Merz im Interview„In der Regierung wird wolkig geredet und immer wieder verzögert“
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Der CDU-Chef Friedrich Merz spricht im Interview über seine Pläne für die Christdemokraten, Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg und Olaf Scholz.
Herr Merz, Sie werfen dem Bundeskanzler Zaudern und Zögern in der Ukraine-Politik vor. Was würden Sie anders machen?Merz: Die deutsche Bundesregierung muss zu der Vereinbarung stehen, die wir im Bundestag vor über fünf Wochen getroffen haben und die zugesagten schweren Waffen an die Ukraine auch wirklich liefern. In der Regierung wird wolkig geredet und immer wieder verzögert. Der Bundeskanzler hat in dieser Woche Waffenlieferungen auch wieder nur für die Zukunft versprochen. Aber die Ukraine braucht jetzt unsere Hilfe, nicht erst in einigen Monaten.
Braucht es nicht manchmal einen Organisationsvorlauf?
Der Krieg ist jetzt 100 Tage alt – und jetzt erst soll der Ringtausch von schwerem Gerät mit Tschechien und mit Griechenland beginnen. Diese Verzögerungen sind eine politisch gewollte Entscheidung. Wenn in der SPD immer noch große Vorbehalte gegen Waffenlieferungen bestehen, dann soll sie es doch einfach offen sagen.
Welche schweren Waffen wären denn lieferbar und woher kämen die?
Marder-Schützenpanzer könnten zum Beispiel schon längst geliefert werden, bis zu 30 Stück pro Woche.
Andere Staaten liefern ebenfalls keine Kampfpanzer westlicher Produktion. Ist die Lieferung bestimmter Waffengattungen ein Zeichen für einen Kriegseintritt?
Nein, das sehe ich nicht so. Wenn die Bundesregierung das so sieht, sollte sie es sagen.
Wo ist für Sie die Grenze zum Kriegseintritt?
Völkerrechtlich ist von einem Kriegseintritt bei einer unmittelbaren Beteiligung an Kampfhandlungen zu sprechen. Das wäre beispielsweise bei der Durchsetzung einer Flugverbotszone der Fall. Deshalb kommt ja auch der Einsatz von Soldaten der NATO in der Ukraine nicht in Frage.
CSU-Chef Markus Söder warnt davor, sich in Deutschland in eine kriegerische Eskalation hineinzureden. Ähnlich äußert sich der CDU-nahe Wirtschaftsrat.
Wir befinden uns in Deutschland nicht in einer Eskalationsspirale. Die Eskalation geht ausschließlich von der russischen Armee aus, und zwar so massiv, dass zu befürchten ist, dass die ukrainischen Truppen dem Druck nicht standhalten können, wenn nicht bald mehr Unterstützung kommt.
Welche Idee haben Sie, um Russlands Präsident Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu bringen?
Es gibt im Augenblick dazu wahrscheinlich keine Möglichkeit. Dieser Krieg muss so lange weitergeführt werden, bis Putin einsieht, dass er ihn nicht gewinnen kann. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen. Anders wird Putin nicht zur Vernunft zu bringen sein.
Soll Putin nicht gewinnen oder muss er verlieren?
Er muss den Krieg in dem Sinn verlieren, dass die russische Armee zumindest hinter die Kontaktlinie vom 24. Februar, dem Tag des Kriegsbeginns, zurückgedrängt wird. Das Ziel ist die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine. Das geht im Augenblick nur militärisch, er wird es nicht freiwillig tun.
Der Krieg verschärft die Nahrungsmittelkrise weltweit, weil Exporte aus der Ukraine nicht stattfinden können. Das kann neue Fluchtbewegungen auslösen. Wie lässt sich erreichen, dass Europa zusammenbleibt, wenn wieder mehr Flüchtlinge kommen?
