Zwei Kommunikationswissenschaftler erklären, was das Ziel der Kommunikation des Kanzlers sein könnte – und wo ihm seine Strategie auf die Füße fällt.
KommunikationsforscherExperten über die Kommunikationsstrategie von Olaf Scholz – und ihre Grenzen
Noch rätselte alle Welt, wer auf die zurückgetretene Christine Lambrecht (SPD) im Amt der Verteidigungsministerin folgen würde, da verkündete am Montag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehen soll.“ Man werde das dann auch „rechtzeitig bekannt geben“. Erst einen Tag später folgte die Benennung von Boris Pistorius (SPD) als Lambrechts Nachfolger.
Was viele hörten: Der Kanzler entscheidet nach eigenem Gutdünken, wann die Bevölkerung an wichtigen Informationen teilhaben darf. Die Bemerkung erinnert an Scholz’ Abschlusspressekonferenz beim G7-Gipfel. Damals fragte eine Journalistin, ob er die Sicherheitsgarantien, die man der Ukraine versprochen habe, konkretisieren könne. „Könnte ich“, antwortete Scholz grinsend. Pause. „Das war’s.“
Scholz nutzt Kanäle der modernen Medien wenig
Die Botschaft „Ich weiß es schon, ich sag’s nur nicht“ scheint ein Markenzeichen des 64-Jährigen zu sein. „Scholz nutzt die Kanäle, die ihm im modernen Mediensystem zur Verfügung stehen, sehr wenig“, sagt Jörg Haßler, Kommunikationswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Man hat den Eindruck, dass er versucht, eher durch seine politischen Taten zu kommunizieren.
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Das kann eine gewinnende Strategie sein, wenn die Leute nach vier Jahren seiner Amtszeit das Bild gewonnen haben: ‚Der redet nicht viel, er ist eben ein stiller Hamburger, aber mit der Politik sind wir zufrieden.‘“, so Haßler. „Wenn sich Pistorius als der perfekte Verteidigungsminister herausstellt, wird am Ende niemand mehr fragen, ob es einen Tag oder drei Tage gedauert hat, bis er auf Christine Lambrecht gefolgt ist.“ Ob das allerdings aufgehe, entscheide sich erst am Wahlsonntag.
Kommunikationswissenschaftler: „PR-Strategen stellen sich das anders vor"
Es gab schon viele Momente, in denen die Öffentlichkeit dem Kanzler sein Schweigen übel nahm. Da war sein Besuch in Washington kurz vor Kriegsbeginn, bei dem Scholz im Gegensatz zu Biden das Wort „Nord Stream“ nicht in den Mund nahm. Nach Wolodymyr Selenskyjs Rede im Bundestag gab es vom Kanzler keinen Kommentar.
Und seine fehlende Reaktion, als Palästinenserpräsident Mahmud Abbas direkt neben ihm den Holocaust relativierte, bereute Scholz selbst schnell. „Bei seinen öffentlichen Auftritten wird Scholz nicht nur mit Lob überhäuft“, sagt Haßler. „Vielleicht ist es seine Strategie, sich rar zu machen und die inhaltliche Kritik so zu minimieren. PR-Strategen stellen sich eine moderne, auf Social Media abzielende Strategie natürlich ganz anders vor.“
Jurist, kühler Norddeutscher oder Helmut-Schmidt-Imitat
Scholz’ Einstellung könne auch mit seinem beruflichen Hintergrund zusammenhängen, mutmaßt Haßler. Der Kanzler ist studierter Jurist. Es sei die Strategie eines Rechtsanwaltes, im Vagen zu bleiben und sich dadurch nicht angreifbar zu machen. „Vielleicht denkt er sich als Jurist auch: ‚In keinem Bundesgesetz steht geschrieben, wann und wie ich die Presse informieren muss, und deshalb mache ich das, wie mir es passt.‘“ „Grundsätzlich gehört es zur Macht, sich gewisse Entscheidungen offenzuhalten“, gibt auch Rudolf Stöber, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaften an der Universität Bamberg, zu bedenken: ein Privileg, das Scholz sehr bewusst zu nutzen scheint.
