Die Rente ist in Sicht, trotzdem wagen immer mehr Menschen den beruflichen Neustart mit 50plus. Drei Beispiele aus Lohmar.
Vom Schuhgeschäft ins RatsbüroWie drei Lohmarer den beruflichen Neustart mit 50 Plus meistern
Vom Autoverkäufer zum Seniorenassistenten, von der Kellnerin zur Vorzimmerdame: In Zeiten des Fachkräftemangels scheint es leichter zu sein, beruflich umzusatteln. Doch was motiviert Menschen mit 50plus, wenige Jahre vor der Rente, noch einmal neu zu starten? Wir sprachen mit zwei Frauen und einem Mann aus Lohmar.
„Ich schaue jeden Tag in strahlende Gesichter - und niemand fragt mich: Was haben Sie mir denn da für ein Auto verkauft?“ Der Lohmarer Thomas Sekula hat sich im Herbst 2021 als Seniorenassistent selbständig gemacht. Die Corona-Krise habe die Idee in ihm reifen lassen, im Kfz-Handel liefen die Geschäfte schleppend. Zehn Jahre führte er mit einem Kompagnon ein eigenes Unternehmen, zuvor war er 30 Jahre angestellt in einem Autohaus.
Lohmarer fuchste sich mit 61 Jahren in eine neue Branche ein
Sich mit 61 Jahren einzufuchsen in eine komplett neue Branche, das erwies sich als machbar, sagt Sekula rückblickend: Nach 120 Stunden Fortbildung in zwei Monaten konnte er seine Zulassung beantragen, drei Führungszeugnisse musste er vorlegen für den Antrag auf Anerkennung bei der Heimaufsicht.
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Den Sprung ins kalte Wasser habe er nie bereut, so der verheiratete Vater eines erwachsenen Sohnes. Das Schwierigste am Anfang: „Die Menschen wussten gar nicht, dass es diesen Service gibt und dass er bezahlt wird.“ 99 Prozent der Einnahmen generiere er über die Pflegekassen. Einkaufen, Begleitung zu Arztterminen oder zu Ausflügen bietet er an, ist Gesprächs- und Gesellschaftsspielpartner - und er kocht.
Schuhverkäuferin wechselte ins Lohmarer Rathaus
Die Flyer und die Mund-Propaganda haben den Kundenkreis wachsen lassen. Mittlerweile ist auch Gattin Angelika (62) mit im Boot. Die gelernte Fremdsprachensekretärin arbeitete schon einige Jahre als Betreuungskraft in einem Altenheim.
Sekulas bieten, anders als die meisten ambulanten Dienste, ihren Service sieben Tage die Woche an. Wichtig sei, dass die Chemie stimmt, nicht jeder Kontakt führe zum Vertragsabschluss, und nicht alles gehöre zum Service: „Wir putzen nicht.“ Das aber sei am meisten nachgefragt.
Schuhverkäuferin hat Marion Völkerath einst gelernt, in der Familienzeit sich stundenweise im Supermarkt ein Zubrot verdient. Als die Söhne aus dem Haus waren, wollte sie mehr als einen Minijob, schaute auf die Homepage der Stadt Lohmar und entdeckte die vermeintlich ideale Stelle: Die Verwaltung suchte jemanden, der Akten einscannt.
„Das kann eigentlich jeder, das kriege ich schon hin“, dachte die 54-Jährige bei ihrem Start im November 2022. Nach drei Monaten stieg sie auf und arbeitet nun im Ratsbüro.
„Ich habe gelernt, was eine Fraktion ist und wie eine Sitzung abläuft. Mit Politik und Verwaltung hatte ich ja nie etwas zu tun.“ Eine neue, spannende Materie, die ihr angeboten wurde - dazu als Halbtagskraft mehr Geld.
Unter Druck habe sie sich nie gefühlt. „Ich hätte ja zum Scanner zurück gekonnt.“ Dass eine Frau aus dem Einzelhandel ins Büro wechselt, noch dazu in ihrem Alter, das wäre vor Jahren vermutlich nicht möglich gewesen.
„Du kannst mehr als Kellnern.“ Das habe ihr der Vater, selbst Restaurantfachmann, oft gesagt. Allein: Jana Theile-Seelbinder wollte es nicht glauben. Nach dem Realschulabschluss, der in die Zeit der Wende fiel, machte sie in ihrer sächsischen Heimat eine Gastro-Ausbildung, wechselte aufs Schiff, zunächst auf der Elbe, später auf dem Rhein. Ließ sich in leitender Stellung auf Sylt den Wind um die Nase wehen, lernte dort ihren Mann kennen, zog zu ihm nach Lohmar, arbeitete im Naafshäuschen, trotz gesundheitlicher Probleme, bis Corona alles lahmlegte.