Ich sehe nicht, dass Europa oder Deutschland auf eine neue Flüchtlingswelle vorbereitet sind. Im Jahr 2015 hatte die Flüchtlingskrise hierzulande auch deshalb eine so eruptive Wirkung, weil wir die Aufnahme administrativ nicht in den Griff bekommen haben. Es muss also endlich die Registrierung organisiert werden, die Bundesregierung sollte sich dafür an Polen ein Beispiel nehmen Es muss geklärt werden, ob Flüchtlinge eine eigenständige Identifikationskarte bekommen. Auch die letzte Flüchtlingswelle aus der Ukraine hat die Bundesregierung auf dem falschen Fuß erwischt. Ich kann der Regierung nur raten, sich zu dieses Mal besser vorzubereiten.
Was halten Sie von einem EU-Beitritt der Ukraine – sollte es dafür ein Schnellverfahren geben?
Wir werden einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, der die Bundesregierung dazu auffordert, beim Europäischen Rat im Juni für den Kandidatenstatus der Ukraine zu stimmen. Der Kandidatenstatus ist noch kein Beitritt, sondern der Beginn eines langen Prozesses. Wenn wir der Ukraine den Kandidatenstatus verweigern, wird sie sich enttäuscht von Europa abwenden. Bisher weigert sich der Bundeskanzler, hierzu eine Aussage zu treffen. Wir sollten auch Moldau und Georgien den EU-Kandidatenstatus geben, dieser Status bindet diese Länder an die EU und verhindert zugleich ihre weitere Destabilisierung durch Russland.
Wie stellen Sie sich künftig die deutsch-russischen oder europäisch-russischen Beziehungen vor?
Auf lange Sicht würde ich mir ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und Russland natürlich wünschen. Aber auf absehbare Zeit sehe ich da kaum Möglichkeiten. Russland ist durch seinen Angriff ein Paria-Staat geworden. Es wird sehr lange dauern, bis Russland wieder als normaler Partner an einen Tisch zurückkehrt.Der Bundestag hat diese Woche das Bundeswehr-Sondervermögen beschlossen. Die Union hat zugestimmt.
Aber sie haben eingeworfen, dass die Finanzierung auch über einen Bundeswehr-Soli hätte laufen können. Glauben Sie, in Zeiten der Preissteigerungen wäre das gut angekommen?
Das war die Beschreibung eines Ist-Zustandes und kein Vorschlag für die Einführung eines neuen Solidaritätszuschlages. Die Bundesregierung muss in Zukunft Wege finden, ihre Vorhaben generationengerecht zu finanzieren. Jetzt belasten wir über höhere Schulden die künftigen Generationen, und die Lasten zur Finanzierung einer Kernaufgabe des Staates, nämlich die Sicherheit, werden in die weite Zukunft verschoben. Das hätte man auch anders machen können, wenn Scholz als früherer Finanzminister den alten, immer noch bestehenden Soli ganz abgeschafft hätte, so, wie wir das seinerzeit wollten.
Die Union besteht auf die schnelle Wiedereinführung der Schuldenbremse. Wo soll gekürzt werden, um das zu schaffen?
Das Grundgesetz schreibt die Einhaltung der Schuldenbremse vor. Die Regierung gibt das Geld mit vollen Händen aus. Sie muss auch sagen, wo es herkommen soll und welche Prioritäten sie im Haushalt setzen möchte. Wir haben vorgeschlagen, den aus unserer Sicht verfassungswidrigen Nachtragshaushalt 2021 in Höhe von 60 Milliarden Euro zur Reduzierung der Neuverschuldung zu verwenden.
Wie kann man dafür sorgen, dass die Bürger von der Inflation nicht zu sehr belastet werden?
Nicht jede Kostenentwicklung kann durch die öffentlichen Kassen ausgeglichen werden. Wenn einkommensschwache Haushalte bestimmte Lasten nicht mehr tragen können, lässt sich das über direkte staatliche Hilfen abfedern.
Eine Folge der Inflation sind steigende Mieten. Gerade hat das sehr solvente Wohnungsbauunternehmen Vonovia eine Anhebung angekündigt. Wäre eine Mietpreisbremse doch eine gute Idee? Schließlich steigen die Löhne nicht gleichzeitig.
