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Portrait Armin LaschetWie der CDU-Kanzlerkandidat Chancen im Wahlkampf liegen ließ

Lesezeit 8 Minuten
Laschet guckt traurg

CDU-Kanzlerkandidat und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet

Berlin – Nein, der Regen ist nicht lila, der Himmel nicht purpurfarben. Und der Wolkenbruch bei diesem ersten von nur zwei gemeinsamen Wahlkampfauftritten, die Armin Laschet der Kanzlerin abgetrotzt hat, erzeugt auch keine Weltuntergangsstimmung wie der Welthit „Purple Rain“. Es ist einfach nur nass und grau in Stralsund.

Aber es wirkt wie ein schlechtes Omen, dass sich die Musiker auf der Bühne der CDU, die Volksmusik und Nationalhymne liebt, ausgerechnet an den düster-traurigen Prince-Song über blau-blutroten Regen wagen, just als es zu schütten beginnt. Jedenfalls wird der kostbare Termin mit Angela Merkel für den Unionskanzlerkandidaten ein Reinfall. Es prasselt, es wird gepfiffen und gepöbelt.

Ganz aus dem Westen

Es sind nur wenige CDU-Fans am Dienstagabend zum Alten Markt der Hansestadt gekommen. Die Störer sind lauter als sie. „Hau ab!“ und „Merkel muss weg“ schallt es aus ihren Reihen. Wahrscheinlich brüllen sie das noch, wenn Merkel nicht mehr im Kanzleramt ist.

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Die freiwillig scheidende Regierungschefin lässt das abtropfen wie den Regen. Sie hat Vulgäreres erlebt im Wahlkampf 2017 nach der Flüchtlingskrise, als NPD und AfD sie niederschrien. Vor allem aber ist es jetzt nicht mehr sie, die für die Union die Wahl gewinnen muss. Dafür ist ja Laschet gekommen. Ganz aus dem Westen, wie er sagt.

Der 60-Jährige atmet mehr die Tradition von Helmut Kohl, der katholischen Kirche, des alten Männerklüngels der CDU als die jüngere Geschichte der 67-jährigen Protestantin Merkel aus der DDR. Er sagt, er sei froh, in Stralsund zu sein. Man kann es ihm nicht glauben. Er wirkt unglücklich hier, seine Ansprache fahrig. Er verliert sich in Raum und Zeit.

Bevor Laschet sagt, dass Stralsund an der Ostsee liegt, schaut er auf seinen Zettel. Statt Samstag nennt er Dienstag als Zeitpunkt für den Mord an dem jungen Verkäufer in einer Tankstelle in Idar-Oberstein, der sterben musste, weil er den Täter auf die Corona-Maskenpflicht hingewiesen hatte. Dann folgt ein unbeholfener Appell: „Wir verurteilen diese Aggression und ich fordere jeden auf, das zu lassen.“ Laschet vermengt das mit dem Hass im Netz. Es klingt aber so, als fordere er, aufs Töten zu verzichten.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat sich die Kanzlerkandidatur offenbar leichter vorgestellt. Jedenfalls hat er die ihm eigene Attitüde des „fünfe grade sein lassen“ nicht abgelegt. Er konzentriert sich schlecht, er fokussiert sich nicht auf das gerade Wichtigste. Wenn man ins Kanzleramt will, ist aber jede Minute das aktuell Wichtigste, jeder Schritt und Tritt.

Beim Spaziergang verzettelt

Deswegen kann man auch nicht beim Schlendern durch die Altstadt von Osnabrück nebenbei ein Interview geben. Im August nennt Laschet dabei einer „Focus Online“-Reporterin die Digitalisierung und den Ausbau Deutschlands zum klimaneutralen Industrieland als wichtigste Vorhaben. Sie fragt, ob es noch etwas Drittes gebe. Laschet fragt sich selbst: „Joah, was machen wir noch?“ Aber ihm fällt so schnell nichts ein.

