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Interview mit Familienministerin Lisa Paus„Kindergeld wird über die bisher 250 Euro pro Monat hinaus weiter anwachsen“

Lesezeit 6 Minuten
Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Familienministerin Lisa Paus spricht über den Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung, die Zusammenarbeit mit Christian Lindner und darüber, wie es mit der Familienpolitik weitergeht.

Frau Paus, die Koalition hat sich auf einen Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung verständigt. Können Sie mal erklären, was das für betroffene Familien bedeutet?

Zuerst einmal ist das eine der umfassendsten Sozialreformen der letzten Jahre und damit nach langer Diskussion der Einstieg in die wirksame Bekämpfung der Kinderarmut. Für Familien und ihre Kinder ist jetzt klar, dass sie künftig mit dem neuen Familienservice einen Ansprechpartner auf staatlicher Seite haben, egal in welcher Lebens- und Einkommenssituation sie sich befinden. Wir führen die Leistungen für Kinder außerdem zu einer zentralen Leistung, der Kindergrundsicherung, zusammen. Das macht das Leben für viele Familien sehr viel leichter.

Sie wissen, dass sich der Familienservice um sie kümmert und zum Beispiel den Kindergrundsicherungscheck macht. Wenn das Einkommen einer Familie unter das Existenzminimum fällt, dann wendet sich die Servicestelle proaktiv an die Familien, um sie unterstützen. Das ist ein echter Systemwechsel. Es gibt auch Leistungsverbesserungen, etwa, indem wir das soziokulturelle Existenzminimum anpassen, oder Erleichterungen für Alleinerziehende und andere Gruppen. Die Zusammenführung der Leistungen aus Kindergeld und Kinderzuschlag ist der Kern der Kindergrundsicherung.

Damit holen wir 1,9 Millionen Kinder aus dem Bürgergeld und in die Mitte der Gesellschaft. Insgesamt werden wir bis zu 5,6 Millionen Kinder mit dem Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung erreichen. Neu und wichtig ist auch, dass das Kindergeld für alle Kinder immer gleich und automatisch entsprechend des Existenzminimumsberichts und somit auch der Preisentwicklung garantiert angehoben wird. Das war vorher so nicht der Fall. Darum heißt das Kindergeld zukünftig auch Kindergarantiebetrag.

Wie hoch werden die Leistungsverbesserungen genau ausfallen?

Es werden pro Monat mindestens 20 Euro, für die Kleinsten sogar 28 Euro mehr werden. Die neuen Regelsätze beim Bürgergeld sind ja gerade erst verkündet worden. Sie steigen mit 12 Prozent für 2024 stärker als erwartet und damit steigen auch die tatsächlichen Zahlen der Kindergrundsicherung für 2025, die dann in Kraft tritt.

Das bedeutet konkret für die Leistungen für armutsbedrohte Kinder im Jahr 2025: Wenn wir davon ausgehen, dass bis 2025 die Regelbedarfe neben den jetzt 12% für kommendes in 2024 nochmals moderat um 3% ansteigen, können sich in der Kindergrundsicherung Leistungen von 530 Euro für die kleinsten bis zu 636 Euro für die ältesten Kinder ergeben. Das ist die Summe aus dem zukünftigen Kindergarantiebetrag und Kinderzusatzbetrag. Ein guter Betrag, um Kindern ein Stück weit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu verschaffen.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) bestreitet, dass es höhere Leistungen geben wird.

Herr Lindner hat bei der Vorstellung der politischen Einigung zur Kindergrundsicherung ebenso wie ich gesagt: Wir verbessern einzelne Leistungen.

Bei der Pressekonferenz am Montag hatten auch sonst viele den Eindruck, Herr Lindner und Sie sprächen von ganz unterschiedlichen Vorhaben.

Der Finanzminister und ich tragen den Kompromiss gemeinsam und haben ihn gemeinsam mit dem Arbeitsminister vorgestellt. Im Übrigen hat auch der Finanzminister ein Interesse daran, dass die Kinderarmut zurückgeht, schließlich ruft Kinderarmut hohe Folgekosten für den Staat hervor. Für mich ist aber wichtiger, dass wir mit der Kindergrundsicherung eine klaffende Gerechtigkeitslücke schließen. Wir investieren in das Beste, was wir haben: unsere Kinder.

Um den Druck zu erhöhen, haben Sie im Kabinett Lindners Wachstumschancengesetz blockiert. Hat sich das wirklich ausgezahlt?

Die Verhandlungen zur Kindergrundsicherung waren sehr intensiv und gingen teilweise ins Grundsätzliche. Jetzt ist endgültig klar: Die Kindergrundsicherung kommt. Das ist entscheidend und macht mich als Bundesfamilienministerin sehr glücklich.

Sie wollen den Streit mit Herrn Lindner nicht fortsetzen?

