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Flucht, Internierung und TodDas Leben der jüdischen Familie Hess aus Ruppichteroth

Lesezeit 5 Minuten

Moses Hess und seine Kollegen aus Ruppichteroth waren anerkannte Viehhändler, wie ein Bild vom Waldbröler Markt aus den 30er Jahren belegt.

  1. Der 70-jährige Wolfgang Eilmes aus Ruppichteroth betreibt Heimatforschung.
  2. Am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz berichtete er in der Gedenkstätte Landjuden an der Sieg in Windeck-Rosbach vom Schicksal der Familie Hess, die in Ruppichteroth lebte.
  3. Der Vortrag trug den provokanten Titel „»Dachau war unser Glück« – Leben und Flucht der Familie Hess“.

Ruppichteroth/Windeck – Sie gingen in die evangelische oder in die katholische Grundschule und spielten mit den anderen Kindern im Dorf. Die Eltern der jüdischen Kinder betrieben Landwirtschaft, verkauften Vieh auf den Märkten in der Region, zum Beispiel auf dem großen Viehmarkt im benachbarten Waldbröl. Henriette Hess betrieb ein Lebensmittelgeschäft, ihr Mann Moses war in der Ruppichterother Feuerwehr aktiv.

Moses (Foto) und Henriette Hess wollten nicht mitgehen, als ihr Sohn Oskar mit seiner Frau und seinen drei Söhnen nach Amerika floh.

Dann änderte sich alles in der Nazi-Zeit: Diskriminierung, Schul- und Berufsverbot, Verhaftung und Tod brachen über die Juden in Deutschland herein. Am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz berichtet Wolfgang Eilmes heute in der Gedenkstätte Landjuden an der Sieg in Windeck-Rosbach vom Schicksal der Familie Hess, die in Ruppichteroth lebte.

Provozierender Titel

Der Titel, den der ehemalige Lehrer und Heimatforscher über seinen Vortrag gesetzt hat, provoziert zunächst: „»Dachau war unser Glück« – Leben und Flucht der Familie Hess“. Oskar Hess hat diesen Satz in New York im Rückblick formuliert. Als er 1938 fast 40 Tage in dem Konzentrationslager der Nationalsozialisten eingesperrt war, fasste er den Entschluss, mit seiner Frau und den drei Söhnen Deutschland für immer zu verlassen. Wolfgang Eilmes traf während einer USA-Reise 2018 in New York den Sohn Walter Hess.

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Der Ruppichterother Heimatforscher Wolfgang Eilmes (l.) hat Walter und Hannah S. Hess in New York besucht.

„Die Familie war in Ruppichteroth voll integriert“, berichtet der 70-jährige Eilmes. Bei der Durchsicht alter Unterlagen, nicht zuletzt belegt durch Fotos, hat er diese Erkenntnis gewonnen. Moses und Henriette Hess hätten in Ruppichteroth einen großen Bauernhof besessen, daneben einen Lebensmittelladen betrieben, berichtet er. Die Kinder ihres Sohnes Oskar und seiner Frau Melitta – Wolfgang (der sich später Walter nannte), Karl und Peter – seien zur evangelischen Volksschule gegangen.

Dann übernahmen die Nazis die Macht. Von ihren Plänen erfuhr die Familie durch Kommunisten und Sozialdemokraten, die zum Arbeitsdienst in Ruppichteroth einquartiert waren. Sie mussten die Straße ins Siegtal und das Freibad bauen.

Moses und Henriette Hess wollten nicht mitgehen, als ihr Sohn Oskar mit seiner Frau und seinen drei Söhnen nach Amerika floh.

In der Nacht auf den 10. November 1938 brannte die Synagoge. Der Bürgermeister verbot der Feuerwehr das Löschen. Melitta Hess und ihre Kinder wurden vor das Gebäude geholt und von Mitbürgern beschimpft und bedroht. Einen Tag später wurde Oskar Hess verhaftet und nach Dachau gebracht.

Als er zurückkam, stand fest: „Wir werden Deutschland verlassen.“ Während die 64 und 58 Jahre alten Eltern, Moses und  Henriette Hess, noch an die guten Deutschen glaubten, besorgten sich Oskar Hess und seine Familie, finanziell unterstützt durch eine reiche Verwandte, bereits Visa und Schiffspassagen nach Südamerika. „Erster Klasse, dafür sorgten die Nazis, um ihnen möglichst viel Geld abnehmen zu können“, berichtet Eilmes.

