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Psychologe Kirchner über Union„Laschets Kampf ist rational, Söder handelt intrigant“

Lesezeit 5 Minuten
Söder und Laschet

Armin Laschet (CDU, r) und Markus Söder sitzen im Wahlstudio des ZDF.

Moritz Kirchner, Politikwissenschaftler und Psychologe, beschreibt den Machtverlust in der Union als Höchststrafe. In dieser Logik sei Laschets Kampf ums Kanzleramt rational - CSU-Chef Söder sehe ihn allerdings als „Verhandlungsmasse“ für Jamaika. Und die Medien erzeugten eine unerfüllbare Erwartungshaltung an Politikerinnen und Politiker.

Herr Kirchner, leidet Armin Laschet unter Realitätsverlust, wenn er als Wahlverlierer die Bildung einer Jamaika-Koalition unter seiner Führung als Bundeskanzler anstrengt?

Kirchner: Wenn seine politische Karriere nicht beendet sein soll, muss Armin Laschet jetzt Parteivorsitzender bleiben und Kanzler werden, weil die Union Machtverlust nicht verzeiht. Daher ist dieses Verhalten aus Sicht seiner individuellen Parteikarriere absolut rational.

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Wie muss man als Politiker aufgestellt sein, wenn man im Wahlkampf durch eine emotionale Hölle geht, unterliegt und trotzdem eine Machtoption verfolgt.

Kirchner: Es braucht ein enormes Maß an Widerstandsfähigkeit und ein enormes Selbstwertgefühl. Man muss mit sich selbst gut sein. Die Besonderheit bei Armin Laschet ist die, dass ihm von Anfang an signalisiert wurde, er sei nicht der Richtige. Er musste für sich selbst die Konstruktion aufrechterhalten, dass er trotzdem der Richtige ist - und zum Ziel kommen wird. Diese Selbstkonstruktion ist durch das Wahlergebnis implodiert. Wenn er Zeit hätte, würden die Selbstzweifel kommen. Er hat aber keine Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, weil er aus seiner Logik nach der Macht greifen muss. Machtverlust ist für einen machtbewussten Politiker wie Armin Laschet psychologisch die Höchststrafe.

Und wenn er nicht Kanzler wird und den Parteivorsitz abgeben muss?

Kirchner: Dann muss er von allem Abstand nehmen und ganz banal Urlaub machen. Sich mit guten Freunden und Familie umgeben und sich abschirmen. Wirklich rausgehen aus der Situation und sich vergegenwärtigen, was man alles geschafft hat. Das Aktuelle weniger gewichten und sich stärker auf die positiven Dinge besinnen. Es ist ja nicht so, dass Armin Laschet in seiner Gesamtlaufbahn erfolglos war. Er hat in Nordrhein-Westfalen die Herzkammer der Sozialdemokratie erobert.

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Könnte Laschet denn einfach aufhören und in Rente gehen?

Kirchner: Nein. Er muss etwas Neues machen. In der Psychologie sprechen wir von einem Machtmotiv, das Politikerinnen und Politiker wie Armin Laschet, Angela Merkel, Markus Söder oder Olaf Scholz haben. Ein Machtmotiv hat die stärkste Aufwallung in uns Menschen. Wenn das weg ist, fehlt Spitzenkräften etwas ganz Gravierendes. Nach einem politischen Karriereende brauchen sie ein neues Betätigungsfeld, wo sie ihr Geltungsbedürfnis ausleben können. In der Union ist das oft die Konrad-Adenauer-Stiftung.

Welche Spuren hinterlässt es in der Bevölkerung, wenn man als Zweitplatzierter Chef vom Ganzen werden will?

