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VfB-Kapitän Castro im Interview„Ich würde den FC nie abschreiben"

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In starker Form: Gonzalo Castro. Der langjährige Leverkusener ist seit dieser Saison Kapitän des VfB Stuttgart.

  1. Der 1. FC Köln tritt am Freitag beim stark gestarteten Aufsteiger VfB Stuttgart an.
  2. Seit Saisonbeginn ist der langjährige Leverkusener Gonzalo Castro neuer Kapitän der Schwaben. Mit 33 Jahren blüht der Mittelfeldspieler in der Bundesliga auf.
  3. Im Interview blickt Casto auf das bevorstehende Spiel und auch auf seine bisherige Karriere zurück und erklärt, warum er einmal fast als Spieler beim 1. FC Köln gelandet wäre.

Herr Castro, das letzte Heimspiel konnte der VfB noch vor fast 10000 Zuschauern austragen, am Freitag gegen den 1. FC Köln wird aufgrund der enorm gestiegenen Corona-Zahlen nun vor leeren Rängen gespielt.Gonzalo Castro: Damit musste man leider rechnen. Ich gehe davon aus, dass noch viele Geisterspiele auf uns zukommen. Wenn das der Sicherheit und Gesundheit aller dient und wir so unseren Teil beitragen können, dann muss man dafür Verständnis aufbringen. Wir alle hoffen, dass der Zustand nicht ewig anhält. Aber ich weiß auch, dass viele Menschen derzeit ganz andere Sorgen haben als wir Profis.

Kann sich ein Sportler überhaupt an Geisterspiele gewöhnen?

Es hat sehr gut getan, dass wir zuletzt wieder vor 10000 Fans in unserem Stadion oder vor 13000 im Pokal in Rostock spielen durften. Der Mensch gewöhnt sich zwar relativ schnell an viele neue Situationen, aber es ist schon komisch und traurig, wenn du zum Aufwärmen ins Stadion läufst und keiner da ist. Ab dem Anpfiff sind wir Spieler im Tunnel, da fehlt die Unterstützung eher in bestimmten Situationen des Spiels. Doch am Ende ist Fußball ohne Fans für mich wie Currywurst ohne Curry. Die Fans gehören einfach dazu. Ich bin auch Profi geworden, um in vollen, stimmungsvollen Stadien zu spielen.

Ihre Mannschaft kommt als Aufsteiger bisher sehr gut in der Liga zurecht. Überrascht Sie der starke Start?

Wir haben eine sehr junge Mannschaft mit einem Altersschnitt von knapp über 23 Jahren. Wir wussten nicht so recht, wo wir stehen. Aber die Jungs haben sich erstaunlich schnell an das Bundesliga-Niveau angepasst. Das Team hat eine gute Mentalität. So kamen wir zuletzt auch nach Rückständen ins Spiel zurück.

Ihr Trainer Pellegrino Matarazzo ist ebenfalls noch jung und hatte zuvor keine Bundesliga-Erfahrung als Chefcoach. Wie packt er die Sache an?

Er ist ein ruhiger, sachlicher Typ, der aber genau weiß, was er will und wie er es erreichen will. Er hat eine klare Spielidee, die er uns auch gut vermitteln kann. Der Trainer stellt uns bestens auf die Gegner an. Jeder Spieler weiß, was er zu tun hat.

Wie wird er Sie auf den 1. FC Köln einstellen? Was erwartet Ihr Team?

Ich denke, der FC wird eher auf Konter setzen, wir werden daher oft den Ball haben. Wir wollen den Sieg bei Hertha vergolden. Wir können die Kölner mit einem Sieg auf neun Punkte distanzieren. Aber ich würde den FC nie abschreiben. Köln hat in der letzten Saison mit einem brutalen Lauf noch die Kurve bekommen.

Ein ruhiger Trainer hat einen ruhigen Spieler im Sommer zum Kapitän gemacht. Waren Sie überrascht, als Sie Mannschaftsführer wurden?

Ein bisschen. Ich gehörte zwar schon zu den Führungsspielern, doch das ist eine späte Premiere für mich. Davor war ich letztmals in der C-Jugend von Bayer 04 Kapitän (lacht). Zudem läuft 2021 mein Vertrag beim VfB aus. Doch der Trainer hat mir das Vertrauen geschenkt und mir es erklärt: Ich hätte ein hohes Standing in der Mannschaft, die meiste Erfahrung und wäre sportlich sehr wichtig. Ich musste nicht überlegen: Das Amt ist mir eine Ehre. Aber ich bleibe authentisch. Mir würde es keiner abnehmen, wenn ich permanent auf dem Platz herumschreie.

