Berlin – Der aktuell wichtigste Punkt im Entlastungspaket der Bundesregierung ist offen: Wie genau dämmt die Regierung die Energiepreise ein? Sie weiß es noch nicht. Der Grund dafür ist komplex, die Umsetzung der 65-Milliarden-Euro-Pläne eine Herausforderung.
In der Debatte sorgt ein Tweet von Justizminister Marco Buschmann für Aufsehen. Denn er verbreitet auch Dinge, über die seine Koalitionskolleginnen und -kollegen lieber schweigen. So verkündet der Bundesjustizminister nicht nur am Sonntag in der Früh als Erster, dass das dritte Entlastungspaket vollbracht und nach 22-stündigen Verhandlungen ein sehr gutes Ergebnis herausgekommen sei.
Offene Fragen bei Strompreisbremse
Er veröffentlicht später auch „Beispielrechnungen“, wer in welchem Umfang davon profitiert und liefert gleich den Richtwert für einen möglichen Strompreisdeckel mit. Und das alles, während die Regierung sich darüber eigentlich noch in Schweigen hüllt.
So voluminös und detailliert das 65-Milliarden-Euro-Paket von der Homeofficepauschale bis zum Kinderzuschlag auch ist: Wie und wann die Energiepreise eingedämmt werden, ist nicht beantwortet. Der Grund: Die Regierung weiß es noch nicht.
Aus Parteikreisen verlautete am Montag, der Koalitionsausschuss habe wegen kritischer Hinweise aus den Fachministerien keine Entscheidung zu einem möglichen Gaspreisregulierung treffen wollen. Die allgemeine Erwartungshaltung vor der Sitzung am Wochenende war aber genau, dass die Expertise bereits eingeholt wurde, damit die Spitzenpolitiker mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Beschluss fassen können.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit warb um Verständnis: „Vieles muss noch im Ungefähren sein, weil wir Vieles noch klären müssen.“ Das ist eine Art Selbstschutz. Denn: „Nichts ist blöder, als wenn man sich relativ früh korrigieren muss.“
Hebestreit mahnt, die von Buschmann veröffentlichte „Beispielrechnung“ sei „mit Vorsicht“ zu genießen. Noch sei gar nicht klar, was genau alles zum Tragen komme. So wisse man nicht, ob die Arbeitgeber überhaupt auf den Vorschlag eingingen, ihren Beschäftigten Einmalzahlungen bis zu 3000 Euro als Inflationsausgleich zu geben, für die keine Steuern und Abgaben fällig würden.
Just am Montag verteuerte sich das Gas erneut. Die Koalition verspricht „zeitnahe“ Lösungen. Aber was ist darunter zu verstehen? Und wie werden sich die Bundesländer an den Kosten beteiligen? Ein Überblick über die Pläne für die Umsetzung des Entlastungspakets:
Gaspreisbremse
Der Preis an den Großhandelsplätzen für Gas legte am Montag wieder deutlich zu. Um gut ein Viertel verteuerte sich die wichtige europäische Referenzsorte Dutch TTF im Vergleich zu Freitag. Für eine Megawattstunde (1000 Kilowattstunden) zur Lieferung im Oktober wurden am Montagmittag etwa 270 Euro fällig. Das ist eine Verzehnfachung im Vergleich zum September vor einem Jahr.
Das vom russischen Staatskonzern Gazprom am Freitag verkündete einstweilige Ende der Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nordstream 1 wirkt an den Märkten nach. Gleichzeitig ist die Verunsicherung groß, weil niemand weiß, was die politisch Verantwortlichen in Berlin, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten zur Dämpfung des Preisanstiegs planen. Was die Bundesregierung für den Gasmarkt plant: völlig unklar.
Eine Expertenkommission aus Wissenschaftlern, Wirtschaftsvertretern, Gewerkschaftsvertretern und Verbraucherschützern soll klären, ob Preisdämpfungsmodelle für Heizungsenergie, etwa ein vergünstigtes Grundkontingent für Wärme in Deutschland Europa realisierbar wären. Es klingt eher so, als wenn erstmal nichts passiert.
Strompreisbremse
Konkreter sind da schon die Ankündigungen für den Strommarkt, allerdings ist auch hier vieles offen. Vor allem die Frage, wie die Politik den Strommarkt vom Gaspreis entkoppeln will, elektrisiert die Branchen. Bislang wird der Strompreis im Großhandel durch das jeweils teuerste Kraftwerk am Markt bestimmt – und das ist derzeit immer ein Gaskraftwerk.
Am einfachsten wäre es wohl, die Gaskraftwerke aus dem Handelssystem an der Börse herauszunehmen und in den Verantwortungsbereich der Netzbetreiber zu übergeben. Die entscheiden ohnehin schon darüber, welche Kraftwerke wann an oder abgeschaltet werden. Allerdings wäre eine solche Regelung nahe dran an der Verstaatlichung der Kraftwerke, weshalb sich die Politik offenbar für einen anderen Weg entschieden hat, und die jetzt als „Zufallsgewinne“ bezeichnet extrem hohen Margen der Betreiber von Kohlekraftwerken, Atomkraftwerken sowie von Wind- und Solarparks abzuschöpfen.
Ein Höchstsatz für Erlöse am Spotmarkt soll festgesetzt werden, alles was darüber hinausgeht soll vom Staat eingesammelt und an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Der Teufel steckt bei dieser Lösung aber im Detail, weshalb viele Interessenvertreter mit einer finalen Bewertung zurückhaltend sind.
