Leuna/Berlin – Mit den Eckpunkten zu einem Cannabisgesetz ist die Legalisierung in Deutschland ein großes Stück vorangekommen. Doch die schnelle Freigabe von Hanf zu Genusszwecken wirft vor allem eine Frage auf: Wenn es ein Importverbot gibt, kann in Deutschland genug produziert werden, um dem Schwarzmarkt ein ausreichendes legales Angebot entgegenzusetzen?Wir haben uns in der deutschen Produktionsstätte des kanadischen Cannabiskonzerns Aurora in Leuna umgesehen.
Süßlicher Geruch wabert durch den fensterlosen Raum, gelbes Licht fällt auf 1200 Cannabispflanzen der Sorte „Island Sweet Skunk“. Die Blütenstände stehen prall. Produktionsleiter Simon von Berlepsch ist zufrieden. In drei Tagen wird geerntet. 40 Kilogramm getrocknete Blüte werden die acht Wochen alten Pflanzen ergeben. Ganz legales Gras für den medizinischen Gebrauch, staatlich kontrolliert für deutsche Apotheken.
Deutsche Produktion in Leuna
Die Pflanzen wachsen in einem bunkerartigen Hochsicherheitsquader hinter 24 Zentimeter Stahlbeton. 800 Überwachungskameras und Körperschallsensoren überwachen die deutsche Produktionsstätte des kanadischen Cannabiskonzerns Aurora. Sie liegt auf dem Gelände des Chemieparks Leuna in Sachsen-Anhalt, der ohnehin schon mit Zäunen, Einlasskontrollen und Wachschutz gesichert ist.
„Wir produzieren hier quasi in einem Tresor“, sagt Aurora-Manager Dirk Heitepriem. Die Bedingungen sind von der staatlichen Cannabisagentur vorgegeben, die beim Bundesamt für Arzneimittel angesiedelt ist. Aurora hat die Lizenz, in Leuna eine Tonne getrocknete Cannabisblüten pro Jahr für den streng regulierten medizinischen Markt herzustellen. 2,6 Tonnen pro Jahr dürfen in Deutschland insgesamt legal produziert werden. Rund 20 Tonnen werden für den medizinischen Cannabismarkt aus dem Ausland importiert. Im Juni gab es die erste Ernte im Blütenbunker.
Mit der von vielen ungeduldig erwarteten Freigabe des Hanfs zu Genusszwecken aber könnten die Dimensionen in Leuna geradezu absurd klein und die Sicherheitsvorkehrungen grotesk übertrieben wirken. Schließlich soll Cannabis in Zukunft nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) liegen die ersten Eckpunkte zur Cannabislegalisierung vor, die im kommenden Jahr den Bundestag passieren soll. In der Hanfbranche herrscht Goldgräberstimmung – und gleichzeitig große Unsicherheit.
Heitepriem ist einer der wichtigsten Cannabismanager in Deutschland, seine Visitenkarte trägt den klingenden Titel „Vice President External Affairs“ von Aurora Europe, er ist also zuständig für Außenbeziehungen.
Nur Cannabis aus Deutschland legal
„Aurora unterstützt die Bundesregierung darin, die Produkte in Deutschland anzubauen“, sagt er. Das wird nach jetzigem Stand auch nötig sein. In dem Eckpunktepapier wird darauf hingewiesen, dass der Cannabisbedarf aus dem Anbau in Deutschland gedeckt werden muss, weil ein Import aus Gründen des EU- und des Völkerrechts nicht infrage kommt.
Auch wenn am Standort Leuna genug Platz ist, um mittelfristig bis zu zehn Tonnen pro Jahr herzustellen, – der Bedarf wäre damit noch lange nicht gedeckt. Es droht eine veritable Grasmangellage auf dem legalen Markt, wenn jetzt nicht rasch investiert wird. Der Direktor des „Düsseldorf Institute for Competition Economics“ (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität, Justus Haucap, geht in einer vor knapp einem Jahr veröffentlichten Studie von einem Bedarf in Deutschland in der Größenordnung von 380 bis 420 Tonnen aus.
Mehr als 4,7 Milliarden Euro
Das Geschäft wäre äußerst lukrativ: Haucap rechnet damit, dass eine Legalisierung von Cannabis dem Fiskus durch zusätzliche Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge sowie Einsparungen bei Strafverfolgung und Justiz insgesamt mehr als 4,7 Milliarden Euro pro Jahr einbringen könnte. Bei einem mittleren Wert von 400 Tonnen Cannabisjahresbedarf und einem angenommenen Preis von 10 Euro pro Gramm brächte allein der reine Cannabishandel einen Umsatz von 4 Milliarden Euro.
