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KommentarWo ist eigentlich das 100-Milliarden-Sondervermögen fürs Soziale?

Lesezeit 3 Minuten
Bundeswehr 300522

Soldaten der Bundeswehr in Munster

Historisch ist ein großes Wort. Für das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro ist es etwas zu groß. Denn historisch ist allein der Kontext, indem die Entscheidung fällt: der russische Angriff auf die Ukraine und die unabsehbaren Konsequenzen für unsere Sicherheit. Außergewöhnlich ist das Votum des Bundestages allerdings allemal – und ja, auch kritikwürdig.

Nein, dass die Streitkräfte eine so große Summe bekommen, ist nicht kritikwürdig. Sie wurden spätestens seit der Amtszeit des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg derart auf Verschleiß gefahren, dass die Etatzuwächse der Vorjahre die Lücke nicht schließen konnten. Dass das Verteidigungsministerium Mühe hat, international einsatzfähige Verbände zusammen zu stellen und Waffen an die Ukraine sowie osteuropäische Partner zu liefern, ist längst offensichtlich und hat eben nicht zuletzt mit einem Mangel an Geld zu tun.

Dieser Mangel muss behoben werden.

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Bundeswehr kauft neuerdings von der Stange

Zugleich ist das Ministerium dabei, einen weiteren Mangel zu beheben. Die Bundeswehr setzt bei Rüstungsvorhaben neuerdings nicht mehr auf Maßanfertigungen, deren Lieferung Jahre dauert und kostspielig ist. Sie kauft von der Stange. Das gilt für den Tarnkappenbomber F-35 ebenso wie für den Transporthubschrauber CH-47F. Beide Anschaffungen liegen umso näher, als viele Partner dieselben Maschinen nutzen. Warum also nicht gleich so?

Dennoch nährt die Entscheidung des Parlaments für eine Änderung des Grundgesetzes Zweifel. Da sind zunächst verfassungssystematische, man könnte auch sagen verfassungsästhetische. Schließlich besteht das Grundgesetz eigentlich aus Normen und Regeln für das grundsätzliche Funktionieren dieses Staates. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hat indes bereits 2010 darauf hingewiesen, dass der Text der Verfassung nahezu doppelt so umfangreich sei wie 1949, als er entstand.

Künftige Spielräume eingeschränkt

Und er warf die Frage auf, „welche Folgen es eigentlich hat, wenn immer häufiger neben Grundsätzen und Grundregeln politische Gestaltungsabsichten mit Verfassungsrang ausgestattet werden“. Eine Folge benannte Lammert selbst: Es würden Spielräume künftiger Gesetzgeber eingeschränkt. Eine zweite Folge ist nicht minder augenscheinlich: Die Verfassung wird verwässert und damit entwertet.

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Nebenbei bemerkt bleibt die Festlegung von Ampelkoalition und Union, die Verteidigungsausgaben über das Sondervermögen hinaus dauerhaft im Durchschnitt bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu fixieren, folgenlos. Es würde nämlich bedeuten, dass dem nächsten frei gewählten Parlament dessen Königsrecht genommen würde: das Budgetrecht.

Wo ist eigentlich das Sondervermögen fürs Soziale?

Im Übrigen sind die Einwürfe jener Kritiker nicht von der Hand zu weisen, die wissen wollen: Wo ist eigentlich das 100-Milliarden-Sondervermögen fürs Soziale? Zwar hat das Parlament am Freitag auch die Anhebung des Mindestlohnes auf zwölf Euro beschlossen. Freilich wird der Bedarf für sozialen Ausgleich in Zeiten galoppierender Inflation nicht kleiner, sondern deutlich größer.

Und wenn der Bundesfinanzminister sagt, im nächsten Jahr müsse aber die Schuldenbremse des Grundgesetzes wieder gelten, dann könnten diese Kritiker versucht sein einzuwenden, ob es nicht dasselbe Grundgesetz sei, in dem auch das Sondervermögen für die Bundeswehr stehe.

Abgesehen davon, dass das Wort Sondervermögen ohnehin in die Irre führt, weil es in Wahrheit ein rückzahlbarer Sonderkredit ist: Es gibt viele Gründe, warum es im Grundgesetz streng genommen nichts zu suchen hat. Bundestag und Bundesrat sollten diese Gründe vor der womöglich nächsten Verfassungsänderung beherzigen und – wenn möglich – nach anderen Wegen suchen.