Da stellt sich schon die Frage, wer das Wahlprogramm der Union eigentlich geschrieben hat. Laschet kann sein Entfesselungspaket, sein Modernisierungsjahrzehnt, sein Nein zu Steuererhöhungen spontan nicht abrufen. Und er muss erkennen: Ein Bundestagswahlkampf ist eben kein Spaziergang.

Der Rheinländer habe sich im Kanzleramt gesehen, aber nicht im Wahlkampf, heißt es in den Weiten der Union. So wie manche Läufer einen Marathon ins Ziel bringen wollen ohne das dafür nötige, brutal harte Training.

Dann ist da noch sein Lachen im Flutkatastrophengebiet im Juli in einem vermeintlich unbeobachteten Moment, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Opfer spricht. Nicht realisierend, dass alle Kameras immer auch auf den gerichtet sind, der das wichtigste politische Amt im Land einnehmen will. Wenn ihm etwas die Chancen auf die Kanzlerschaft so richtig versaut haben wird, dann dieses eine Lachen.

Laschet lacht in Katastrophengeb

Armin Laschet lacht im Flutkatastrophengebiet während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Opfer spricht.

Dabei hätte die schreckliche Flut im eigenen Bundesland seine größte Chance sein können, sich als Krisenmanager, Kümmerer, Landesvater zu beweisen. Es weiß nicht jeder, dass Laschet ein mitfühlender, warmherziger Mensch ist, der Opfer nie verhöhnen oder sich über sie lustig machen würde. Er muss es zeigen. Die SPD hat nach Überflutungen im Osten einst eine Landtags- und eine Bundestagswahl gewonnen. Gerhard Schröders Präsenz in der Krisenbewältigung beim Elbhochwasser war 2002 einer der wichtigsten Gründe für die knappe Wiederwahl der rot-grünen Bundesregierung.

Merkel soll helfen

Eigentlich wollte Merkel sich ganz aus dem Wahlkampf heraushalten, aber je schlechter die Umfragewerte für die Union wurden, desto mehr stieg der parteiinterne Druck, dass sie für Laschet etwas tun müsse. Und so liest sie Anfang September in ihrer letzten Rede als Bundestagsabgeordnete ein paar Zeilen vom Blatt ab, warum die Deutschen den Mann zum Kanzler wählen sollten. Nämlich, weil es sonst ganz schlecht aussehe.

Oder so ähnlich. Hängen bleibt nicht, was sie sagt, sondern dass sie etwas sagt. Man weiß nicht, was Laschet mehr schadet: Keine Unterstützung von Merkel oder diese. Aber in Stralsund, in ihrem Wahlkreis, legt sie sich richtig für ihn ins Zeug.

Er wiederum lobt Merkel. Und verhaut sich in Ton und Fakten. Wer habe sich das vor 30 Jahren ausgemalt, als sie hier zum ersten Mal angetreten sei – aus der Bürgerbewegung kommend, Sprecherin des ersten Ministerpräsidenten „der frei gewählten DDR“, fragt er. Bundesministerin sei sie geworden und habe am Ende aus „Pommern, Vorpommern hinaus“ 16 Jahre Deutschland regiert. „Das ist eine grandiose Leistung. Seien Sie stolz auf diese Bundeskanzlerin, auf diese Abgeordnete.“

MErkel und Laschet

Bundeskanzlerin Angela Merke und KCDU-Kanzlerkandidat in Stralsund

Was jetzt? Weil sie aus Pommern kommt und als Ostdeutsche trotzdem das Land regieren kann? Merkel wurde übrigens in Hamburg geboren und ist in Brandenburg aufgewachsen. Nur ihr Wahlkreis liegt in Mecklenburg-Vorpommern. Und es war die erste frei gewählte Volkskammer der DDR und nicht die frei gewählte DDR. Es sind kleine Ungenauigkeiten, aber sie lenken vom Eigentlichen ab und bringen ihm Spott ein.

