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Riesiger Gasspeicher fast leerWie Russland die Deutschen austrickst

Lesezeit 5 Minuten
Erdgasspeicher Rehden

Rohrleitungen zu den unterirdischen Speichern in Rehden

Im niedersächsischen Rehden, zwischen Bremen und Osnabrück, gibt es einen in doppelter Hinsicht bemerkenswerten unterirdischen Gasspeicher. Erstens ist Rehden mit seinen knapp vier Milliarden Kubikmetern Fassungsvermögen mit Abstand der größte Gasspeicher nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa. In 2000 Metern Tiefe dehnen sich Hohlräume auf einer Fläche von 910 Fußballfeldern aus. Die hier speicherbare Gasmenge würde den kompletten Jahresbedarf von zwei Millionen Einfamilienhäusern decken. Zweitens ist Rehden der Speicher mit dem geringsten Füllstand. Derzeit werden von den zur Verfügung stehenden 3,9 Milliarden Kubikmetern nur 0,54 Prozent genutzt.

Wie ist dieses kuriose Missverhältnis zu erklären?

Gerade jetzt wäre ein voller Speicher in Rehden den Deutschen nützlich. Er würde viel von dem aktuellen Stress abpuffern, den der russische Staatspräsident Wladimir Putin mit seiner wiederkehrenden Drohung erzeugt, den aus seiner Sicht „unfreundlichen“ Staaten Europas früher oder später den Gashahn zuzudrehen.

Ein strategischer Stockfehler und Verdrängung von Putins imperialen Absichten

Das Problem ist: Deutschland hat an dieser heiklen Stelle seine vertrauensselige Hinwendung an Russland auf die Spitze getrieben. Im Jahr 2015 wurde die Anlage in Rehden, vormals im Besitz von BASF, an die Firma Astora verkauft, eine 100-prozentige Tochter von Gazprom. Die Speicherung von Gas für schlechte Zeiten übertrug Deutschland also demselben russischen Konzern, der auch über die Gaslieferungen als solche gebietet.

Den Gedanken, dass dies ein strategischer Stockfehler sein könnte, schob die damals in Berlin regierende große Koalition beiseite. Der kleine Kreis von Kritikern, teils aus den Reihen der Grünen, teils aus Sicherheitskreisen, wurde höflich überhört. Die Deutschen, seufzte damals wie heute der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, verdrängten leider immer wieder die „imperialen Absichten Wladimir Putins“.

Auch der örtliche Bundestagsabgeordnete Axel Knoerig (CDU) hatte Bedenken. Als ihm im Herbst 2021 der Füllstand bedenklich niedrig vorkam, wandte er sich an das damals noch von Parteifreund Peter Altmaier geführte Bundeswirtschaftsministerium. Zurück kamen, wie er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland berichtete, nur Beschwichtigungen: Der Speicher in Rehden habe nur „eine begrenzte Bedeutung“, die Speicher anderer Konzerne wie Uniper oder RWE seien noch immer gut gefüllt.

Erpressbarkeit: Russland ließ Speicher leerlaufen

Inzwischen steht fest: Russland hat jedenfalls den Speicher in Rehden so gut es ging genutzt, um die Deutschen unter Druck zu setzen. Parallel zu den Kriegsvorbereitungen in der Ukraine ließen die Russen die gigantischen unterirdischen Strukturen leerlaufen, um die Erpressbarkeit der Deutschen zu maximieren. In allen Jahren seit 2015 gab es eine einigermaßen regelmäßige Auf- und Abwärtsbewegung beim Füllstand: Stets wurden die Sommermonate dazu genutzt, den Speicher in Rehden wieder volllaufen zu lassen.