Kirchner: Was für Politiker die Machtlogik ist, ist für die Bürgerinnen und Bürger eine Akzeptanz- und Demutslogik. Das Wahlergebnis ist eindeutig. Die Nachwahlbefragung sagt, dass die Menschen Olaf Scholz als Kanzler wollen. Viele hatten bereits ein schlechtes Bild von Armin Laschet, das sich noch am Wahltag verschlechterte, weil er seinen Wahlzettel falschherum – nämlich sichtbar - in die Urne geworfen hat. Das ist der Bestätigungsfilter: Er kann es nicht. Was jetzt abermals bestätigt wird durch den Eindruck der Starrhalsigkeit, sich an die Macht klammern zu wollen. Er tut der Union damit keinen Gefallen. Das Verhalten schlägt insgesamt auf CDU und CSU zurück.

Tut CSU-Chef Markus Söder der Union ein Gefallen?

Kirchner: Markus Söder hat mal wieder seine größte Konstante gezeigt, nämlich die Intriganz. Das muss man ihm lassen: Was seine Fähigkeit zur Intrige und seinen Machtinstinkt angeht, ist er in Deutschland nahezu unerreicht. Er sieht Laschet als Verhandlungsmasse, um FDP und Grüne doch noch in eine Jamaika-Koalition zu bekommen. Er hat zwar ebenso ein schlechtes Ergebnis eingefahren, ist jetzt aber der starke Mann in der Union.

Trauen sie Söder zu, dass er sich doch noch zur Kanzlerwahl stellt?

Kirchner: Ja. Wenn er eine Chance sieht, doch noch Kanzler zu werden, wird er sie ergreifen.

Gibt es noch Menschlichkeit im Wahlkampf, auch was das Gefüge Politik und Medien betrifft?

Kirchner: Die sozialen Medien haben die Lage massiv verschärft. Die Nutzer betreiben Selbstaufwertung durch Fremdabwertung über negative gehässige, zum Teil ekelhafte Posts. Aber was alle Medien eint: Sie produzieren ein unrealistisches, ein übermenschliches Bild von Politikerinnen und Politikern. Die sollen allseits kompetent, integer, immer gut drauf sein. Da wird eine Erwartungshaltung erzeugt, der niemand entsprechen kann, was notwendigerweise zu Enttäuschung und Desillusionierung und einem Abwertungskreislauf führt. Politik ist deshalb deutlich härter geworden.

Ihre Empfehlung für Politik heute, wie hält man das aus?

Kirchner: Widerstandsfähigkeit, positives Selbstwertgefühl und ein paar Personen, die absolut diskret und ehrlich sind, bei denen man sich ausheulen kann, ohne dass das am nächsten Tag in der Zeitung steht. Es braucht diesen Schutzraum, in dem man sich verletzlich zeigen kann. Und mit dem unbedingten Willen zur Macht, wie ihn Nietzsche beschreibt, kann man vieles aushalten und sogar aus den Konflikten Kraft ziehen. Aber auch durch Unterstützung von Freunden und Familie, und die Fähigkeit, Angriffe nicht als Angriffe auf sich als Person, sondern auf sich in der politischen Funktion zu beziehen. Darin war die Kanzlerin meisterhaft.

Was war Merkels Machtmotiv?

Kirchner: Sie hat ein sozialisiertes Machtmotiv. Ihr geht es darum, durch Macht als Ressource ihre Ziele zu erreichen. Merkel geht es nicht um Merkel. Sie will durchsetzen, was sie politisch für richtig hält. Bei Söder überwiegt das personalisierte Machtmotiv. Er will persönlich im Fokus stehen und der starke Mann sein.

Was muss Merkel nach ihrem Karriereende machen? Auch Urlaub, Abschirmen und dann etwas Neues?

Kirchner: Ich bin mir sicher, dass sie sich jetzt erstmal erholen wird. Es waren 16 Jahre im Amt, die sie voll forderten. Danach wird sie schätzungsweise als elder stateswoman um die Welt ziehen und den Dialog suchen. Sie sagte einst: “Ich nehme meine Ehrendoktorwürden sehr ernst„. Damit hat sie wohl einen Fingerzeig hinsichtlich ihrer Zukunft gegeben. Sie wird jedenfalls nicht den Schröder machen und sich ihre politische Karriere höchst zweifelhaft versilbern lassen.