Zu viel des Klugen?Wie sich Karl Lauterbach im neuem Amt schlägt
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Seit zwei Monaten ist Karl Lauterbach oberster Corona-Bekämpfer. Nicht alles läuft rund.
Wie tickt der Minister?
Köln – Für einen Mann der Wissenschaft, der sich einen Namen als Deutschlands Cheferklärer der Pandemie gemacht hat, geht die Verwandlung zum Vollblutpolitiker erstaunlich schnell. In der Bundespressekonferenz wird Karl Lauterbach am vergangenen Freitag gefragt, ob die Regierung nicht in Wirklichkeit die Kontrolle über die Pandemie verloren habe.
Der Fragesteller verweist auf die massiv steigenden Infektionszahlen, auf die Überforderung der Gesundheitsämter und das Ende der Kontaktnachverfolgung sowie die Priorisierung der knappen PCR-Tests. Der Gesundheitsminister rollt kurz mit den Augen und kontert dann mit einem Satz, der in Sachen politischer Dialektik nur schwer zu toppen ist: „Wir haben nicht die Kontrolle über die Pandemie verloren, das Problem ist, dass die Fallzahlen zu hoch sind.“
Scholz kam nicht an ihm vorbei
Nach den ungeschriebenen Regeln des Berliner Politikbetriebs hätte dieser Mann nie Minister werden können. Wer sich selbst öffentlich für ein Amt ins Gespräch bringt und dann auch noch mehrfach darüber redet, was er alles angehen würde, wenn er den Posten nur endlich hätte, schießt sich normalerweise eben selbst ins Aus. Doch an dem beliebten Talkshowkönig, der komplexe Zusammenhänge verständlich erklären kann und mit seinen Einschätzungen, Prognosen und Vorschlägen oft richtig liegt, kam Kanzler Olaf Scholz (SPD) einfach nicht vorbei. Der Sozialdemokrat Lauterbach ist nicht der erste Mediziner in diesem Amt, aber sicherlich der bisher erfahrenste im Bereich des Gesundheitssystems und der Pflege.
„Ich habe immer gesagt, als Epidemiologe ist Karl Lauterbach zu diesem Zeitpunkt der richtige Gesundheitsminister, weil für ihn die Wissenschaft Leitlinie seines Handelns ist. Ich schätze ihn als Fachmann“, sagt auch einer, der ihm parteipolitisch nicht sonderlich nahesteht: Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Aber ist ein Experte auch ein guter Minister? Kann er ein Haus mit rund 1000 Mitarbeitern leiten? Hat er eine gute Hand bei der Auswahl seiner Mitarbeiter, und kann er delegieren?
Von Anfang an gab es daran Zweifel, schließlich gilt Lauterbach als Eigenbrötler, als jemand, der wenig Teamfähigkeit besitzt. „Lauterbach ist eine Herausforderung“, sagt einer, der ihn lange kennt. „Es ist immer dann schwer mit ihm, wenn man nicht hundertprozentig seiner Meinung ist“, fügt er hinzu.„Er stößt Leute systematisch vor den Kopf.“
Was will er wirklich?
Mit seinen ersten Personalentscheidungen hat Lauterbach allerdings durchaus bewiesen, dass er Minister kann. Eine der Schlüsselpositionen im Ministerium, die Führung des Leitungsstabs, hat er mit Boris Velter besetzt, einem sehr erfahrenen und gut vernetzten Gesundheitspolitiker, der schon für Ex-Ministerin Ulla Schmidt (SPD) arbeitete. Für Anerkennung sorgte auch die Besetzung des Drogenbeauftragten mit Burkhard Blienert, der schon vor Jahren als einer der ersten Sozialdemokraten für die Legalisierung von Cannabis eintrat.
Undogmatisch ist Lauterbach bei seinem Pressesprecher vorgegangen: Er behielt den von Vorgänger Jens Spahn (CDU) geholten Journalisten Hanno Kautz, der bei den Medien auch wegen seiner Fachkenntnis einen guten Ruf genießt.
Was der Minister jedoch inhaltlich will, wie er tickt, können seine Mitarbeiter bisher nur ahnen. „Er redet nicht viel mit seinen Leuten“, ist aus dem Ministerium zu hören. Dort weiß man vielerorts auch nur, was Lauterbach öffentlich kundgetan hat.
Lauterbach will wissenschaftlich verankerte Gesundheitspolitik
Bei der Amtsübergabe Anfang Dezember sagt er, er werde dieses Amt anders als sein Vorgänger angehen: „Aus meiner Sicht ist Gesundheitspolitik nur dann erfolgreich, wenn sie wissenschaftlich verankert ist, ich werde sie daher auch so anpacken.“ Und: „Ich bin wissenschaftlich geprägt und werde aufgrund dieser Herkunft Dinge stets wissenschaftlich einschätzen.“
Doch das klappt bisher nicht so, wie sich das Lauterbach wohl vorgestellt hat. Denn die Politik und die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit folgen anderen Gesetzen. Das erlebt Lauterbach gleich nach seinem Amtsantritt. Da eröffnet er in einer Videokonferenz den völlig überraschten Gesundheitsministerinnen und -ministern der Länder, dass Amtsvorgänger Spahn zu wenig Impfstoff bestellt habe. Die Union reagiert umgehend und wirft dem SPD-Politiker vor, er rufe Feuer, um dann Feuerwehr spielen zu können.
