Berlin – Es sind fünf Worte, die wenig Raum für Interpretation lassen. Vor gerade einmal 17 Tagen hat Saskia Esken sie gesagt. Beim letzten TV-Duell um den SPD-Vorsitz, ausgerichtet vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und Phoenix. Auf die Frage des Moderators, ob sie im Falle einer Wahl zur SPD-Chefin dem Parteitag empfehlen werde, die Große Koalition zu verlassen, wenn die Union Nachverhandlungen über den Koalitionsvertrag verweigere, antwortete die 58-Jährige: „Ja, das ist meine Empfehlung.“
Wenig später sind Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als SPD-Chefs gewählt geworden, die Union hat Nachverhandlungen des Koalitionsvertrages verweigert und die designierte Chefin hat dem SPD-Parteitag nicht etwa den GroKo-Austritt empfohlen. Eher im Gegenteil.
Keine Rede mehr von Nachverhandlungen
Der Leitantrag, den das neue Führungsduo am Dienstag dem erweiterten Präsidium der Partei vorgelegt hat, schlägt keinen Koalitionsbruch vor. Auch von Nachverhandlungen mit der Union ist keine Rede mehr. Stattdessen heißt es nun, die Parteiführung solle „Gespräche“ mit der Union führen.
Die vier Herzensthemen Eskens und Walter-Borjans' - Investitionen, Mindestlohn, Klimaschutz, Digitalisierung - finden sich in dem Schriftstück zwar allesamt wieder, konkrete Forderungen aber sucht man vergebens. Im Wahlkampf um die Parteispitze hatte das Duo noch eine sofortige Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro gefordert, nun ist nur noch von Schritten zu einem „existenzsichernden Mindestlohn“ die Rede.
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Besonders skurril wird das Dokument, wenn es um die im innerparteilichen Wahlkampf mit Vehemenz geforderte Abkehr von der schwarzen Null geht. Investitionen dürften nicht an „dogmatischen Positionen wie Schäubles Schwarzer Null scheitern“, heißt es nun – als wenn der Bundesminister der Finanzen nicht längst einen anderen Namen und ein andere Parteibuch als Vorgänger Wolfgang Schäuble hätte.
Unterm Strich ist der Leitantrag in dieser Version kein Scheidungsdokument für die GroKo. Eher stößt das Dokument die Tür zum Weiterregieren auf. Wenn nicht noch auf den letzten Metern nachgeschärft wird - oder der Parteitag Änderungen fordert.
Die Union ist plötzlich ganz entspannt
Die Union jedenfalls frohlockt bereits. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte dem RND, er sehe dem SPD-Parteitag gelassen entgegen. „Je nachdem, was die SPD beschließt, wissen wir, ob eine Zusammenarbeit weiter sinnvoll ist. Hauptsache, die SPD positioniert sich klar“, so der CDU-Politiker. „Mit einem gequälten ‚ich weiß nicht so recht‘ kann man kein Land regieren.”
Offenbar muss Spahn selbst die Dauer-GroKo-Kritiker von den Jusos nicht mehr fürchten. Juso-Chef Kevin Kühnert, der sich für das Amt des Vize-Parteichefs bewirbt, wird von der Rheinischen Post mit folgenden Sätzen zitiert: „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung. Auch das sollten die SPD-Delegierten bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Nicht weil sie Angst bekommen sollen, sondern weil Entscheidungen vom Ende her durchdacht werden müssen.“ Die Aussage hätte auch Olaf Scholz so unterschrieben.
Wirbt nun also selbst der Juso- Chef für den Fortbestand der Großen Koalition? Diesem Eindruck tritt Kühnert per Video-Botschaft entgegen. Er habe nur gesagt, was er seit eineinhalb Jahre sage, so der Juso-Chef. Selbstverständlich habe der SPD-Parteitag das Recht, das Ende der Koalition einzuläuten. Er maße sich nicht an, dazu irgendwelche Empfehlung zu geben.
„Mut aufbringen, die Koalition zu beenden“
Trotzdem sind Verwunderung und Aufregung in der Partei groß. Vertreter des linken Flügels fürchten bereits, dass Kühnert, Borjans und Esken nun genau das umsetzen, wofür Olaf Scholz und Klara Geywitz eigentlich angetreten sind: Weitermachen wie bisher. Parteilinke wie Karl Lauterbach und Hilde Mattheis wollen deshalb eine explizite Abstimmung über den Fortbestand er Großen Koalition durchsetzen.
Die frühere Juso-Chefin Franziska Drohsel wendet sich mit einem Appell an die Mitglieder. Die SPD solle nicht wieder in erneute Verhandlungen um Miniaturkorrekturen treten, schreibt Drohsel in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. „Sie sollte endlich den Mut aufbringen, die Koalition zu beenden und darüber auf dem Parteitag zu entscheiden.“
Hinter den den Genossen liegen turbulente Tage. Und vor ihnen ziemlich sicher auch.