Kommentar zur Corona-PolitikDen Menschen fehlt zum Ruck die Kraft
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Man kann nicht behaupten, die Bundeskanzlerin hätte nicht davor gewarnt. Schon am 5. Januar nannte sie die Eindämmung der Mutation des Virus einen Wettlauf gegen die Zeit. Nun kommt ihr die Möglichkeit einer dritten Corona-Welle über die Lippen. Aber es wird kein Ruck durchs Land gehen.
Das war nach Merkels TV-Ansprache im vorigen März anders. Damals hatte sie gesagt: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.” Und die meisten Menschen haben es getan. Nach elf Monaten der Pandemie schwindet bei vielen Menschen aber die Kraft für die nationale Anstrengung.
Zu den Eigenschaften Angela Merkels gehört es nicht, über Dramatisches mit geballter Faust und verschärfter Tonlage so zu sprechen, dass die Gefahr im Verzuge für alle unüberhörbar ist. Sie bleibt in der Regel im naturwissenschaftlich-nüchternen Modus.
Die „extrem harte Probe”, „die Zumutung”, von der sie für die Bürgerinnen und Bürger spricht, klingt da ganz ähnlich wie ihr Ja zum Datenschutz bei der Corona-Warn-App.
Merkel: Diese Pandemie ist eine Jahrhundertkatastrophe
Das Vertrauen in die Spitzenpolitiker sinkt, wenn nach jeder Ministerpräsidentenkonferenz die dort mühselig ausgehandelten Kompromisse am Tag danach in Sonderwegen von Stuttgart bis Kiel münden. Es braucht jetzt Vorbilder, es braucht Warmherzigkeit, es braucht Einfühlungsvermögen für all jene, die am meisten unter dieser Krise leiden.
Das blitzt bei Politikern zwischendurch immer wieder auf – wie Merkels Äußerung, es breche ihr das Herz, dass viele Menschen in Einsamkeit gestorben sind. Aber die Sehnsucht vieler Bürger bleibt unerfüllt, dass sie sich mit ihren Sorgen verstanden fühlen.
Das Wichtigste in einer solch kritischen Phase ist Verlässlichkeit. Den 21. September hat Merkel als Datum dafür genannt, dass die gesamte Bevölkerung bis dahin ein Impfangebot hat. Das Versprechen einer Naturwissenschaftlerin. Das werden sich die Menschen merken.