäden sozialisiert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass der Steuerzahler nicht unnötig belastet wird und deshalb die Perspektive für eine Nachnutzung entwickeln, mit der wenigstens ein Teil der Sanierungskosten gedeckt werden kann.“

Das alles geht – wie das Angebot des Bürgermeisters, mit Diehl Defence über eine Verlängerung der Mietverträge zu verhandeln, die im Februar 2026 auslaufen – im Sturm der Entrüstung unter, die über den Bürgermeister von Troisdorf hereinbricht. „Selbst wenn wir Grundstückseigentümer würden, könnte die Produktion weiterlaufen und auch hochgefahren werden.“ Das habe er immer betont, doch wolle das offenbar keiner hören.

ARCHIV - 09.11.2023, Berlin: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat UN-Generalsekretär António Guterres für Äußerungen zum Krieg in Nahost scharf kritisiert.(zu dpa «Strack-Zimmermann: «Guterres ist für sein Amt ungeeignet»») Foto: Kilian Genius/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, übt heftige Kritik an Troisdorfs Bürgermeister Alexander Biber (CDU).

Die ARD-Tagesthemen berichten über den „Fall Troisdorf“ und auch im Bundestag spielt er eine Rolle. CDU-Bürgermeister Biber in Troisdorf „verhindert seit Wochen den Ausbau der Kapazitäten für die Herstellung von Munition“, wirft ihm Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, in der jüngsten Bundestagsdebatte vor und legt bei „Hart aber fair“ am vergangenen Montag nach.

Es geht nicht um Troisdorf, es geht nicht mal um Deutschland, es geht um Europa, es geht um die Ukraine, es geht um uns alle, um das bloße Überleben
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bei „Hart aber fair“

„Die Gemeinde, und das ist bemerkenswert, ein CDU-Bürgermeister“, wolle dort „lieber Wohnen im Grünen. Ob man wirklich neben einer Munitionsfabrik wohnen will, lasse ich jetzt mal außen vor. Aber die Tatsache, dass ein Bürgermeister das Vorkaufsrecht der Gemeinde durchsetzt, mit den grünen Kollegen im Rat, ist unglaublich. Es geht nicht um Troisdorf, es geht nicht mal um Deutschland, es geht um Europa, es geht um die Ukraine, es geht um uns alle, um das bloße Überleben.“

Noch vor Weihnachten soll es ein Gespräch geben

Der Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen (CDU) aus dem Rhein-Sieg-Kreis sagt, er habe „zu der Situation in Troisdorf Gespräche geführt. Ich bin in die Entscheidung jedoch nicht involviert und habe davon auch erst erfahren, als die politische Meinungsbildung bereits abgeschlossen war“, und sein SPD-Kollege Sebastian Hartmann wirft ein, Deutschland dürfe sich „beim Thema Rüstung und Verteidigung nicht von den Entscheidungen anderer abhängig machen.“

Ich werde die Interessen der Stadt Troisdorf vortragen. Ich lasse mich nicht einschüchtern
Alexander Biber (CDU), Bürgermeister von Troisdorf

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (CDU) telefoniert mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) über den Fall. Ein Gespräch, das offensichtlich Wirkung zeigt. An diesem Donnerstag sollte es ein Gespräch in der Düsseldorfer Staatskanzlei mit deren Chef, Nathanael Liminski, Bürgermeister Biber und Vertretern der Diehl-Gruppe geben. „Der Termin wurde aus pandemiebedingter Vorsorge verschoben. Das sieht man, wie sprunghaft das alles ist“, sagt Biber. „Jetzt soll es noch einen Termin vor Weihnachten geben. Ob es dazu kommen wird, weiß ich nicht. An mir hat es nicht gelegen.“ Sollte das Gespräch doch noch zustande kommen, werde „ich die Interessen der Stadt Troisdorf vortragen und dann wird man sehen, ob ein Kompromiss möglich ist. Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

Alexander Biber ist verwundert

Keiner der Kritiker habe sich die Mühe gemacht, mit ihm zu sprechen. Auch mit Vertretern der Diehl-Gruppe habe es seit zwei Monaten keinen Kontakt mehr gegeben, sagt Biber. „Ich habe nur aus der Presse entnommen, dass man offenbar im Bestand die Produktion hochfahren möchte ist. Es ist auch davon die Rede, dass man sich baulich erweitern möchte. Erst hieß es, das sei nicht der Fall. Dann wieder, wir wollen neue Arbeitsplätze schaffen, dann heißt es, wir wollen automatisieren. Automatisierung bedeutet nach meinem Verständnis den Wegfall von Arbeitsplätzen. Wir müssten erst einmal dargelegt bekommen, welches Ziel das Unternehmen eigentlich verfolgt.“

Es wundere ihn schon, dass seine Kritiker sich „die einseitige Kommunikation zu eigen machen“ und der Bürgermeister aller Welt erklären müsse, dass die Entscheidung, sich das Vorkaufsrecht für ein Grundstück in der Innenstadt zu sichern, mit der Wehrhaftigkeit der Ukraine in keinem Zusammenhang stehe. Derart im Fokus der Medienöffentlichkeit habe Troisdorf seit Jahren nicht mehr gestanden, sagt Biber. Sein Zeitbudget für Pressearbeit sei für den Rest der Wahlperiode erschöpft.

Zu den Anwürfen der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag wolle er sich nicht im Detail äußern, sagt Biber. „Ich kann das Staatsverständnis von Frau Strack-Zimmermann nur sehr bedingt verstehen. Zu den Aufgaben einer Kommune gehört es, sich um die örtlichen Gegebenheiten zu kümmern. Das nennt man kommunale Planungshoheit.“

Zu Weihnachten werde er der FDP-Politikerin ein Päckchen nach Berlin schicken. Mit einem Grundgesetz. Den Artikel 28, Absatz 2, zur kommunalen Selbstverwaltung werde er gelb markieren. Und ein paar freundliche Worte dazu schreiben.