Sie bekommen derzeit viel Lob für Ihre Leistungen. Ist das der stärkste Gonzalo Castro seit Jahren?

Ja, das ist wohl so. Ich bin fit, habe großen Spaß, und die Position hinter der Spitze ist perfekt für mich. In der Bundesliga wird auch wieder mehr Wert auf das Spielerische gelegt, das kommt mir entgegen. Und dann mache ich viel mit meiner Schnelligkeit wett (lacht). Nein, ich denke einfach, dass ich heute auch vieles mit Erfahrung und Routine lösen kann. Früher war ich im Spiel nervöser. Ich habe auch schon fast alle Situationen in einer Saison mitgemacht, da bringt mich vieles nicht mehr so schnell aus der Fassung.

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Wie der FC gilt aber auch der VfB als ein Klub, bei dem es im Fall des Misserfolgs schnell unruhig werden kann. Wie erleben Sie das?

Der VfB ist ein Traditionsklub, der viel Wucht hat. In beide Richtungen, das habe ich beim Abstieg und ein Jahr später beim Aufstieg erlebt. Da fängt man schneller mit dem Träumen, aber auch mit dem Kritisieren an. Aber ich hatte zuvor drei Jahre für Dortmund gespielt, deshalb war das nichts Neues für mich.

Nach 16 Jahren für Bayer 04 Leverkusen wechselten Sie 2015 zum BVB. Wie beurteilen Sie das rückblickend?

Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Ich brauchte diese Veränderung. Auch, um mich als Person weiter zu entwickeln. Ich habe Bayer 04 viel zu verdanken, das werde ich auch nie vergessen, aber ich brauchte mehr Druck. Den Druck, Meister werden zu wollen, einen Titel zu holen – was uns 2017 mit dem Pokalsieg gelang. Es war mein erster Titel.

Leverkusen spielt zwar fast immer oben mit, wartet aber seit 27 Jahren auf den nächsten Titel.

Bayer ist ein Verein, bei dem sich Spieler toll entwickeln können und der ein gutes Auge und Händchen für Transfers hat. Aber es ist natürlich auch schwer für einen Klub wie Bayer, die neuen Stars dann zu halten. Beim BVB konnte man nicht so leicht sagen: Okay, es hat nicht geklappt, dann probieren wir es halt im nächsten Jahr wieder. In Dortmund hat es manchmal ganz schön gerappelt, das war schon eine Umstellung für mich. Die Konkurrenz war auch größer, ich habe nicht mehr jedes Spiel gemacht. Aber rückblickend waren es drei tolle Jahre.

Sind sie zufrieden mit Ihrer Karriere?

Ja. Den Abstieg mit dem VfB hätte ich natürlich nicht gebraucht, ein paar Länderspiele mehr hätten es auch sein können. Aber fast 400 Bundesligaspiele und 30 in der Champions League sind ja auch was.

Sie sind Rheinländer. Ein Wechsel zum 1. FC Köln stand nie im Raum?

Nur einmal, da war ich 13 oder 14 Jahre alt. Mein Mannschaftskollege bei Bayer, Marco Quotschalla, war gerade zum FC gewechselt. Um den Wechsel gab es viel Wirbel, denn der FC hatte ihn mit einem Achtjahresvertrag ausgestattet. Ein ähnlicher Vertrag wurde mir auch angeboten. Mein Vater war erst ganz schön am Grübeln, aber irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl. Wir sagten dem FC ab. Danach stand ein Wechsel nach Köln nie mehr zu Diskussion. Denn dafür war ich einfach zu viel mit Bayer verbunden, und meine Frau kommt auch noch aus Leverkusen. Nein, das hätte nicht gepasst.

ZUR PERSON

Gonzalo Castro Randón, geboren am 11. Juni 1987 in Wuppertal, spielte in der Jugend für Post SV Wuppertal, Viktoria Rott und SV Bayer Wuppertal. Von 1999 bis 2015 lief er für Bayer 04 Leverkusen auf, ehe er 2015 zu Borussia Dortmund wechselte. Seit dem 1. Juli 2018 steht der Mittelfeldspieler beim VfB Stuttgart unter Vertrag, seit Saisonbeginn ist er Kapitän. Castro bestritt u.a. bisher 387 Bundesligaspiele, 30 in der Champions League und fünf Länderspiele für Deutschland. 2017 wurde er DFB-Pokalsieger (mit Dortmund), 2011 und 2016 Vizemeister (mit Bayer 04 und dem BVB). Seine Eltern stammen aus Spanien. Seit 2016 ist er mit Jasmin verheiratet, die er aus Leverkusen kennt.