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Kommentar

„Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich“
Einseitige Debatte über Corona und Klimaschutz

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Lesezeit 3 Minuten
Michael Kretschmer spricht auf dem Ostdeutschen Energieforum.

Michael Kretschmer spricht auf dem Ostdeutschen Energieforum.

In der sächsischen Landesvertretung lässt die konservative Denkfabrik R 21 über Parallelen zwischen Pandemie- und Klimaschutzpolitik diskutieren. Die Veranstaltung der früheren Familienministerin Kristina Schröder leidet an Schlagseite und Unterkomplexität. Hausherr Michael Kretschmer lässt immerhin tief in seine Gefühlswelt blicken. Und Boris Palmer hat ein interessantes Lunch-Date.

Der Freistaat Sachsen unterhält für seine Vertretung in Berlin ein repräsentatives Stadtpalais direkt hinter dem früheren DDR-Staatsratsgebäude mit Gästezimmern, Büros und Platz für Veranstaltungen. Dort ließ am Montag die konservative „Denkfabrik R21“ rund 20 Podiumsteilnehmer über „Deutschland zwischen Covid und Klima - Grundrechte unter Vorbehalt?“ debattieren.

Die Fragestellung zielt natürlich in eine bestimmte Richtung: Feindbild der „Denkfabrik“, die von dem Historiker Andreas Rödder, Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, und der früheren CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder geleitet wurde, ist als übergriffig empfundenes Regierungshandeln aus „moralischer Überhöhung“. Diesen „Fürsorgestaat“ oder „Oberlehrerstaat“ malen die Diskutanten eher grün, wenn auch die Handelnden in der Corona-Krise in ihrer Mehrzahl Union und SPD angehörten.

Kritiker der Maßnahmen, keine „Querdenker“

Eingeladen sind vor allem diejenigen, die sich in der Corona-Krise kritisch gegenüber der Maßnahmenpolitik hervorgetan hatten, ohne ins Lager der „Querdenker“ abzudriften. Der Virologe Klaus Stöhr etwa, der Jurist und Journalist Heribert Prantl, der Philosoph Julian Nida-Rümelin und die Schriftstellerin Juli Zeh.

Auch der Hausherr und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diskutierte mit. Zu Hause in Sachsen warf ihm Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt vor, durch einige der Gäste werde die Tagung in der sächsischen Landesvertretung zu einer „politischen Außenstelle für Kreuz- und Querdenker“. Er habe eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, in der er wissen will, wie die Entscheidung für diese Veranstaltung gefallen sei. Kretschmer versichert den „R 21“-Zuhörerinnen und Zuhörern, sie seien „hier herzlich willkommen, auch für kommende Veranstaltungen“.

Kretschmer und Palmer unter den geladenen Politikern

Kretschmer war der einzige geladene Politiker, der in den Corona-Jahren Verantwortung trug, abgesehen von dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Palmer traf sich, dies nur am Rande, in der Mittagspause quasi-öffentlich im Café „Einstein“ mit Sahra Wagenknecht. Auf Fragen, ob er nach seinem Austritt bei den Grünen nun eine neue politische Heimat suche, lächelte er nur fein.

In Kretschmers Sachsen waren sowohl die Inzidenzen und Todesfälle als auch die Corona-Maßnahmenproteste am extremsten. „Die Politik hat Verantwortung übernommen, aber auch Fehler gemacht“, sagte er als Bilanz. „Die Bundesnotbremse war garantiert ein Fehler.“ Die bundeseinheitlichen Einschränkungen ab Ostern 2021 trafen besonders in Sachsen mit anschwellenden Protesten zusammen. Von einem „Querdenker“-nahen Verein befeuert, wurden als Protest Kinderschuhe vor Rathäusern abgestellt. Bei Kretschmer machte das anscheinend Eindruck: „Die Leute wollten nicht mehr“, sagt er auf dem Podium. Er verteidigt seine Gesprächsversuche mit Maßnahmengegnern auf Demonstrationen, auch sein Gespräch mit dem Mediziner und Verschwörungserzähler Sucharit Bhakdi verteidigt er. Dass sich bestimmte Kreise komplett radikalisiert haben, räumt Kretschmer heute aber ein: „Zu den Leuten kommt man nicht mehr durch, das ist eine sehr harte Haut, wie ein Schutzmantel.“

Wie bereits die FDP fordert auch Kretschmer die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Pandemie“ im Bundestag - was diese genau erforschen soll, lässt er aber offen.

Weg zur echten konservativen Denkfabrik noch weit

Im Gegensatz zur Initiatorin Kristina Schröder möchte Kretschmer keine direkten Linien zwischen Coronabekämpfung und Klimapolitik ziehen: „Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich“, sagt er knapp, warnt dann aber dennoch: „Wir müssen denen entgegentreten, die meinen, Klimaschutz steht über allem und der Zweck heiligt die Mittel.“

Schröder versucht die Parallele zwischen Corona- und Klimapolitik mit aller Macht zurechtzudengeln: In beiden Krisen würde „alles auf das Erreichen eines Zieles gesetzt“ und der „Zweck heilige die Mittel“. In beiden Fällen sei diese Politik falsch: „Null Covid wird es ebenso wenig geben wie Null Emissionen“.

Eine „Außenstelle für Kreuz- und Querdenker“ wurde die sächsische Landesvertretung an diesem Montag zwar nicht, aber wegen der einseitig besetzten Podien war dieser Tag wenig mehr als eine Selbstbestätigung der eigenen Meinung. Bis zu einer echten konservativen Denkfabrik ist es noch ein weiter Weg.