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Standort Sankt AugustinChef der GSG 9 gibt Einblick in den Alltag der Spezialeinheit

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Jerome Fuchs, Kommandeur der Spezialeinheit der Bundespolizei GSG 9, in seinem Büro in Sankt Augustin

Sankt Augustin – Keine Sterne auf den Schulterklappen und auch sonst keine Hinweise an der Uniform. Dass Jerome Fuchs hier der Kommandeur ist, lässt sich nur an der „1“ auf dem Klett-Abzeichen am Ärmel ablesen. Sein Büro in einem schmucklosen Zweckbau in Sankt Augustin liegt an einem Flur, der die graue Tristesse einer deutschen Behörde ausstrahlt. Dabei steht die GSG 9 der Bundespolizei, die er seit 2014 leitet, für das Gegenteil von Bürokratie und Alltagstrott.

Die international hoch geschätzte Spezialeinheit wird immer dann gerufen, wenn vermutet wird, dass Kriminelle oder Terroristen bewaffnet sind. Wenn Schnelligkeit und entschlossenes Handeln gefragt sind.

GSG 9 hat Fallschirmspringer, Präzisionsschützen, Taucher und Bootsführer

Dass dies aus Sicht der Verantwortlichen in Regierung und Sicherheitsbehörden künftig eher häufiger als seltener der Fall sein könnte, lässt sich nur an dem bereits relativ fortgeschrittenen Aufbau einer weiteren Einheit in Berlin ablesen und an einer Baustelle auf dem Gelände in Sankt Augustin. Denn über die genaue Personalstärke der GSG 9 macht die Bundesregierung keine Angaben.

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„Unsere Bestandsgebäude platzen hier aus allen Nähten“, sagt Fuchs. Die 4. Einheit in Berlin sei inzwischen einsatzfähig und werde auch häufig angefordert. Die GSG 9 hat in ihren Einsatzeinheiten Fallschirmspringer, Präzisionsschützen, Taucher und Bootsführer. Neu hinzugekommen ist zudem die Spezialisierung auf den Umgang mit chemischen, biologischen und radioaktiven Gefahrstoffen. Dazu gehört auch der Umgang mit einer sogenannten „dirty bomb“. So nennt man Bomben aus konventionellem Sprengstoff, denen radioaktive Stoffe beigemischt sind.

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Die Eins am Ärmel kennzeichnet Jerome Fuchs als Chef der GSG 9, darunter ist das Abzeichen der GSG 9 und das Abzeichen für Fallschirmspringer.

Andere Spezialeinheiten von Polizei und Bundeswehr machten in den vergangenen Jahren negative Schlagzeilen. Die 2. Kommandokompanie des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr war 2020 nach rechtsextremistischen Vorfällen aufgelöst worden. In einer Einheit des Bundeskriminalamtes, die deutsche Politiker auf Auslandsreisen schützt, führten Hinweise auf rassistische und sexistische Sprüche zu einer Untersuchung. Auch Klagen über Mobbing wurden hier geäußert. „Die Neustrukturierung der betroffenen Organisationseinheit wurde eingeleitet“, teilte das Bundesinnenministerium kürzlich dem Innenausschuss mit.

Die in Verruf geratene BKA-Gruppe und die Kommandosoldaten haben eines gemein: Unter ihnen sind keine Frauen. Die wenigen Bewerberinnen, die zu den Kommandosoldaten wollten, sind bisher an den sportlichen Anforderungen gescheitert. Auch in den Einsatzeinheiten der GSG 9 gibt es bislang keine Beamtinnen. Nur in den sogenannten Unterstützungseinheiten sind einige wenige Frauen tätig.

Arbeitsgruppe Wertekompass sucht nach einem Motto

Die Leitung der GSG 9 ist froh, dass es Vorfälle wie beim KSK in den eigenen Reihen bislang nicht gegeben hat. „Wir haben schon vor längerer Zeit eine Arbeitsgruppe Wertekompass eingerichtet“, berichtet der Kommandeur. Dabei gehe es um den Umgang miteinander und auch um die Frage „Welche Werte sind uns wichtig?“. Am Ende solle ein Motto gefunden werden, mit dem sich alle identifizieren können. Das KSK hat einen solchen Leitspruch bereits. Er lautet: „Der Wille entscheidet.“

Obwohl sich für die Ausbildung alle Beamtinnen und Beamten mit abgeschlossener Polizeivollzugsausbildung bewerben können, hat es für den Dienst in der GSG 9 seit Jahren keine Bewerbungen von Polizistinnen gegeben. „Es sind ja auch Frauen dabei, wenn wir in den Aus- und Fortbildungszentren die Werbetrommel rühren“, sagt Fuchs. Allerdings müsse jeder – unabhängig vom Geschlecht – die gleichen sportlichen Voraussetzungen erfüllen. „Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sich keine bewirbt, oder ob es andere Gründe hat.“

Fitness, Teamgeist und der Wille, bis an die eigene Grenze zu gehen

Von 100 Polizisten, die sich bei der GSG 9 bewerben, bleiben zum Ende der Ausbildung im Schnitt zehn Bewerber übrig. Es gab aber auch schon Jahre, in denen alle bis auf zwei oder drei Männer ausgeschieden sind. „In der Ausbildung gibt es eine sogenannte Härtewoche, da muss man sich weitestgehend alleine durchschlagen und jeder Tag ist eine neue Herausforderung“, erklärt der Kommandeur.