„Ich wollte schon die Erwerbsminderungsrente beantragen“, erzählt die 50-Jährige. Doch die Rentenversicherung riet zum Berufswechsel, ihr Ansprechpartner meinte: „Sie schaffen das.“ Sie absolvierte die Umschulung zur Kauffrau für Büromanagement in der Stadtverwaltung, hatte das erste Mal mit Computern zu tun, schloss ihre Prüfung trotz Bammel mit einer Zwei ab - und blieb.
„Eigentlich verwunderlich, ich bin ja keine Verwaltungsfachkraft“, meint die Mutter einer erwachsenen Tochter. Familie, Freunde, Bekannte hingegen hätten ihr Mut gemacht, ihr Erfolg sei kein Zufall. Kommunikation sei ihr bestes Fach gewesen, so die Vorzimmerdame der Lohmarer Bürgermeisterin. Claudia Wieja lobt die Freundlichkeit und Umgänglichkeit der Umschülerin: „Das hat sie aus der Gastronomie mitgebracht.“
Arbeitsamt Bonn/Rhein-Sieg sieht steigende Chancen für Ältere
André Bruschke (41), Berufsberater im Erwerbsleben bei der Agentur für Arbeit Bonn/Rhein-Sieg, sieht Chancen, aber auch Fallstricke für Ältere auf dem Arbeitsmarkt.
Herr Bruschke, steigen durch den Fachkräftemangel die Möglichkeiten für Bewerber 50plus?
Selbst mit über 60 gibt es noch Chancen auf dem regulären Beschäftigungsmarkt, das gilt aber nicht für alle Branchen.
Wo sollte man es gar nicht erst versuchen?
Unserer Erfahrung nach werden im Bereich Werbung/Marketing/Social Media eher Mitarbeiter Anfang, Mitte 20 gesucht. Selbst eine Weiterbildung kann einen Jobeinstieg hier nicht garantieren., Ältere Bewerber überstehen die Probezeit nicht oder erhalten nach einer Befristung keine Verlängerung. Oder sie entdecken für sich, dass TikTok und Co. nichts mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun haben.
Wo sieht es besser aus?
Der Öffentliche Dienst erweist sich als flexibel, stellt zunehmend auch Büro- und Industriekaufleute ein, die dann in Richtung Verwaltung geschult werden. Handwerker sind ebenfalls gefragt. Türen für Quereinsteiger öffnen sich auch im Versicherungsbereich, zum Beispiel bei den Krankenkassen. Und warum sollte jemand nicht mit Anfang 50 Lokomotivführer werden? Der kann ja noch mehr als ein Jahrzehnt arbeiten. Das lebenslange Lernen ist ein Trend.
Es fehlen ja besonders viele Kräfte im Pflegebereich und in den Kindertagesstätten...
Da muss man realistisch die Belastung miteinberechnen. Bei einer Umschulung, die ja von Versichertengeldern bezahlt wird, geht es um eine längerfristige Perspektive. Die Personen müssen geeignet sein, nicht jeder und jede hält der gesundheitlichen Belastung stand.
Was sollten Ältere bei Bewerbungen beachten?
Die Bewerber sollten sich die Stellenangebote genau anschauen und dann aufzeigen, was sie dafür mitbringen. In den vergangenen Jahren waren vor allem Spezialisten gefragt. Jetzt geht der Trend eher zu Generalisten, da braucht es zahlreiche angewandte Fähigkeiten, die mit einer Weiterbildung allein kaum abgedeckt werden können. Man sollte die eigenen Stärken herausstellen, Berufserfahrung, Flexibilität. Und sich ruhig auf befristete Jobs bewerben, da spielt das Alter in der Regel keine Rolle.
Gibt es auch mehr Leute 50plus, die sich selbständig machen?
Diesen Schritt gehen vor allem Akademiker, viele werden Berater. Einen Gründungszuschuss gibt es in den wenigsten Fällen, unser gesetzlicher Auftrag ist die Vermittlung in den regulären Beschäftigungsmarkt. Wenn der Ex-Manager sich zum Beispiel als Massagetherapeut verwirklicht, geschieht das auf eigene Kosten.