Furios sind die Grünen ins Wahljahr gestartet. Aufbruch, Veränderung, neue Ära – lauter Ausrufezeichen haben sie gesetzt, die jüngste Kanzlerkandidatin der Geschichte ins Rennen geschickt, erstmals überhaupt angesetzt, das Kanzleramt zu erobern. Sie wirkten fokussiert, organisiert, diszipliniert und zerlegten sich nicht in internen Debatten. Annalena Baerbock strahlte, in Umfragen schob sich die Partei schon mal auf Platz 1 vor die Unionsparteien.
Wenn bei einer Wahl kein Amtsinhaber antritt und also alle Parteien von derselben Stelle loslaufen, kann der Trend der entscheidende Vorteil sein. Und dann kommt das Kleingedruckte dazwischen, im wahrsten Sinne: Wiederholte Ergänzungen im Lebenslauf hier, eine verspätete Veröffentlichung von Parteizahlungen da. Alles für sich genommen kein Riesendrama: Zahlungen wurden versteuert und kamen aus der Partei, nicht aus Unternehmen. Auch in Lebensläufen anderer Kandidaten mangelt es an letzter Präzision und es entscheidet nun wirklich nicht über die Kanzlerfähigkeit, wenn gar nicht mögliche Mitgliedschaft im UNHCR sich als regelmäßige Spende entpuppt.
Grüne haben neuen Regierungsstil versprochen
Aber die Professionalität und Strukturiertheit, die Baerbock und die Grünen ausstrahlten, hat Kratzer bekommen.
Auch an anderer Stelle hapert es: Einen neuen Regierungsstil haben die Grünen versprochen, kooperativ, mit Teamarbeit an oberster Stelle. Und Co-Parteichef Robert Habeck reist in die Ukraine und spricht über Waffenlieferungen – ohne sich abgesprochen zu haben. Wer die Stilfrage zum Schwerpunkt macht, kann sich hinter außenpolitischen Notwendigkeiten nicht verstecken.
Die Grünen haben sich also selbst ausgebremst. Dass sie bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben sind, zeigt: Autosuggestion ist ein wichtiger Motivationsfaktor. Aber sie kann auch den Blick verstellen.
Grüne setzen auf Veränderungsbereitschaft und Wechselstimmung
Die Grünen setzen auf Veränderungsbereitschaft und Wechselstimmung. Die mag es geben. Aber gerade nach einem Pandemiejahr dürfte die Sehnsucht nach Normalität bei vielen mindestens genau so groß sein. Da wird es nicht reichen, darauf hinzuweisen, dass die Veränderung ohnehin bevorsteht. Wenn die Grünen Erfolg haben wollen, müssen sie das berücksichtigen.
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Es spricht einiges dafür, dass das auf dem Parteitag am Wochenende gelingt. Die Möglichkeit, zur bestimmenden Kraft werden zu können, scheint zu disziplinieren. Strategisch ist das sinnvoll: Jede Abstimmung, bei der sich die Delegierten gegen ihre Kanzlerkandidatin stellen, dürfte bei Baerbocks Konkurrenten Armin Laschet und Olaf Scholz einzahlen. „Alles ist drin“, verkündet die Grünen-Spitze. Aber alles kann bei einer Wahl auch nichts bedeuten. Auch das wäre furios, nur dann eben ein furioses Scheitern.