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Corona-Experten alarmiertWie hoch darf die vierte Welle schlagen?

Lesezeit 4 Minuten
Impfung Corona 120721

In Deutschland müsste sich dringend die Impfquote erhöhen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt seit über zwei Wochen kontinuierlich. Die explosionsartige Ausbreitung der Delta-Variante bringt viele Erfolge der Corona-Bekämpfung in Gefahr. Vor allem das geringe Impftempo bereitet Politikern und Experten große Sorgen - sie fürchten einen harten Winter.

Gesundheitsexperten und Politiker in Deutschland sind alarmiert: Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt seit über zwei Wochen kontinuierlich. Die Politik in Bund und Ländern schaltet langsam wieder in einen verschärften Krisenmodus.

Wie Niedersachsen plädiert nun auch Mecklenburg-Vorpommern dafür, das nächste Treffen der Länder-Regierungschefs mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Corona-Lage vorzuziehen. Dabei soll insbesondere über die Ausbreitung der Delta-Mutation und das Impfen von Jugendlichen beraten werden.

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach begrüßt diese Bemühungen. „Je eher die Ministerpräsidenten-Runde zusammenkommt, desto besser“, sagte Lauterbach dem RND. „Wir kommen wahrscheinlich noch vor der Bundestagswahl in eine Situation hoher Fallzahlen und dreistelliger Inzidenzen. Darauf müssen die Länder jetzt reagieren. Außerdem stecken wir noch nicht so tief im Wahlkampf.“

Der Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland ist laut RKI bisher vor allem bei Menschen im Alter zwischen 15 und 34 Jahren zu beobachten. Während sich die Werte in den Gruppen ab 60 Jahren in den vergangenen Wochen nur minimal und auf sehr niedrigem Niveau (unter 5 Fälle pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen) veränderten, verzeichnet das RKI für Jüngere relativ starke Zuwächse.

Die Frage der Impfung junger Menschen ließe sich allerdings nicht politisch entscheiden, so lange RKI und Ständige Impfkommission StiKo explizit keine Empfehlung aussprechen würden. „Ich halte es für falsch, die Impfung von Kindern und Jugendlichen zu einer politischen Frage zu machen. Frau Merkel oder die Ministerpräsidenten können die Impfung von Kinder und Jugendlichen nicht anordnen“, so Lauterbach.

Darum sei es wichtiger zu entscheiden, welche Lockerungen aufgeschoben oder aufgehoben werden sollten, so der Gesundheitspolitiker. „Wir sollten die Distanzregeln und die Maskenpflicht, etwa in Clubs oder Diskotheken, nicht vorschnell aufheben.“

In Deutschland sind inzwischen 48,5 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft - das sind nun rund 40,3 Millionen Menschen. Rund 50,4 Millionen (60,6 Prozent) haben mindestens eine Impfdosis erhalten.Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel, sagte dem RND: „Wir müssen als Gesellschaft einen Weg finden, mit dem Virus umzugehen. Eine vierte Welle muss nicht zu einem erneuten Lockdown führen, wenn wir verantwortungsvoll mit den Freiheitsgraden umgehen.“ Durch die steigende Anzahl der Geimpften „können wir eine höhere Inzidenz in Kauf nehmen ohne dass die Krankenhäuser überlastet werden: eine Inzidenz von 200 ist dabei das neue 50.“

„Impfen als Weg aus der Pandemie“

Der Vorstandsvorsitzende der deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, mahnt, „die weitere Entwicklung der Pandemie hängt maßgeblich an Impfquote und Impfgeschwindigkeit“. Jeder könne dazu beitragen können, eine vierte Welle zu vermeiden. „Wenn sich jetzt wieder deutlich mehr Menschen impfen lassen, können wir sicher schwere Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen so weit begrenzen, dass keine Überlastungen des Gesundheitssystems und keine Einschränkungen des öffentlichen Lebens drohen“, so Gaß. „Impfen ist unser Weg aus der Pandemie.“

„Ich vermisse in Deutschland eine Kommunikation, die motiviert durch positive Botschaften und nicht immer nur auf Katastrophenalarm setzt“, sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeld, dem RND. Die Formel „hohe Inzidenz“ sei gleich „hohe Krankheitslast“ sei gleich „überfordertes Gesundheitssystem“ müsse dringend überdacht werden. „Für unsere tägliche Arbeit in den Praxen ist beispielsweise die Frage der Krankheitslast, also wie viele Patientinnen und Patienten wie intensiv betreut werden müssen, entscheidender.“

„Corona wird ungefährlicher“

Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, sagte dem RND: „Corona wird für Geimpfte ungefährlicher, das sehen wir bislang an den Zahlen in Großbritannien und auch an den bisherigen Daten aus Deutschland. Impfen ist der beste Individual-Schutz.“ Die vierte Welle dürfe und werde nicht zu einem vierten Lockdown führen, so Gassen.

„Es braucht einen Plan, wie genau die Länder und der Bund bei steigenden Infektionszahlen unter zusätzlicher Berücksichtigung weiterer Parameter reagieren, um überhastetes und unvorbereitetes Vorgehen nach altem holzschnittartigem Muster zu verhindern“, forderte Gassen.

Die Vorbereitungen für eine vierte Welle müssten vor allem in den Schulen getroffen werden. „Es ist niemandem mehr zu vermitteln, dass wir eineinhalb Jahre nach Corona die Schulen immer noch nicht fit haben für das neue Schuljahr“, so Gassen.