Der Eindruck bleibt dann auch in der Öffentlichkeit bestehen, denn Lauterbach hat nie richtig erklären können, wann es tatsächlich Lücken hätte geben können. Inzwischen hat das Ministerium die Praxis von Spahn gestoppt, die detaillierten Lieferpläne der Impfstoffe auf der Homepage zu veröffentlichen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Lockdown ausgeschlossen
Kurz vor Weihnachten muss Lauterbach erleben, was es heißt, zu wenig Führung zu zeigen. Die Bundesregierung hat sich darauf festgelegt, den Deutschen ein Weihnachtsfest mit Angehörigen und Freunden zu gönnen, ohne verschärfte Kontaktbeschränkungen. Auch Lauterbach schließt einen Lockdown öffentlich aus.
Mitten in eine Bund-Länder-Runde zwei Tage später platzt dann jedoch die Meldung, RKI-Präsident Lothar Wieler fordere „maximale Kontaktbeschränkungen“. Lauterbach, der von dem Papier des ihm unterstellen Robert Koch-Instituts nichts weiß, steht düpiert da und muss sich vorwerfen lassen, seinen Laden nicht im Griff zu haben.
Politisches weniger im Blick
Das neue Jahr startet nicht viel besser. Die Gefahren des Virus erkennt der Minister glasklar. Wo das politische Parkett rutschig ist, hat er weniger im Blick. In einem Interview Anfang Januar sagt Lauterbach, er wolle als Abgeordneter einen Entwurf für einen Gruppenantrag für die allgemeine Impfpflicht vorlegen. Keine zehn Tage später erklärt er genau das Gegenteil. Der Sinneswandel ist nicht ganz freiwillig. Denn seine eigenen Leute machen ihm klar, dass ein Lauterbach-Vorschlag immer auch als Regierungsentwurf wahrgenommen werde. Da die Ampel keine eigene Mehrheit für die Impfpflicht hat, wäre das für die Union geradezu eine Steilvorlage, dem Minister – und dem Kanzler gleich mit – eine Niederlage beizubringen. Lauterbach dreht schließlich bei.
Aber es kommt noch dicker. Mitte Januar treffen sich die Ministerpräsidenten zu einer Sondersitzung des Bundesrats. Auf der Tagesordnung: die Neuregelung mit dem Bandwurmnamen „COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung“. Verabschiedet wird, dass die Definitionen zum Genesenen- und Impfnachweis unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes angepasst werden sollen.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zieht Lauterbach zur Seite und will wissen, ob sich aus der Neuregelung rasche Änderungen ergeben könnten. Der Minister versichert, dass aktuell nichts geplant sei. Doch da hat er die Risiken und Nebenwirkungen seiner eigenen Verordnung falsch eingeschätzt. RKI und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) können danach unter Verweis auf veränderte wissenschaftliche Erkenntnisse jederzeit neu definieren, wer als geimpft und wer als genesen gilt. Ohne Vorwarnung.
Lauterbach zog Zorn der Ministerpräsidenten auf sich
Keine 24 Stunden nach Lauterbachs beschwichtigenden Worten kommt die Entscheidung von RKI und PEI, den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate zu verkürzen und dass nun eine Impfung mit Johnson & Johnson zur Grundimmunisierung nicht mehr ausreicht. Damit wird Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern von heute auf morgen der 2G-Status und damit der Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe entzogen.
Der Zorn der Ministerpräsidenten trifft Lauterbach zwei Tage später in der Bund-Länder-Runde. Er fühle sich hintergangen, raunzt Bouffier den Bundesminister an. Auch Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) ist auf dem Baum. Er hat ohnehin erheblich mit dem Misstrauen der Gegner von Corona-Maßnahmen in seinem Land zu kämpfen.
Sein eigener Expertenrat
Lauterbach gehört nicht zu der Sorte Politiker, die, in die Enge getrieben, zum Gegenschlag ausholen oder mit Nebelkerzen werfen. Auf die Panne angesprochen, die für großen Ärger in der Bevölkerung gesorgt hat, räumt er eine „Kommunikationsfehlleistung“ ein und sagt, er sei davon ausgegangen, dass die entsprechende Diskussion der Institute noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Natürlich ist seine wissenschaftliche Sicht auf die Pandemie sinnvoll, wenn es darum geht, die Wirkung des Virus und Zusammenhänge zu erklären. Wenig hilfreich ist es aber, wenn er mit dieser Sicht allein Politik macht. Politik braucht Verlässlichkeit, die Wissenschaft lebt von ständig neuen Erkenntnissen.
Dafür liest er nachts Studien, telefoniert und chattet mit Wissenschaftlern rund um den Globus. Vielleicht gibt es keinen anderen Gesundheitsminister weltweit, der so viel von der Sache versteht. Er ist quasi sein eigener Expertenrat. Doch er muss aufpassen, dass er sich zwischen wissenschaftlicher Lageeinschätzung, politischem Handeln und seiner Kommunikation nicht verheddert. Schon nach knapp zwei Monaten im Amt wirkt er erschöpft und abgearbeitet.
Lauterbach sei es bisher nicht gelungen, Wissenschaft und Politik richtig miteinander zu verbinden, beklagt Bayerns Gesundheitsminister Holetschek. Und er mahnt: „Das Gesundheitsministerium braucht gerade jetzt eine klare Führung, schnelle und eindeutige politische Entscheidungen sowie eine verständliche Kommunikation.“