Seine Investoren stünden bereit, bräuchten aber Sicherheit, sagt Heitepriem. „Von der Entscheidung, in eine neue Anlage zu investieren, bis zur Ernte vergehen ungefähr zwei Jahre. Für eine Anlage, die 30 Tonnen jährlich in einer Indoor- oder Gewächshausplantage produziert, müssen unsere Investoren einen dreistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen.“ Das sei nur möglich, wenn der exklusive Anbau in Deutschland garantiert werde, fordert Heitepriem. „Über die Ankündigung nach einem deutschen Anbau hinaus würde ein Importmoratorium von fünf Jahren eine hohe Investitionssicherheit geben.“
Mit der Hanfpflanze ist das so eine Sache: Eigentlich wächst sie überall, auch auf Kreuzberger Balkonen, wie der heutige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vor Jahren einmal in einem Video demonstriert hat. Die Straßennamen „Gras“ und „Weed“ („Unkraut“) kommen ja nicht von ungefähr. Doch für marktgängige Qualitäts-Rauschmittel mit gleichbleibendem Gehalt des Wirkstoffs THC bieten sich in Deutschland Gewächshaus- oder Indoor-Plantage an.
Hygiene und Sicherheit
In Leuna wird das Cannabis nicht nur hinter schweren Metalltüren, sondern auch unter höchstem Hygieneschutz gezüchtet. Produktionsleiter von Berlepsch schlüpft routiniert in einen grünen Overall, zieht sich ein Haarnetz auf den Kopf, blaue Überzieher über seine Schuhe und Einweghandschuhe über die Hände, die er zudem noch mit Desinfektionsmittel beträufelt. Eingeschleppte Schädlinge könnten den ganzen Betrieb gefährden. Bisher sind die Pflanzen davon verschont geblieben.
THC-Gehalt entscheidend Eine einzige Sorte wird in Leuna gezüchtet. Die Triebe kommen von den immer gleichen Mutterpflanzen, im „Klonraum“ werden sie in Steinwolle gesteckt, schlagen Wurzeln und kommen dann in den Blütenraum. Das Kunstlicht leuchtet in einem täglich gleichen Tag-Nacht-Rhythmus, zwölf Stunden Helligkeit, zwölf Stunden dunkel. Automatisch fließt Nährlösung auf die Schalen, in denen die Töpfe mit den Hanfpflanzen gedeihen. Der standardisierte Anbau sorgt für einen möglichst immer gleichen Gehalt des berauschenden Wirkstoffs THC: 19 Prozent hat die Leunaer Sorte, beim Medizinalcannabis wird nur eine Abweichung von 10 Prozent nach oben oder unten toleriert.
19 Prozent – auf den Schwarzmarkt wäre das eine starke, aber nicht extrem THC-haltige Sorte. Für die Legalisierungspläne der Bundesregierung wäre sie nach jetzigem Stand zu stark. 15 Prozent beträgt die Obergrenze laut Eckpunktepapier.
„Produkte müssen hinreichend potent sein“
Jakob Sons, Gründer und Geschäftsführer des Großhändlers Cansativa, der für den Staat den Medizinalhanf aus Leuna und den anderen beiden deutschen Produktionsstätten vertreibt, sieht das kritisch: „Der Gesetzgeber darf nicht eine zu niedrige Obergrenze für den THC-Gehalt festlegen. Die Produkte müssen hinreichend potent sein, also einen THC-Gehalt in der Größenordnung von 20 oder 25 Prozent haben dürfen. Wenn die Konsumenten in legalen Shops nicht das Gewünschte bekommen, dann bleiben sie bei ihrem bekannten Schwarzmarktdealer.“ Auch Cansativa steht bereit für den neuen Milliardenmarkt - in die Frankfurter Firma hat unter anderem der US-Rapper Snoop Dogg investiert.
Finn Hänsel, Chef und Mitgründer des Start-ups Sanity Group, glaubt, dass neben den bestehenden Produzenten eine ganze Reihe neuer Hanfanbauer auf den Markt drängen werden, „die vielleicht schon heute Gewächshäuser betreiben und zum Beispiel Gemüse oder Tomaten anbauen im sonnigeren Süddeutschland.“ Doch ohne Import, glaubt Hänsel, wird man den Bedarf nicht decken können.
Hänsel ist auf den ersten Blick nicht unbedingt der Typ, bei dem man eine Affinität für Marihuana vermuten würde. „Ich bin Mitglied der CDU und war Vorsitzender der Jungen Union in Flensburg und war auch im Landesvorstand Schleswig-Holstein“, sagt der Unternehmer. „Ich habe mich dann aber schon mit 18, also 2002, für eine Legalisierung von Cannabis innerhalb der CDU eingesetzt, und das sehr aktiv.“ Die Sanity Group entwickelt Arzneimittel auf Cannabisbasis und Konsumgüter mit dem Cannabiswirkstoff CBD. Beides ist in Deutschland legal, CBD ist anders als der Cannabiswirkstoff THC nicht berauschend.