„Wir warten jetzt mal ab, was die Politik beschließt“, sagt einer aus der Branche der Erneuerbaren. Dass Stromverbraucher eine Entlastung bräuchten, sei zwar unstrittig, gleichzeitig aber müsse die Politik aufpassen, nicht zu rigoros vorzugehen, wenn sie nicht riskieren wolle, dass dringend benötigten Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren wegfielen.
Neue Details
Offenbar nicht zur Freude des Kanzleramtes veröffentlichte Buschmann ein internes Papier aus den Verhandlungen der Koalitionspartner zu Beispielrechnungen. Danach wird ein Single mit einem Einkommen von knapp 16.000 Euro im Jahr um 870 Euro entlastet. Bei einem Einkommen von rund 29.000 Euro beträgt die Entlastung 267 Euro und bei 156.000 Euro 646 Euro.
Eine Familie mit zwei Kindern mit einem Einkommen von 31.000 Euro spart der Tabelle zufolge 1582 Euro, bei 66.000 Euro sind es 1032 Euro. Ein Rentner mit einem Einkommen von 12.000 Euro soll um 855 Euro entlastet werden.
Interessant ist aber vor allem, dass in dem Papier erstmals auch konkrete Eckwerte zur geplanten Strompreisbremse genannt werden. So wird der Preisdeckel beim Strom mit 30 Cent je Kilowattstunde angegeben. Dieser gedeckelte Preis solle bis zu 75 Prozent des Durchschnittsverbrauchs gelten. Dafür werden 1400 Kilowattstunden für Single-Haushalte und 3100 Kilowattstunden für Familien angesetzt. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums betont allerdings, es gebe bei der Preisebremse noch keine Festlegungen.
Wohngeld 2.0
Die Bundesregierung will das Wohngeld reformieren. Zunächst einmal wird der Kreis der Berechtigten ausgeweitet. Zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen künftig Anspruch haben, das ist nach Schätzungen eine Verdoppelung. Außerdem ist vorgesehen, dass es ab 1. Januar 2023 eine dauerhafte Klima- und Heizkostenkomponente enthält. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, sollen Wohngeldberechtigte für die Heizperiode September bis Dezember einen einmaligen Heizkostenzuschuss bekommen. Danach soll er dauerhaft in das Wohngeld integriert werden.
Der einmalige Zuschuss beträgt für einen Ein-Personen-Haushalt 415 Euro. Bei zwei Personen sind es 540 Euro, für jede weitere Person gibt es 100 Euro. Offen ist allerdings noch, um welche Personengruppen sich der Kreis der Wohngeld-Berechtigten genau ausweitet. Hinzu kommt, dass vielen das Wohngeld kein gängiger Begriff ist oder sie ihren Anspruch gar nicht erst geltend machen. VdK-Präsidentin Verena Bentele betont, es sei nun „ganz wichtig“, dass alle Anspruchsberechtigten das Wohngeld auch beantragen. „Es muss dringend mehr und besser informiert werden.“
Beteiligung der Länder
Die Bundesländer werden durch das dritte Entlastungspaket nach ersten überschlägigen Berechnungen aus der Ampelkoalition mit Kosten beziehungsweise Einnahmeausfällen in Höhe von 15 Milliarden Euro belastet. So teilen sich Bund und Länder üblicherweise die Kosten des Wohngeldes, wobei die Mehrausgaben durch die geplanten Verbesserungen auf bis zu vier Milliarden Euro geschätzt werden.
Der vorgesehen Abbau der kalten Progression mit Mindereinnahmen von zehn Milliarden Euro betrifft die Einkommensteuer, die zu jeweils 42,5 Prozent (Kommunen 15 Prozent) zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird. Weitere Kosten entstehen für die Länder unter anderem durch Absenkung der Mehrwertsteuer für Gas auf sieben Prozent (Verteilung der Umsatzsteuer Bund/Länder in etwa 50/50) und für die Verlängerung der Umsatzsteuerermäßigung für Speisen in der Gastronomie. Außerdem hat der Bund eine Bedingung gestellt: Er will 1,5 Milliarden Euro für die Nachfolge des 9-Euro-Tickets nur zahlen, wenn sich die Länder mindestens in dieser Höhe beteiligen.
Völlig offen ist allerdings, ob die Länder überhaupt bereit sind, diese Kosten zu tragen. Sie sitzen am längeren Hebel, denn alle Entlastungen, an denen die Länder finanziell beteiligt sind, brauchen im Bundesrat eine Mehrheit. Dem Bund fehlen hingegen die Druckmittel. Scholz plädiert für eine schnelle Ministerpräsidentenkonferenz.
Reaktionen auf das Paket: „Unklares Zeug“
Darauf pocht auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). „Denn es gibt zwar eine ganze Reihe von Maßnahmen, die ich in Ordnung finde. Allerdings werden die Länder wie schon bei der Mehrwertsteuersenkung ganz stark belastet“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Im Übrigen finde sich „im Kleingedruckten ziemlich unklares Zeug.“
Besonders kritisiert er fehlende Entschlossenheit mit Blick auf den Strommarkt. „Die alten Oligopole werden weiter geschützt, das halte ich für grundfalsch. So wird aus der Gasmangellage eine Energiekrise, die letztlich eine Krise des Energiemarktes ist.“
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Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein sagt dem RND: „Selbstverständlich müssen nun die Länder an der konkreten Ausgestaltung des dritten Entlastungspakets beteiligt werden. Dabei wird mit dem Bund auch und vor allem über die Finanzierung zu reden sein. Momentan sind uns noch deutlich zu wenige Details bekannt.“
Scholz betont stereotyp, Deutschland werde gut durch die Wintermonate kommen. Durch schwere Wintermonate.