Dass die Ausbildung jetzt von zehn Monaten auf knapp ein Jahr verlängert wurde, hat aber nichts mit dem sportlichen Leistungsniveau zu tun, sondern liegt daran, dass die Anforderungen im Umgang mit Technik gestiegen sind. Wer einmal in eine Einsatzeinheit aufgenommen worden ist, bleibt meistens bis zum Erreichen der Altersgrenze, die hier bei 45 Jahren liegt. Danach wechseln die Beamten oft in eine der Unterstützungseinheiten. Manche wollen zurück in eine Dienststelle der Bundespolizei an ihrem Heimatort. Andere beraten Unternehmen in Sicherheitsfragen. Auch der Sicherheitsberater der deutschen Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul, die im August geschlossen worden war, arbeitete früher bei der GSG 9.

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Um den Schutz deutscher Diplomaten an besonders gefährdeten Standorten wie in Bagdad oder Kabul kümmert sich die GSG 9 seit einigen Jahren schon nicht mehr. Für diese Aufgabe wurde 2008 die Einheit Polizeiliche Schutzaufgaben Ausland (PSA) gegründet. Wie die GSG 9, so untersteht auch diese Einheit der Bundespolizeidirektion 11 in Berlin. Was von den zuletzt in Kabul eingesetzten PSA-Kräften gefordert war, „hing natürlich stark von den politischen Vorgaben ab“, sagt Fuchs, der bei diesem Thema etwas wortkarg wird. Er habe mit den PSA-Kräften nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan gesprochen, sagt er nur. Und: „Die Evakuierung zum Flughafen und die Eindrücke dort vor Ort – das sind sicher persönliche Erfahrungen, die man mitnimmt.“

Mit dem Schutz der Diplomaten hängt auch das zusammen, was für Fuchs ganz persönlich „die schwärzeste Stunde“ in der Geschichte der GSG 9 ist: 2004 werden zwei Beamte der GSG 9 getötet, ihr Konvoi war im irakischen Falludscha in einen Hinterhalt geraten. Fuchs, der früher selbst im Irak im Einsatz war, deutet auf die Fotos der beiden getöteten Kameraden an der Wand.

In den Einsatzeinheiten der GSG 9 sprechen alle von „Kameraden“, wie bei der Bundeswehr, nicht von „Kollegen“. Warum das so ist? „Das ist seit der Gründung der GSG 9 so und liegt wahrscheinlich daran, dass man viel Zeit miteinander verbringt“ und im Extremfall auch bereit sei, das Leben des Anderen zu retten, sagt der Kommandeur.

Einsatz in Belgien: Elitesoldat auf der Flucht

Kontakte hat die GSG 9 zum KSK, zu den Spezialeinheiten der Polizeibehörden der Länder, des Zolls und zu den Mobilen Einsatzkommandos des Bundeskriminalamtes. Damit alles reibungslos abläuft beim nächsten Einsatz gegen Rocker, Mafiosi, Terroristen, wenn ein Amokläufer um sich schießt oder oder eine Geisel befreit werden soll. Gute Beziehungen pflegt man auch zu Spezialeinheiten im Ausland, etwa zur israelischen Yamam oder zum Hostage Rescue Team des FBI.

Dass die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Polizei-Spezialeinheiten, die über den sogenannten Atlas-Verbund organisiert wird, auch im realen Einsatz funktioniert, hat sich laut Fuchs etwa gezeigt, als die GSG 9 in diesem Sommer gemeinsam mit Kräften aus Luxemburg und den Niederlanden die belgische Spezialeinheit DSU bei der Fahndung nach einem flüchtigen belgischen Berufssoldaten unterstützt hat.

Der Elitesoldat, in dessen Auto Waffen gefunden worden waren, war am 17. Mai nach Todesdrohungen gegen den prominenten Virologen Marc Van Ranst unweit der Grenzen zu Deutschland und den Niederlanden verschwunden. Es wurde befürchtet, dass er einen Anschlag auf staatliche Strukturen oder öffentliche Personen plant. Wochenlang lief eine beispiellose Suchaktion. Später wurde die Leiche des Soldaten gefunden. Als Todesursache vermutet die Staatsanwaltschaft Selbsttötung mit einer Schusswaffe.

Bekannter Einsatz der GSG 9: Erstürmung des Flugzeugs „Landshut“ 1977

Da die GSG 9 in der Regel zur Unterstützung bei Ermittlungen oder Terrorlagen angefordert wird, sind die Angehörigen der Spezialeinheit praktisch nie als Erste zur Stelle. Wenn sie dann gerufen werden, geht es oft um Schleuserkriminalität, die Bekämpfung des Handels mit Missbrauchsdarstellungen von Kindern oder um die Festnahme von Islamisten. Bei Geiselnahmen oder anderen Einsätzen im Ausland wird erst im Krisenstab der Bundesregierung beraten, wer die benötigten taktischen Fähigkeiten hat und den Auftrag erhält. Anders als die Bundeswehr benötigt die GSG 9 für ihre Einsätze im Ausland generell kein Bundestagsmandat.

Einer ihrer bekanntesten Einsätze war die Erstürmung des Flugzeugs „Landshut“ der Lufthansa im Oktober 1977. Ein palästinensisches Kommando hatte das Passagierflugzeug mit mehr als 90 Menschen in die somalische Hauptstadt Mogadischu entführt. Während der „Operation Feuerzauber“ drangen GSG-9-Beamte nachts in die Maschine ein und töteten drei der vier Entführer. Kein Polizist und keine der Geiseln kamen bei der Befreiungsaktion ums Leben. Die schwierige Operation fand auch außerhalb von Deutschland große Beachtung. „Was damals geleistet wurde, das öffnet uns bis heute international viele Türen“, berichtet Fuchs. Über seine eigene Zukunft sagt er: „Für mich persönlich ist es eine Ehre, diesen Job machen zu dürfen. Ich weiß noch nicht, was danach kommt.“ (dpa)