Troisdorf/Hennef – „Ja is’ denn heute schon Karneval?“, werden manche Hennefer am Samstagabend in Abwandlung des Beckenbauer-Werbeslogans gedacht haben. Sie wollten ihren Ohren nicht trauen: Kölsche Tön fluteten die Bodenstraße. Da wird doch nicht verbotenerweise dem Straßenkarneval, womöglich unter Missachtung der Abstandsregeln, gefrönt?
Keineswegs. Markus Hoppe hatte als Überraschung für Lebensgefährtin Daniela Weinreich bei einem außergewöhnlichen Lieferservice eine halbe Stunde Stimmung nebst kölschen Frohsinns-Evergreens geordert. In Lieferant Ralf Nuhn hatte er einen Kenner des Metiers, der seine Expertise seit 30 Jahren als Unterhaltungs-DJ und Veranstaltungstechniker festigt, gefunden und bei ihm eine Portion jecker Glückseligkeit bestellt.
Idee aus der Not geboren
Nuhns Kleinbus, dessen technisches Interieur ausreicht, einen größeren Club musikalisch zu versorgen, bog pünktlich wie bestellt auf den Parkplatz des Mehrfamilienhauses ein. Und wenig später schallte Querbeats „Nie mehr Fastelovend“ aus den Boxen. Was der Plattenaufleger natürlich nicht als eine den Karneval endgültig den Garaus machende Hiobsbotschaft verstanden wissen wollte. Sondern vielmehr als trotzige „Wir geben nicht auf“-Hymne, die schon nach wenigen Takten einige Nachbarn hinter ihren Gardinen und auf den Balkonen sichtbar werden ließ.
„Aus der Not geboren“ sei die Idee, den Kleintransporter nach der Zwangspause seiner Firma (Nuhn: „Am 11. März letzten Jahres wurden wir stillgelegt“) zum rollenden Outdoor-DJ-Pult umzugestalten und „kontaktlose Unterhaltung für nur einen Haushalt“ anzubieten.
Mittlerweile ist Nuhns Eingebung, die ihm erst vor vier Wochen kam, eine Erfolgsgeschichte. Sogar aus Essen und dem hessischen Wiesbaden („War wegen der Entfernung nicht zu machen“) seien Buchungsanfragen gekommen, berichtete der 50-Jährige.
Der Müllekovener scheint eine Marktlücke aufgetan zu haben, wie auch seine Haustür-Lieferung in den Siegbogen zeigte. Wobei es im konkreten Fall ein Balkonservice beim im Erdgeschoss lebenden Besteller war. Der Schneeball-Effekt, den die mit feinem Gespür ausgesuchten, herrlich kontrastierenden Hits wie „Ach wär ich nur ein einzig’ Mal ein schmucker Prinz im Karneval“ oder „Leev Marie“ auslösten, war indes der gleiche, den er bei jedem Auftritt vorfinde.
Nach und nach näherten sich Feierhungrige aus ihren Corona-Festungen dem Ort des Geschehens, gleichwohl den Regeln folgend und großzügig Abstand untereinander und zum lauten Quell der Freude wahrend.
Kostüme bereit gehalten
Wie das Ehepaar Mario und Sandra mit der vierjährigen Tochter Pia. Sie, so berichtete das Paar, warfen sich die für alle Fälle bereitgehaltenen Kostüme über, kaum dass sie der Klänge der Bands Brings und Paveier gewahr wurden. Der Sentimentalität konnte man sich nicht entziehen, etwa als zu „Et jitt kei Wood“ (Cat Ballou) an den Balkonen des Mehrfamilienhauses im Takt die Handy-LEDs mitschunkelten. Nuhn nimmt die Pandemie-Regeln ernst, beschränkt seine Auftritte auf jeweils 30 Minuten, was große Aufläufe per se eindämme. So schloss er auch im Siegbogen nach dem finalen „Stääne“ ohne weitere Zugaben die zum DJ-Pult umfunktionierte Seitentür seines Busses, freute sich über die vielen Dankesbekundungen aus allen Winkeln und brauste so unversehens davon, wie er gekommen war.
Daniela Weinreich hatte vom Plan ihres Partners nichts gewusst, fand das als „echt kölsches Mädche“ „einmalig schön“ und verbarg ihre Rührung nicht. Jedes Stück feierte sie schunkelnd und hüpfend mit Markus und Jan Hoppe auf dem Balkon.
Als „Karnevalsversessene“ empfindet Claudia Nuhn, die ihren Mann bisweilen bei seinen Einsätzen begleitet, die Auftritte als wohltuend: „Es gilt, nicht nur dem Virus, sondern auch der Depression Widerstand zu bieten.“