- Im Streit um Waffenlieferungen an die Ukraine geht es längst nicht mehr nur um Meinungen.
- Es geht um Konkretes – und Verschwiegenes. Was wurde geliefert? Was wurde versprochen? Welche Rolle spielt die Nato?
- Übrig bleibt ein Land, das jeden Tag weniger Zeit zu verlieren hat: die Ukraine.
Als Friedrich Merz im Bundestag spricht, hagelt es Vorwürfe. Gerade hat Olaf Scholz gesagt, Deutschland unterstütze die Ukraine sehr entschlossen. Merz baut sich hinter dem Rednerpult auf. „Was treiben Sie für ein Spiel?“, fährt er den Kanzler an. „Es wird faktisch nichts geliefert.“
Dann dekliniert der Unionsfraktionschef durch: die Gepard-Flugabwehrpanzer, die die Bundesregierung zugesagt hat – zu kompliziert, von der Ukraine nicht gewünscht. Und Munition dafür gebe es nicht. Der Ringtausch, in dem osteuropäische Staaten alte Sowjetpanzer an die Ukraine liefern und von Deutschland ersetzt bekommen? Funktioniere nicht. Exportgenehmigungen? Würden nicht erteilt.
„Was ist da eigentlich los?“, fragt Merz. Ja, was ist da eigentlich los?
Waffenlieferungen in die Ukraine: Koalition der Kritiker
Der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber twittert empört die Panzerbestände der Bundeswehr: „Von 380 Mardern liefern wir null. Von 800 Füchsen liefern wir null. Von 300 Leoparden liefern wir null.“ Der Vorwurf: mangelnde Hilfsbereitschaft.
Der Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger, lässt wissen, man könne innerhalb von drei Wochen Marder-Schützenpanzer liefern, die die Bundeswehr ausrangiert hat. Nur: Es gebe keine Exportgenehmigungen.Kiews Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, konstatiert im Interview mit dem RND: „Wir haben den Eindruck, dass der Kanzler nicht liefern will.“
Es sprechen: ein Oppositionsführer, ein Koalitionär, ein Konzernchef, ein Diplomat. Da entsteht der Eindruck, dass sich der Krieg Russlands gegen die Ukraine im Kanzleramt entscheidet – und dass alles, was dort passiert, zu wenig ist, zu spät entschieden wird. Oder beides.
Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Oppositionschef lieber selbst regieren will, dass der FDP-Mann degradiert wurde, der Unternehmer Geld verdienen will und der Ukrainer weiß, wie man Druck aufbaut.
Aber es liegt auch daran, dass die Regierung ihnen wenig entgegensetzt. Scholz verweist wieder und wieder auf Grundsätze: keine direkte Kriegsbeteiligung, Sicherung der Landes- und Bündnisbeteiligung, internationale Abstimmung. Es sind Grundsätze, keine Details.
Die Sache mit den Waffenlieferungen ist von Beginn an schwierig. Im Mai 2021 reist der damalige Grünen-Vorsitzende und heutige Vizekanzler Robert Habeck in die Ostukraine. Zumindest die Lieferung von Defensivwaffen könne man nicht verwehren, sagt er da – und bekommt Widerspruch von allen Seiten, nicht zuletzt aus der eigenen Partei.
Am 24. Februar überfällt Russland sein Nachbarland. Damals verlautet aus der Umgebung des Kanzlers, mit dem Gedanken an Waffenlieferungen brauche man sich gar nicht lange aufzuhalten – Russland werde die Ukraine schnell besiegen. Und die deutschen Richtlinien für Rüstungsexport verbieten Waffenausfuhren in Krisen- und Kriegsgebiete.
Die Linie lässt sich nicht lange halten. Nach internationalem Druck einigt sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP zwei Tage nach Kriegsbeginn darauf, 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ Stinger an die Ukraine abzugeben. Bald wird noch die Lieferung von 2700 Strela-Panzerabwehrraketen aus DDR-Beständen genehmigt. Nicht alle sind nutzbar.
Kurz vor Ostern werden in Butscha bei Kiew Massengräber gefunden – die Nato-Länder entschließen sich, dass nun auch schwere Waffen geliefert werden. Ausschussvorsitzende der Koalition drängen, die Union fordert einen Bundestagsbeschluss. Zwei Wochen später rufen die USA zu einem Gipfel auf ihrem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz.
Aussage gegen Aussage
Zwei Tage darauf verabschieden die Ampelfraktionen gemeinsam mit CDU und CSU im Bundestag eine Erklärung, die grundsätzlich die Lieferung schwerer Waffen vorsieht. Zumindest der SPD-Teil in der Koalition handelt, wie es scheint, erst auf Druck. Den Streit beendet das nicht.