Bestechungsgeld und Namensänderung

Weil die USA keine Europäer mehr aufnehmen wollten, ging es über Venezuela und Panama zunächst nach Ecuador. Sieben Monate, in denen Oskar Hess sich immer wieder „offenbar auch mit einigen Bestechungsgeldern“ um Visa für New York bemühte, lebte die Familie in Lateinamerika, bevor es weiterging nach Nordamerika.

„Wolfgang musste seinen Namen ändern. Die Amerikaner können mit Wolfgang nicht viel anfangen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung“, berichtet Eilmes. In Ecuador wurde der Junge Caesar genannt. In New York entschied er sich für den Vornamen Walter. Wenige Monate zuvor war er noch ein deutscher Junge im friedlichen Bröltal gewesen, inzwischen „hatte er seine Identität völlig verloren“, beschreibt Eilmes die Entwicklung.

In der neuen Heimat bemühte sich die Familie monatelang um Papiere für die zurückgebliebenen Eltern. 1941 scheiterte deren Flucht an 1000 Dollar. Wohl in der Hoffnung, von Köln aus Deutschland schneller verlassen zu können, zogen Moses und Henriette Hess in die Großstadt.

Als sie wenige Monate später zurückkamen, hatten die Nazis den großen Hof und die Wiesen verkauft, für 10 300 Reichsmark. Das Ehepaar kam im „Judenhaus“ unter, wurde später zur Zwangsarbeit ins Lager Much deportiert, schließlich nach Theresienstadt, wo Moses Hess 1942, Henriette Hess 1944 ermordet wurde.

Walter Hess hat Wolfgang Eilmes 2018 in New York getroffen. Er hatte dort studiert und als Cutter von Dokumentarfilmen gearbeitet. Ein Freund von ihm, Manfred Kirchheimer, der dem Holocaust ebenfalls durch Flucht entkommen war, hat für ein Buch Interviews mit geflohenen Juden geführt, und er hat einen Film gedreht, der vor Jahren auch im ZDF gezeigt wurde.

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Auch Walter Hess hat seine Geschichte in Amerika veröffentlicht. Ruppichteroth hat der heute 88-Jährige vor vielen Jahren einmal besucht – nahezu anonym, wie Eilmes erfuhr. Im vergangenen Jahr waren seine Kinder Susan und Ron mit Enkeln im Bröltal, als Gunter Demnig dort Stolpersteine für Moses und Henriette Hess verlegte. Dabei spielte sich jene Szene ab, die Wolfgang Eilmes sehr berührte: Susan Gartner umarmte Demnig und bedankte sich.

Gedenken in Windeck, Much und Siegburg

Die Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Landjuden an der Sieg des Rhein-Sieg-Kreises an der Bergstraße in Windeck-Rosbach findet am heutigen Montag, 27. Januar, um 16.15 Uhr statt.

Zum Gedenken, Nachdenken und Erinnern lädt der Mucher Bürgermeister Norbert Büscher auch im Namen der Kirchengemeinden am heutigen Montag, 27. Januar, um 18 Uhr an die Gedenkstele Walkweiher ein. Anschließend ist der Journalist Tim Pröse Gast im Jugendzentrum.

Die evangelische Allianz lädt für den heutigen Montag, 27. Januar, in Siegburg von 17 bis 18 Uhr zum Holocaust-Gedenktag vor dem Haupteingang des Kaufhof ein. Bereits am gestrigen Sonntag gab es in der Kreisstadt auf Einladung des Breiten Bündnisses Jugendpolitik einen Gedenkrundgang, bei dem die einstigen Schauplätze jüdischen Lebens in Siegburg aufgesucht wurden. Dabei wurde auch erläutert, wie Juden in der Zeit des Nationalsozialismus in Siegburg aufwuchsen. (sp/gvn)

„Wir müssen nicht nur unsere Kinder immer wieder an das erinnern, was damals passiert ist“, betont Wolfgang Eilmes. „Auch meine Generation muss das erfahren“, erklärt der 70-Jährige. Vielfach sei er von erstaunten und interessierten Mitbürgern angesprochen worden. „Die Elterngeneration hat mit uns ja nie darüber geredet“, sagen sie.