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Lambrechts OffenbarungseidWie einsatzfähig ist die Bundeswehr?

Lesezeit 5 Minuten
Bundeswehr im Einsatz 2904

Ein Radpanzer der Bundeswehr vom Typ Fuchs, steht während einer Gefechtsvorführung auf dem Übungsplatz.

Berlin – Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) tat am Mittwoch etwas Ungewöhnliches. Sie zitierte in der Parlamentsdebatte über das geplante Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro den Inspekteur des Heeres, Alfons Mais. Dieser hatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar mit Blick auf die Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte mitgeteilt: „Wir sind blank.“ Damals schien es, als könne Mais„ Stuhl wegen der desaströsen Diagnose wackeln. Nun sagte seine zivile Vorgesetzte, was der Heeres-Inspekteur mitgeteilt habe, „mag zugespitzt sein. Doch den Kern trifft es. Damit muss endlich Schluss sein.“

So viel Offenheit gab es selten. Das Sondervermögen jedenfalls bedeutet für die Bundeswehr tatsächlich jene „Zeitenwende“, von der Kanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, gesprochen hatte.

Eine Reform nach der anderen

Lambrecht ist die zehnte Verteidigungsministerin seit der Wiedervereinigung. Und keine ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger konnte oder wollte auf Reformen verzichten. Zunächst wurde der Umfang der Truppe von 600.000 auf 370.000 Soldaten reduziert. Die Unterteilung in Territorial- und Feldheer entfiel. Luftwaffe und Marine bereinigten ihre Waffentypen auf jene, die zukunftsfähig schienen. Die Zahl der Standorte ging drastisch zurück.

Später entstand die Streitkräftebasis neben Heer, Luftwaffe und Marine. In ihr wurden Querschnittsaufgaben wie Logistik gebündelt. Zugleich wurde die Bundeswehr abermals geschrumpft, nämlich auf 250.000 Soldatinnen und Soldaten. Der Wehrdienst wurde auf sechs Monate verkürzt.War die Bundeswehr schon in den 1990er-Jahren vermehrt „out of area“ unterwegs, vor allem auf dem Balkan, und beteiligte sich 1999 im Kosovo erstmals an einem echten Krieg, folgte nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington die maßgebliche Zäsur: Im Zentrum standen endgültig Auslandseinsätze in Afghanistan und anderswo. Die einstige Kernaufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung geriet in den Hintergrund.

Bundeswehr als kleine Berufsarmee

Das wirkte sich sowohl auf die Bewaffnung als auch auf die Struktur aus. So empfahl eine Kommission die weitere Reduzierung der Streitkräfte auf 180.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie auf bis zu 25.000 Wehrdienstleistende. Aus finanziellen Gründen sowie aus Gründen der Wehrgerechtigkeit beschloss die damalige Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Januar 2011.

Aus einer sehr großen Armee mit zahlreichen Wehrpflichtigen, die vor 1990 hauptsächlich dazu auserkoren wurde, die alte Bundesrepublik gegen einen Angriff des Warschauer Pakts zu verteidigen, wurde eine hochspezialisierte und viel kleinere Berufsarmee, die in erster Linie außerhalb Europas operierte und die Verteidigung gegen einen Gegner auf dem eigenen Territorium, salopp formuliert, „nicht mehr auf dem Zettel hatte“. Erst nach der Besetzung der Krim durch Russland und der Installierung von Marionetten-Regimes in den ostukrainischen Separatisten-Gebieten Donezk und Luhansk 2014 änderte sich die Perspektive wieder. Anhaltende Probleme machte unterdessen das Beschaffungswesen, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Hilfe einer Unternehmensberaterin reformieren wollte – und damit scheiterte.

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Zwar wurde der Bundeswehretat in den letzten Jahren um rund zehn Milliarden auf etwa 50 Milliarden Euro angehoben. Doch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind zwei Probleme unübersehbar: Die Truppe ist für die neue Herausforderung ungenügend und dysfunktional bewaffnet; das gilt für die militärische Unterstützung der Ukraine und die Abwehr eines Angriffs auf das eigene Staatsgebiet. Überdies ist das Beschaffungswesen zum echten Risikofaktor geworden.

Verteidigungsministerin Lambrecht ist deshalb einerseits dabei, das Beschaffungswesen zu reformieren. „Eine Neuerung habe ich bereits durchs Kabinett gebracht“, sagte sie Ende März dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Bundeswehr kann jetzt nicht mehr nur Aufträge von bis zu 1000 Euro direkt vergeben, sondern bis 5000 Euro.“ Das betreffe rund 20 Prozent aller Aufträge, sorge für weniger Bürokratie sowie dafür, dass Kapazitäten frei würden, so die Sozialdemokratin.

Hinzu kommt andererseits, dass die Bundeswehr mit den 100 Milliarden Euro bei der Bewaffnung demnächst ziemlich aus dem Vollen schöpfen kann und dies auch tun wird. Wenn der Bundestag das Sondermögen wie geplant im Mai beschließt, kann das Geld anschließend fließen.

Der Tarnkappenbomber kommt

Bereits beschlossene Sache ist die Lieferung von 35 Tarnkappenbombern des Typs F-35, die auch bei Verbündeten im Einsatz sind. Die F-35 des US-Herstellers Lockheed Martin, die auch Atomwaffen tragen können, könnten vermutlich in fünf Jahren fertig sein und den Tornado ersetzen. Ferner soll der Eurofighter weiterentwickelt werden – bis nach 2040 ein von Deutschland, Frankreich und Spanien entwickeltes Kampflugzeug produziert wird, das unter dem Namen FCAS firmiert. FCAS steht für Future Combat Air System.

In der Diskussion ist der Kauf des Raketenabwehrsystems Arrow 3. Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren kürzlich mit der Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) in Israel, um sich das System dort anzusehen. Der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, sagte, Arrow 3 sei für die neuen Bedrohungen das Beste. Mit Blick auf Langstreckenraketen verfüge Deutschland gegenwärtig über keine angemessene Verteidigung. Das Arrow-System funktioniert hoch über der Erde.

Auch müssen dringend Kampfhubschrauber, bewaffnete Drohnen und jene Panzer her, von denen man vor 30 Jahren noch glaubte, man brauche sie nicht mehr.

Eine große Herausforderung ist – last, but not least – fehlende Munition. Das wurde soeben deutlich, als es um die Lieferung von Panzern der Typen Gepard und Leopard 1 an die Ukraine ging. Allein hierfür will Lambrecht 20 Milliarden Euro ausgeben. Das hat unter anderem mit Nato-Vorgaben über Vorräte zu tun.

Überhaupt sagte die Verteidigungsministerin im Bundestag: „Es geht nicht um Aufrüstung; es geht auch um Ausrüstung.“ Die Defizite der Bundeswehr sind dafür ein schlagender Beweis.