Die Debatte dreht sich nun um die 30 von der Bundeswehr ausgemusterten Gepard-Panzer, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) angeboten hat. Die Ukra¬ine wolle sie gar nicht, behauptet Merz im Bundestag. Aus der Regierung verlautet, die Ukraine wolle sie sehr wohl. Aussage steht gegen Aussage, wieder einmal.
Sicher ist: Die ersten 15 Exemplare sollen laut Bundesverteidigungsministerium Mitte Juli an die Ukraine gehen, die restlichen 15 bis Ende August. Ukrainer sollen in Deutschland ausgebildet werden.
Das nächste Thema: sieben Panzerhaubitzen 2000, deren Lieferung Lambrecht Anfang Mai in Aussicht stellt. Es ist eine Überraschung.
Diskussionen um Panzer-Ringtausch
Und dann der Ringtausch, also die Lieferung moderner Panzer an östliche Nato-Staaten im Austausch dafür, dass diese ältere Modelle an die Ukraine weitergeben. Die Sowjetmodelle sind in der ukrainischen Armee bekannt, ein Vorteil.
Läuft nicht, sagt Oppositionsführer Merz. Diese Woche meldet das Verteidigungsministerium jedoch stolz, dass es mit Tschechien nun klappe. Dafür beschwert sich Polen. Man habe Panzer geschickt, jetzt hätte man gerne den angekündigten Ersatz aus Deutschland, Leopard am besten, fordert Präsident Andrzej Duda empört. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gibt zurück: Man könne nun mal nicht „per Knopfdruck oder per Fingerschnipsen liefern“, sagt sie bei einem Besuch ihres Amtskollegen Zbigniew Rau.
Die Ukraine drängt auf Weiteres: Marder-Schützenpanzer und Leopard-Kampfpanzer etwa. Ihre Panzer brauche sie selbst, sagt die Bundeswehr. Dann taucht ein Brief aus dem Verteidigungsministerium auf, wonach 30 Marder entbehrbar wären. Deren Reparatur dauere Monate, heißt es in der Koalition. Kurzfristig helfe das also nichts.
Das könnte Sie auch interessieren:
Aber Rheinmetall hat noch etwas herumstehen und verkündet: 88 Leopard 1 und 100 Marder könnten schnell generalüberholt werden. Die Regierung wiederholt Scholz’ Grundsätze. Eine Entscheidung wird nicht bekannt. Kein Ja, kein Nein. Mit einer Genehmigung wird aber nicht gerechnet. Anfang dieser Woche wird es plötzlich konkreter.
Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller (SPD) sagt im ZDF: „Wir haben im Nato-Bündnis festgehalten, dass keine Schützen- oder Kampfpanzer westlichen Modells geliefert werden.“ Union und Grüne zeigen sich unwissend bis empört.
Die Nato selbst hält sich bedeckt. Ein Sprecher verwies gestern nur darauf, dass letztlich alle Nato-Staaten national über ihre Militärhilfe entschieden. Damit sind informelle Absprachen allerdings nicht dementiert. Sicher ist, was Möller auch sagte: „Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat kein Nato-Partner Kampf- oder Schützenpanzer westlicher Bauart an die Ukraine geliefert.“
Demonstriert die Bundesregierung neue Offenheit, oder gibt es, wie die Union sagt, eine neue Ausrede?
Plaudern ist strafbar
Die Unübersichtlichkeit liegt nicht zuletzt an der Kommunikation. Für Waffenlieferungen aus Beständen der Bundeswehr ist Lambrechts Verteidigungsministerium zuständig. Tatsächlich fielen die Würfel aber in Scholz’ Kanzleramt, sagen sie zumindest bei den Grünen.
Für Waffenexporte der Indu¬strie trägt Habecks Bundeswirtschaftsministerium Verantwortung – nach Zustimmung durch den Bundessicherheitsrat. Allerdings werden dessen Beschlüsse nicht publik gemacht. Selbst Zeit und Ort der Sitzungen bleiben geheim. Manches geschehe auch im Umlaufverfahren, berichten Insider – also, indem Vorlagen von einem der zuständigen Ministerien zum anderen wandern, bis alle Ministerien durch sind.
Abgeordnete können Unterlagen in Geheimschutzstellen einsehen. Doch wer darüber plaudert, macht sich strafbar.Kein Wunder, dass sich kein klares Bild ergibt und die Debatte nicht zur Ruhe kommt. Unbewiesene Behauptungen auf der einen Seite stehen gegen Schweigen auf der anderen Seite.Übrig bleibt ein Land, das jeden Tag weniger Zeit zu verlieren hat: die Ukraine.