Die Mietgesetzgebung in Deutschland ist so mieterfreundlich wie in kaum einem anderen Land der Welt. Die schützt nicht immer vor Mieterhöhungen, wenn sie denn begründet sind und bestimmte Fristen eingehalten werden. Und auch für Vermieter steigen derzeit die Kosten.
Sie sind fast ein halbes Jahr CDU-Chef. An welchem Punkt der Strecke sind Sie angelangt?
Ich würde sagen, im „eingeschwungenen Zustand“. Wir haben gezeigt, dass wir Wahlen gewinnen können und liegen bundesweit in den Umfragen stabil auf Platz eins. Das ist aber nicht nur die eigene Stärke, sondern auch die Schwäche der SPD. Wir müssen insgesamt wieder stabil über 30 Prozent kommen. Dafür werden wir weiter hart arbeiten.
Im Herbst wählt Niedersachsen. Wie will die CDU gegen Amtsinhaber Stephan Weil von der SPD punkten?
Gegen einen Amtsinhaber zu gewinnen, ist nicht leicht. Aber Herr Weil steht nun schon vor seiner dritten Wahl. Aktuell liegen wir in den Umfragen vor der SPD – wenn wir bis Oktober so weitermachen, können wir die Regierung bilden. Wir werden Bernd Althusmann aus Berlin unterstützen, indem wir die Stimmung für die CDU in Deutschland weiter verbessern.
Die CDU will junger, weiblicher und bunter werden. Wird als erstes die Frauenquote für Ihre Parteigremien verschärft?
Darüber sprechen wir in 14 Tagen im Bundesvorstand.Man könnte fast sagen, Sie zögern und zaudern sich zu positionieren. Solche wichtigen Beschlüsse lassen sich nicht von oben durch den Parteivorsitzenden anordnen. Das entscheide ich nicht allein. Es gibt viele Pro- und Contra-Aspekte, die in der Partei abgewogen werden müssen.
Wird der Parteivorstand zur Frauenquote einen Beschluss vorschlagen – oder überlassen Sie die Wegfindung dem Parteitag?
Die Delegierten werden sich nicht allein davon beeindrucken lassen, wie der Parteivorstand zur Frauenquote steht. Sie werden ihre Entscheidung selber treffen.
Was halten Sie von einer Mitgliederbefragung zur Frauenquote?
Die Mitglieder wollen wir über verschiedene Formate an unserer politischen Willensbildung weiter beteiligen. Neben einer Mitgliederentscheidung gibt es Formate, die wir bereits erproben.
Wie wollen Sie Menschen mit Migrationshintergrund gewinnen?
Ich habe im Landtagswahlkampf in Wuppertal eine sehr interessante Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund geführt. Solche Veranstaltungen muss es in ganz Deutschland geben, wir wollen auch und gerade Menschen mit Migrationshintergrund stärker zur Mitarbeit in der Partei einzuladen.
Warum hat die CDU diese Gruppe bisher nicht angesprochen?
Das haben wir getan, aber beim Thema Diversität gibt es noch viel zu tun. Wir müssen stärker als bisher neue Wählerpotenziale erschließen, ohne die wir aufgrund der Veränderungen der Gesellschaftsstruktur keine Wahlen mehr gewinnen. Dafür werden wir uns auch bei entsprechenden Themen neu aufstellen
Braucht es auch bunteres Personal?
Das sehe ich erst im zweiten Schritt. Zunächst benötigen wir ein Konzept, das Migranten noch stärker anspricht. Der Rest folgt dann fast von alleine.
Ihre eifrigsten Unterstützer haben Sie als Garanten für eine konservative, wirtschaftlich orientierte CDU gesehen. Jetzt müssen Sie Kompromisse machen. Wie verhindern Sie Frust der Merz-Ultras?
Alle haben im Vorhinein gewusst, dass ich nicht der Parteivorsitzende eines Flügels bin. Ich bin der Vorsitzende der ganzen Partei.