Im Jahr 2021 jedoch verlief die Kurve erstmals völlig anders als sonst: Im Frühjahr, als der erste russische Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine stattfand, fiel der Füllstand in Rehden bereits auf ein tieferes Level denn je. Im Herbst, als der zweite russische Aufmarsch begann, blieb die Kurve in Rehden so flach wie noch nie. Am 1. Oktober 2021 war ein Füllstand von nur 7,9 Prozent erreicht – im Vorjahr waren es zur gleichen Zeit 88,1 Prozent.

Anfang Februar war ein Füllstand von weniger als 5 Prozent erreicht, am 24. Februar begann dann der Angriffskrieg in der Ukraine.

Zufall? „In Rehden hätte man sehr früh sehen können, dass da etwas gegen uns in Deutschland läuft“, sagt der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Man hätte nur eins und eins zusammenzählen müssen.“

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Kruse will jetzt Lehren aus der Leere in Rehden ziehen. Aus seiner Sicht genügt es nicht, wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) der Branche für den nächsten Herbst bestimmte Füllstände vorschreiben will. Kruse wirbt dafür, Gasspeicher als Einrichtungen der kritischen Infrastruktur zu definieren – und die Gazprom-Tochter Astora zum Verkauf zu zwingen.

Auch der CDU-Energiepolitiker Andreas Jung will andere Saiten aufziehen: „Wir erleben einen von Russland begonnenen Angriffskrieg und müssen daraus jetzt die Konsequenzen ziehen.“

Putin will ein nervöses Opfer

Fürchtet die Gazprom-Tochter Astora bereits, dass man ihr den Speicher wieder wegnimmt? Die Pressestelle des Unternehmens flüchtet sich auf Anfrage in orakelhafte Sprüche, die sie ohne namentlichen Absender verschickt: „Astora betreibt ihre Speicher operativ unabhängig von Shareholder-Entscheidungen und leistet einen sicheren Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa.“

Zwar zögerten 2021 wegen eines ganzjährig hohen Preisniveaus alle Versorger zeitweise mit Gaseinspeicherungen. Am Ende aber lieferte die gesamte Branche, auch wenn es schwerfiel, doch wieder die üblichen Kurven ab: Einspeicherung über den Sommer, Entnahme ab Herbst.

Das russische Staatsunternehmen Gazprom indessen ging mit einem Nein zu Einspeicherungen einen anderen Weg, einen, der nicht dem Kunden dienen, sondern die Macht des Verkäufers stärken sollte. Anfangs ging es dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin darum, eine rasche Zertifizierung von Nord Stream 2 durchzusetzen. Später, nachdem dies wegen des schon begonnenen Krieges nicht mehr realisierbar war, kam die Drohung des Kreml hinzu, Russland werde die Gaszufuhr stoppen, wenn nicht wie von Moskau gewünscht in Rubel gezahlt werde. In beiden Fällen gilt: Erpressungsversuche machen das Opfer umso nervöser, je weniger Reserven es hat.

Brüssel will Russland raushalten

Die EU-Kommission legt den 27 Mitgliedsstaaten dringend nahe, russische Firmen generell von einem Eigentumsrecht an Gasspeichern auszuschließen und sich auf den Schutz der kritischen Infrastruktur zu berufen. Kein EU-Staat, heißt es aus Brüssel, solle an solchen Stellen „Drittstaaten“ zum Zuge kommen lassen.

Brüssel drückt dabei in ungewohnter Weise aufs Tempo: Auch wenn in Einzelfällen noch die Rechtsgrundlage fehle, solle man sich beeilen und „so handeln, als seien die Gesetze schon in Kraft“, heißt es in einem Dokument der EU-Kommission vom 8. März. Formulierungen dieser Art kommen nicht oft aus den sonst stets auf Rechtsstaatlichkeit und Korrektheit eingeschworenen Apparaten der EU. Ein Indiz für den Ernst der Lage?

In Brüssel ist die Attacke aus Russland immerhin präzise wahrgenommen worden. In Deutschland dagegen reagieren allzu viele auf Phänomene wie das Rätsel von Rehden noch immer ahnungslos oder bestenfalls mit einem Achselzucken.