Wie beim Auftakt zum Schlussspurt des Wahlkampfs Ende August in Berlin. Statt von der Befreiung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ 1977 in Mogadischu durch die Elitetruppe GSG 9 spricht Laschet davon, dass diese „Deutsche aus der entführten Lufthansa-Maschine in Landshut befreit“ habe. Man weiß, was er meint. Aber gesagt hat er es anders. Nicht konzentriert, nicht fokussiert.

In Stralsund will Laschet mit seinem Lob für die Kanzlerin vermutlich den „Merkel muss weg“-Schreihälsen und Corona-Leugnern etwas entgegenhalten. Er meint es nur gut. Genauso, wenn er zum Entsetzen der Konkurrenz sogenannte Querdenker in seinen Wahlkampf integriert, sich mit ihnen auseinandersetzt, um sich ansprechbar zu zeigen. Nicht, weil er die kruden Ansichten teilt.

Wie hart der Christdemokrat sein kann, welche Steherqualitäten er hat, ist im Wahlkampf untergegangen. Bisher hat er davon profitiert, dass er unterschätzt wurde. 2017 gewann er überraschend die Wahl im SPD-Stammland NRW und wurde Ministerpräsident. Unionsanhänger schauen deshalb bei der jüngsten Forsa-Umfrage nicht auf den großen Vorsprung von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in den Persönlichkeitswerten. Sie schauen darauf, dass die Union bei 22 und die SPD bei 25 Prozent der Wählerstimmen taxiert wird. Zuletzt lagen die Demoskopen vor Wahlen oft daneben.

Im Januar 2021 setzte sich Laschet im Ringen um den CDU-Vorsitz mit einer überraschend guten Rede gegen Friedrich Merz durch, und im April zog der nette Rheinländer eiskalt alle Register, um CSU-Chef Markus Söder im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur auszustechen.In alter CDU-Männermanier paktierte er mit den Haudegen Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier und ließ sich von ihnen stützen – und unter Druck setzen. Er werde den CDU-Vorsitz schnell wieder los sein, wenn er nicht Kanzlerkandidat werde, soll Schäuble gedroht haben. Da Söder an der CDU-Basis beliebt war, wurde die Entscheidung durch den Bundesvorstand erzwungen. Ein Vorgehen, auf das Merkel 2002 verzichtet hatte. Sie ließ dem damals in der Union gefragten CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt – und blieb CDU-Chefin.

Lockerheit – oder Erdbeben

Gewinnt Laschet, wird Deutschland mit dem Rheinländer nach der preußischen Merkel wohl ein paar Lockerungsübungen machen müssen. Die Frage ist, was mit ihm passiert, wenn die Union die Wahl verliert. Dann nämlich dürfte sein Parteivorsitz tatsächlich wanken.

Es würde ein Erdbeben geben, ein Hauen und Stechen um den Fraktionsvorsitz im Bundestag, kein Stein würde auf dem anderen bleiben, heißt es. Die CSU würde der CDU die Schuld geben, Söder triumphieren, die Laschet-Leute würden in die Wüste geschickt. Der rechte Flügel der Partei würde nach vorn drängen, der konservative Part Ansprüche erheben. Ihn hat der liberale Laschet durch seine Einbindung von Friedrich Merz selbst gestärkt. Aber Laschet hat es genauso wenig wie seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer vermocht, vor allem auf das eigene Lager zuzugehen und die Talente dort zu fördern.

Noch zwei große Wahlkampftermine hat Laschet. Am Freitag die Schlusskundgebung mit Merkel und Söder in München. Am Samstag den zweiten und letzten Wahlkampfauftritt mit Merkel allein. In Aachen, seiner Heimat. Tief im Westen. Merkel hat ihm in Stralsund geraten, „als Bundeskanzler“ sich die schöne Hansestadt einmal bei Sonnenschein anzusehen. Vielleicht würde er das machen, schon der Genugtuung wegen. Es sei denn, „Purple Rain“ ergießt sich bei der Bundestagswahl über die Union.