Zum dritten Mal in zwei Monaten streikt die Eisenbahnergewerkschaft – dieses Mal sogar für 50 Stunden. Dabei wurde noch gar nicht verhandelt.
50 Stunden ohne FernzügeWer versteht noch diesen Wahnstreik?
Ein Warnstreik von 50 Stunden - das ist mehr als dreist. Das ist ein Wahnstreik. Zwei volle Arbeitstage in einer faktischen Drei-Tage-Woche legt die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bundesweit die Arbeit nieder. Von Sonntagabend bis Dienstagnacht werden im ganzen Land wieder kaum Züge fahren. Zum dritten Mal jetzt schon binnen zwei Monaten.
Zum dritten Mal in Folge kein Streikgeld
Die EVG verspielt damit rapide ihr wertvollstes Kapital: die Solidarität der Bevölkerung und perspektivisch auch die Streikbereitschaft ihrer Mitglieder. Die bekommen nun schon zum dritten Mal kein Streikgeld. Das gibt es erst nach einer Urabstimmung. Beim ersten großen Warnstreik zusammen mit Verdi am 27. März waren die Sympathien noch klar verteilt.
Niemand bestreitet, um Gewerkschaftsrhetorik der alten Zeiten zu bemühen, dass die Beschäftigten einen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle verdient haben. Zumal die EVG unter dem Eindruck der Corona-Krise 2021 Verzicht geübt und sich mit einem mickrigen Plus von 1,5 Prozent gegen Beschäftigungsgarantien zufrieden gegeben hat.
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Ein Spielt mit der Eskalation
Schon beim zweiten Warnstreik - einen Tag vor dem Verdi-Abschluss im Öffentlichen Dienst - begannen die Sympathien zu bröckeln. Die anschließenden Verhandlungen der EVG mit der Bahn wurden abgebrochen, bevor sie richtig begonnen hatten. Spätestens nach dieser Farce sind auch zuvor wohlwollenden Bahn-Nutzer nur noch genervt. Und das zu Recht.
Tarifverhandlungen sind immer auch ein Psychokrieg und ein Spiel mit der Eskalation, und durch die frühzeitigen großen Streiks hat die EVG jetzt nur noch ein Mittel: weiter zu eskalieren. Immer neue, immer größere Streiks. Daher jetzt die 50 Stunden. Zwei Warnstreiks habe die Bahn einberechnet, quasi als Folklore, sagt EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch. Jetzt beginnt es, weh zu tun. Dem Staatskonzern - aber eben auch den Pendlerinnen und Pendlern.
Die EVG ist in eine Falle getappt, die ihr die Verhandlungsführer der Bahn gestellt haben. Durch eine Mischung aus Salamitaktik (verbessertes Angebot) und Krawallrhetorik („irrsinniger Streik“) lenkt der Staatskonzern den Unmut der Bahnkunden auf die Streikenden. Das ist eine Taktik wie aus dem Lehrbuch. Im Wortsinne. Das Lehrbuch, um das es hier geht, heißt „Verhandlungsflow. Wie Sie anspruchsvolle Verhandlungen mit Leichtigkeit zum Ziel führen“ und verspricht das „richtige Maß aus Konfrontation, Kooperation und Kreativität“.
Claus Weselsky verhandelt mit GDL
Autor ist Florian Weh, einst Chefverhandler bei der Lufthansa und jetzt der Mann im Hintergrund bei diesen Tarifverhandlungen. Er ist Hauptgeschäftsführer des Eisenbahner-Arbeitgeberverbands „AGV Move“ und verantwortet neben Bahn-Personalvorstand Martin Seiler die Angebote an die EVG. Zurzeit gibt es kein „richtiges Maß“, sondern vor allem Konfrontation.
Das liegt auch an einem dritten Mitspieler, der noch auf seinen Einsatz wartet: Bald verhandelt Claus Weselsky mit seiner Lokführergewerkschaft GDL um einen neuen Tarifvertrag. Gibt die Bahn bei der EVG nach, fordert das die GDL heraus, noch weit höhere Forderungen aufzustellen - Anfang Juni ist es so weit. Verkauft sich die EVG erneut unter Wert, spielt sie ebenfalls Weselsky in die Karten.
In Florian Wehs Lehrbuch geht es auch um den Umgang mit Sackgassen bei Verhandlungen. „Zunächst: keine Panik“, steht da. Noch bis Freitagabend hat die EVG der Bahn Zeit gegeben, ihr Angebot zu erläutern. Jetzt muss etwas Kreativität in die Konfrontation gemischt werden. Die Bahn muss ernsthaft antworten, der Streik abgesagt werden - und beide Seiten müssen ernsthaft verhandeln. Alles andere versteht niemand mehr.