Genussmittelmarkt im Fokus
Hänsel trägt Jeans und schwarzen Rollkragenpullover, die Sanity Group ist nicht sein erstes Startup – unter anderem hat er gemeinsam mit zwei weiteren Unternehmern eine Craft-Beer-Brauerei am Prenzlauer Berg ins Leben gerufen. Seine Firma wolle „als Überzeugungstäter“ im Cannabis-Arzneimittelmarkt bleiben, sagt Hänsel, aber auch in den Genussmittelmarkt einsteigen – der um ein Vielfaches größer sei.
„Auf jeden Fall einen einstelligen Millionenbetrag“ habe sein Unternehmen bereits in die Vorbereitungen des Geschäfts nach der Legalisierung in Deutschland gesteckt, sagt Hänsel. „In den USA sieht man klar, dass viele Brauereien und Konsumgüterfirmen jetzt auch im Bereich Cannabis aktiv werden. Wann hat man das schon mal im Leben, dass eine Branche, die illegal ist, über Nacht legal werden könnte?“
Auch bei der Sanity Group gibt es (über Hänsels Craft-Beer-Brauerei am Prenzlauer Berg hinaus) Querverbindungen zum Bier: Einer der Investoren der Sanity Group ist Bitburger Ventures, eine Beteiligungsgesellschaft der Bitburger Holding. Angebotsengpass erwartet Hänsel befürchtet, dass es am Anfang einen Engpass geben wird. „Von der Entscheidung eines Anbauers zu sagen ‚Wir machen das jetzt‘ bis hin zum ersten Produkt, das dann eine gute Qualität hat, da vergehen gut und gerne eineinhalb Jahre. Das sehe ich als auf jeden Fall als große Gefahr“, sagt Hänsel. „Wenn Deutschland sagt, ihr müsst im eigenen Land anbauen, dann werden wir hier die gleiche Entwicklung wie in Kanada sehen.“
Kanada produziert zu viel Cannabis
In dem nordamerikanischen Land benötigten die inländischen Hersteller nach der Legalisierung lange Zeit, um die Produktion so hochzufahren, dass die Nachfrage gedeckt werden konnte – wovon der Schwarzmarkt profitierte. Auch an Verkaufsstellen mangelte es zunächst noch. Weil dann aber immer mehr Hersteller in den legalisierten Markt drängten, produziert Kanada nun sogar zu viel Cannabis. Hänsel war kürzlich dort, er sagt, in dem nordamerikanischen Land werde die halbe Jahresproduktion inzwischen vernichtet.
„Mit dem Schwarzmarkt kann man es nur aufnehmen, wenn es ein flächendeckendes legales Angebot gibt, das leicht zu erreichen ist“, sagt auch Jakob Sons von Cansativa. „Das ist unter anderem eine Lehre aus Kanada, wo das am Anfang nicht funktioniert hat.“ Mindestens ebenso wichtig sei ein anderer Punkt: „Wir brauchen einen konkurrenzfähigen Preis.“ Zwar wird es auf einem ausdifferenzierten Markt auch hochpreisige Genießersorten für den wohlsituierten Gelegenheitskiffer geben, aber das Standardangebot muss mit dem Schwarzmarktpreis von 8 bis 10 Euro pro Gramm konkurrieren können.
„Im Grunde gibt es eine Art Preisdeckel, der vom Schwarzmarkt mitbestimmt wird“, sagt Sons. Die FDP-Drogenpolitikerin Kristine Lütke kalauerte kürzlich von einer „Graspreisbremse“. Sie führte aus: „Nach der Legalisierung brauchen wir einen kompetitiven Preis für legales Cannabis, um den Schwarzmarkt ein großes Stück zurückzudrängen.
Viele Branchenvertreter fordern nun, die in den Eckpunkten vorgeschlagene Cannabissteuer erst schrittweise einzuführen, damit sich die Anfangsinvestitionen in neue legale Plantagen lohnen. Unmöglich sei es aber nicht, auch in Deutschland kostendeckend Genusshanf anzubauen. In Leuna prüft Simon von Berlepsch in einem weiteren Blühraum den neuen Satz von 1200 Pflänzchen, die in acht Wochen weitere 40 Kilo Blüten produzieren sollen. Auf dem Weg zum Ausgang zieht er vier schwere Tresortüren hinter sich zu. Zum Abschied schenkt der Biologe dem Reporter ein Genussmittel aus eigenem Anbau: einen Apfel aus seinem Garten.