CoronavirusBehörden wollen Kombination von Grippe und Covid-19 verhindern
Hannover – Wenn die deutschen Behörden bislang die Unruhe durch das neue Coronavirus dämpfen wollten, hatten sie stets ein scheinbar schlagendes Argument: Letztlich würden Jahr für Jahr viel mehr Menschen durch die ganz normale Grippe sterben - und zwar ohne dass dies zu einer vergleichbaren Aufregung führte. Doch jetzt hat sich auch das Robert-Koch-Institut (RKI) von diesem Argument offiziell verabschiedet: Das neue Coronavirus sei tödlicher als die Grippe, räumte dessen Präsident Lothar Wieler am Mittwoch ein.
Die „Spitze-des-Eisbergs-Theorie“ stimmt nicht
Nun formuliert der RKI-Chef also, worauf die Daten schon seit Tagen immer stärker hindeuten: Dass die Sterblichkeit bei Covid-19, wie die durch das Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelöste Lungenkrankheit offiziell heißt, höher ist als bei einer Influenza. Bislang vermutete man stets, dass es in China eine große Zahl unentdeckter Sars-CoV-2-Infektionen gebe und die Sterblichkeit somit niedriger läge, als es die offiziellen Zahl nahelegten. Doch offenbar stimmt diese „Spitze-des-Eisbergs-Theorie“ nicht. Bruce Aylward, der die WHO-Mission leitete, mit der die Weltgesundheitsorganisation zuletzt in China die Ausbreitung und Bekämpfung studieren wollte, sagte nach der Rückkehr: „Was die Daten stützen, ist, dass es wenige unsymptomatische Fälle gibt. Aber es gibt wahrscheinlich keine großen Übertragungen über das hinaus, was wir klinisch sehen.“
Nach seinen Angaben verlaufen, über ganz China gesehen, 80 Prozent der Fälle mild und rund 14 Prozent schwer. Sechs Prozent der Infizierten erkrankten lebensbedrohlich - und zwischen zwei und vier Prozent seien in der Provinz Hubei verstorben, erklärte Aylward. Eine solche Sterblichkeitsrate läge aber deutlich höher als bei der Grippe, bei der sie weniger als ein Prozent beträgt.
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Covid-19 in Kombination mit Grippe
Dennoch bietet der Vergleich mit der Grippe wenig Grund für Alarmismus - so wenig, wie er bisher zur Beruhigung taugte. Denn es bleibt dabei, dass die Grippe bislang weit mehr Menschen trifft als das neue Coronavirus. Allein in dieser Grippesaison sind nach Angaben des RKI bislang 161 Menschen in Deutschland an der Grippe gestorben. Gut 98.000 Fälle sind bestätigt, knapp 17.000 Patienten mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Mehr als 300 Ausbrüche mit mehr als fünf Fällen hat das Robert-Koch-Institut bislang registriert. Es sind Zahlen, von denen das neue Coronavirus bislang glücklicherweise weit entfernt ist - aber die auch klarmachen: Es geht nicht um Covid-19 oder Grippe - die größte Gefahr wäre Covid-19 UND Grippe.
2,1 Millionen Arztbesuche - wegen Influenza
Tatsächlich wäre eine Kombination von Covid-19 und der Grippe eine massive Belastung - für das Gesundheitssystem insgesamt und für jeden einzelnen Erkrankten. Die diesjährige Grippesaison verläuft bislang deutlich weniger schwer als die sehr heftige vorletzte und auch als die Saison 2018/2019. „Der Höhepunkt der diesjährigen Grippewelle scheint überschritten zu sein“, schreibt das RKI in seinem aktuellen Situationsbericht. Dennoch sind in dieser Saison bereits rund 2,1 Millionen Menschen in Deutschland wegen einer möglichen Influenza zum Arzt gegangen - und vorbei, auch das zeigen die Daten, ist die Grippesaison noch längst nicht. „In der Grippesaison sind unsere Kapazitäten zu 85 Prozent belegt“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Heyo Kroemer, bei einer Pressekonferenz.
Klinisches System könnte rasch an Grenzen stoßen
Eine zusätzliche größere Covid-19-Welle könnte das klinische System rasch an seine Grenzen bringen, fürchten Wissenschaftler. „Es wird dann schwierig, die normale Versorgung aufrechtzuerhalten“, warnte deshalb kürzlich der Virologe Christian Drosten von der Charité.
Auch für den einzelnen Patienten könnte eine Kombination aus Grippe- und Sars-CoV-2-Infektion besonders gefährlich sein, warnen Ärzte. Bislang ist über das neue Corona-Virus vieles - nach wie vor - nicht bekannt, die Wissenslücken sind groß. Wie viele weitere Menschen ein Infizierter ansteckt und in welcher Phase genau er das Virus weitergibt, auf all das gibt es Hinweise, aber noch kaum sicheres Wissen. Mediziner fürchten aber, dass eine Infektion mit beiden Viren besonders schwere Verläufe bringen könnte. „Wir können deshalb nur an die Bevölkerung appellieren: Lasst euch impfen!“, sagt der Immunologe Professor Matthias Stoll von der Medizinischen Hochschule Hannover.
Hoffnung auf das Frühjahr
Eindämmungsmaßnahmen mögen manchmal aktionistisch wirken - letztlich sollen sie vor allem dazu dienen, Grippe- und eine mögliche Covid-19-Welle zu entzerren. „Wir müssen Zeit gewinnen“, sagt deshalb RKI-Chef Wieler. Am Ende steht dahinter auch die große Hoffnung, dass Grippeerreger und das Sars-CoV-2-Virus noch etwas gemeinsam haben: Dass sie das Frühjahr nicht mögen und steigende Temperaturen die Infektionswellen rasch zum Abklingen bringen.