Diese Bundesregierung will beides, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und des Wirtschaftsstandortes. Dafür ist die Verbesserung der Situation von Familien entscheidend. Diese Überzeugung eint alle in der Koalition.

Hand aufs Herz: Sind Sie mit dem Ergebnis wirklich zufrieden?

Ja, denn entscheidend ist, dass wir den Systemwechsel schaffen. Dazu gehört die Bündelung bisheriger Leistungen und die Rolle des Staates als Dienstleister, indem der Familienservice proaktiv die Eltern informiert. Das wird er tun, wenn Ansprüche auf Unterstützung vorliegen könnten. Außerdem geht es um eine materielle Verbesserung. Auch die wird kommen. Das Kindergeld wird ebenfalls weiter anwachsen, über die bisher 250 Euro pro Monat hinaus.

Wichtig ist, dass die Leistungen bei den Menschen ankommen. Wenn wir unser erklärtes Ziel erreichen, in den kommenden Jahren so viele Familie wie möglich zu erreichen, wird die Kindergrundsicherung 6 Mrd. Euro und mehr kosten. Wenn wir dann noch die weiteren Kosten für die bereits erfolgten Kindergelderhöhungen, den höheren Kinderzuschlag und zukünftige Kindergelderhöhungen dazu nehmen, sind wir schon bei deutlich über 10 Milliarden Euro. Diese Bundesregierung tut viel für Familien mit Kindern. Es geht darum, was bei den Menschen ankommt.

Wann wird die Reform umgesetzt?

Wir setzen die Reform wie geplant 2025 um. Dann ist auch die Familienservicestelle am Start. Im Haushalt 2024 haben wir bereits Mittel dafür vorgesehen, so dass die neue Stelle in der Lage sein wird, die Leistungen pünktlich auszuzahlen.

Wo genau wird sich diese Stelle befinden?

Die bisherigen Familienkassen, die alle Familien schon kennen, werden ausgebaut zu der neuen Familienservicestelle, und zwar überall im Land.

Sie sagen, das Gesetz sei jetzt in der Abstimmung mit den anderen Ministerien. Wann rechnen Sie mit einem Kabinettsbeschluss?

Die Ressortabstimmung läuft. Wir werden sehr zügig die Verbände und die Länder anhören. Ein Kabinettsbeschluss ist dann für Mitte September fest im Blick. Das Gesetz muss neben dem Bundestag auch noch durch den Bundesrat. Deshalb ist es wichtig, dass wir es bald auf den Weg bringen können.

Nach dem Heizungsstreit war das der zweite erbitterte Ampelstreit im letzten halben Jahr, dessen Ergebnis viele nicht überzeugt. Können Sie nachvollziehen, dass sich da immer mehr Bürger Sorgen um die Leistungsfähigkeit des Staates und am Ende um die Demokratie machen?

Das Erscheinungsbild der Bundesregierung könnte sicherlich besser sein. Aber richtig ist auch, dass es um viel und Grundsätzliches geht – nämlich darum, in diesen schwierigen Zeiten gut abzuwägen. Den sozialen Zusammenhalt zu stärken, Armut zu bekämpfen und die Wirtschaft zu fördern, das sind keine einfachen Aufgaben. Aber das macht unser Modell hier in Deutschland aus: Immer wieder die Balance zu suchen zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. In Zeiten knapper werdender Kassen wird das schwieriger.

Da gibt es widerstreitende Interessen, die man vernünftig miteinander abwägen muss. Das Entscheidende ist: Wir bekommen die Kindergrundsicherung und das Wachstumschancengesetz. Auch wenn die Regierung um die besten Lösungen ringt und die Haltungsnoten besser sein könnten: Die Bundesregierung macht eine sehr gute Arbeit in der Sache. Ich glaube nicht, dass es der letzten Bundesregierung so gut gelungen wäre, Deutschland durch multiple Krisen zu führen und gleichzeitig wichtige Zukunftsreformen anzugehen.

Wie geht es mit der Familienpolitik weiter, nachdem die Kindergrundsicherung prinzipiell vereinbart ist und Sie das Elterngeld für Besserverdienende wegen der Etatkürzungen teilweise kappen mussten? War‘s das jetzt erstmal?

Es gibt schon noch ein paar weitere Punkte, die auf meiner Agenda stehen. Dazu gehören die Gleichstellungsthemen, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auch eine nationale Engagement-Strategie, damit wir das Ehrenamt stärker würdigen und aktivieren. Besonders wichtig ist mir auch, dass wir die demokratischen Strukturen in unserem Land weiter stärken und vor allem Dingen weiter die Qualität in den Kitas stärken

Ihre Agenda ist noch nicht abgearbeitet?

(Lacht) Ganz offensichtlich. Ich freue mich, auch weiterhin viel zu tun zu haben.