Das schade seinem Ansehen bei manchen Menschen – aber nicht bei allen. Das Schweigen des Kanzlers deuten viele als arrogant. Was wohl auch an seinem „schlumpfigen Grinsen“ liegt, wie Markus Söder Scholz’ Mimik nach einem Disput bei einer Bund-Länder-Runde betitelte. Aber gibt es keine seriösere Art, Informationen zurückzuhalten? Hindert das viel zitierte Ego des Kanzlers ihn daran, sich auf ein einfaches „Kein Kommentar“ zu beschränken? „Das Ganze ergibt dann Sinn und ein konsistentes Bild, wenn er versucht, diese kühle hanseatische Art darzustellen“, sagt Kommunikationsexperte Haßler dazu. „Auch Helmut Schmidt wurde zu seiner Zeit als Kanzler Arroganz vorgeworfen. Ich glaube, in dieser Traditionslinie würde sich Scholz schon gefallen.“
Tatsächlich schreibt Olaf Scholz auf seiner Website über sich selbst: „Helmut Schmidt war auch für mich eine prägende politische Persönlichkeit, die mich mit 17 Jahren in die SPD geführt hat.“ Vielleicht vertrug sich das Verhalten Schmidts einfach besser mit dessen Physiognomie? Das verschmitzte Abwiegeln sei jedenfalls laut Haßler durchaus kritikwürdig: „Zumindest kurzfristig kommt er damit nicht gut weg.“
Allerdings müsse man die Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit von der des Social-Media-Publikums unterscheiden: Ein Großteil der Kritik spiele sich auf dem schnelllebigen Twitter ab. Es sei empirisch schwer einzuschätzen, wie viel davon bei Menschen ankomme, die die sozialen Netzwerke nicht den ganzen Tag beobachteten. Die morgens Zeitung lesen und abends die „Tagesschau“ sehen. „Scholz versucht, die Social-Media-Kritik an sich abperlen zu lassen und zielt auf klassische Medien ab. Vielleicht genügt das seinem PR-Team. Aber es ist auf jeden Fall riskant.“
Scholz anderer Medientyp als Habeck
Ein Gemeinplatz unter PR-Beratern lautet: Authentizität ist das Wichtigste. „Es ist in einem gewissen Sinne für Politiker zuträglich, eine gewisse eigene Duftnote zu setzen. Politiker müssen ununterscheidbar sein“, so Stöber. „Womöglich ist das ein durchaus bewusst gepflegter Stil vom Bundeskanzler.“ Auch Haßler meint: „Ich glaube, Scholz wäre nicht die richtige Person dafür, eine offene, erklärende Kommunikationsstrategie zu fahren wie etwa Robert Habeck, der dafür ja immer als Musterbeispiel angeführt wird.“
Trotzdem könne man mit mit einer zeitgemäßeren Kommunikation heutzutage große Erfolge erzielen. Robert Habeck selbst etwa hat 2019 seinen persönlichen Twitter-Account gelöscht – und ist in den sozialen Netzwerken trotz offensichtlich fehlender Affinität durchaus präsent. Laut Haßler eine vertane Chance für Scholz: „Dass nicht stärker versucht wird, diese Punkte, die man in der Kommunikation machen kann, mitzunehmen, finde ich erstaunlich.“
Seine höchst eigene Kommunikationsstrategie fährt der Kanzler nicht schon seit Beginn seiner politischen Karriere. „Scholz galt in seiner Zeit als Generalsekretär geradezu als Phrasenmaschine, hölzern, das Stichwort lautet ‚Scholzomat‘. Verglichen zu damals hat er sich unglaublich weiterentwickelt. Er hat als Finanzminister und jetzt als Kanzler gezeigt, dass er sehr präzise Ansagen machen kann: Wumms, Doppelwumms, Bazooka, Zeitenwende.“ Diese Kehrtwende lässt vermuten, dass Scholz sich durchaus bewusst mit seiner Art zu kommunizieren auseinandergesetzt hat. Nun müsse er sich an seinen eindeutigen Äußerungen auch messen lassen – Stöber zufolge das größere Problem des Kanzlers. (rnd)